Packender historischer RomanDie Wikingerin Yrsa will eine Kriegerin werden
Bei den Wikingern gab es Frauen, die kämpften. Das ist auch das Ziel der Romanfigur Yrsa. Die Suche nach ihrem Bruder führt sie in die quirlige Hafenstadt Haithabu.
Yrsa würde von sich selbst nicht sagen, dass sie eine Wikingerin sei. Die Bezeichnung «Wikinger» war im Altnordischen eine Berufsbezeichnung und bedeutet Seeräuber. Noch ist Yrsa nicht so weit, denn ja, sie möchte eine Kämpferin werden und zur See fahren. Die Leserinnen und Leser begleiten die junge Frau – stets etwas atemlos – auf dem spannungsreichen Weg dahin.
Eine Frau als Kriegerin zu Wikingerzeiten, ist das nicht etwas zu fantastisch? Nein, das hat es tatsächlich zu Wikingerzeiten, also zwischen 750 und 1050, gegeben. Der Autorin und Historikerin Alexandra Bröhm, die als Wissenschaftsjournalistin für diese Redaktion arbeitet, war ein besonderer Fund aus der Wikingerzeit Inspiration für den packend geschriebenen historischen Roman über Yrsa.
Zwar war der Fund, das Grab eines bedeutenden Kriegers, seit über 100 Jahren bekannt. Aber erst im Jahr 2017 kam die grosse Überraschung, als DNA-Analysen zeigten: Das Skelett in der Gräberanlage im schwedischen Birka stammt nicht von einem Mann, sondern von einer Frau. Es war also eine Kriegerin, die als wertvolle Grabbeigaben Schwert, Axt, Messer, Lanzen, Pfeile und sogar Pferde mit auf den Weg ins Jenseits bekommen hat.
Obwohl immer mehr Gräber aus der Zeit gefunden werden, in denen erwiesenermassen Kriegerinnen beerdigt wurden, waren kämpfende Frauen in damaliger Zeit Ausnahmen. Auch die Hauptfigur im Roman, Yrsa, ist eine Ausnahme, und was für eine! Die 18-Jährige ist willensstark und zäh. Das muss sie auch sein, denn sie lebt alleine mit ihrem 9-jährigen Bruder Sjalfi in einem Dorf, wo sie nicht gut integriert sind. Die Mutter, eine Seherin, ist vor einigen Jahren gestorben, das Schicksal des Vaters bleibt zunächst unklar. Als Yrsas Bruder unter mysteriösen Umständen verschwindet, beginnt das Abenteuer.
Hellhäutige Sklaven waren beliebt
Ist Sjalfi von Sklavenhändlern verschleppt worden? Yrsa begibt sich zu Fuss nach Haithabu, einer prosperierenden Hafenstadt, in der zu Wikingerzeiten etwa 1000 Menschen lebten. An dem bedeutenden Handelsplatz wurden neben Nahrungsmitteln, Fellen, Tontöpfen auch Luxusgüter wie exotische Gewürze gehandelt – und Menschen. So brachten Wikinger Sklaven von England und Irland in arabische Länder, wo die hellhäutigen Helfer sehr beliebt gewesen sein sollen. Kein Wunder also, dass Yrsa fieberhaft am Hafen nach ihrem Bruder sucht.
Eine Stärke des Buches ist, wie Bröhm die historische Stadt aufleben lässt. Die Autorin hat sich genau vor Ort umgesehen. Die Ausgrabungsstätte Haithabu liegt in der Nähe der norddeutschen Stadt Schleswig und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Heute gibt es dort im Wikingermuseum Haithabu eine beeindruckende Ausstellung zu sehen – zum Beispiel mit den Kämmen aus Hirschgeweih, die Yrsa im Roman benutzt. Zudem zeigt ein Freilichtmuseum einige nachgebaute Wikingerhäuser.
Bröhm beschreibt anschaulich, wie dunkel die Häuser waren, wie eng die Gassen und wie schnell einmal ein Brand ausbrechen konnte – und sie füllt die Stadt Haithabu mit Leben.
Für eine junge Frau wie Yrsa ist das quirlige Handelszentrum schon per se nicht ungefährlich, erst recht nicht, wenn sie von einem wütenden Schmied verfolgt wird, der sie als Zweitfrau heiraten will. Zudem gerät Yrsa in einen Zwiespalt. Sie hat durch ihr Können im Bogenschiessen und dank ihres losen Mundwerks Gunnar den Waghalsigen beeindruckt. Der herausragende Krieger bietet Yrsa an, bei ihm und seinen Männern das Kriegshandwerk zu lernen. Wie aber soll sie den ganzen Tag das Kämpfen üben und zudem ihren Bruder suchen?
Magie gehörte zum Wikingerleben dazu
Zu all dem Dilemma kommt auch noch die Magie hinzu. Denn eine andere Spur, auf die uns die Autorin neben der möglichen Verschleppung durch Sklavenhändler führt, sind die magischen Kräfte, die Sjalfi von seiner Mutter geerbt hat. Steckt die Seherin Revna hinter seinem Verschwinden? Klar, geheimnisvolle Mystik ist ein typisches Stilmittel, um Spannung zu erzeugen: die Stimmen vom weiblichen Geist Fylgja, die zu Yrsa sprechen, das Amulett ihrer Mutter, das in manchen Situationen warm wird, die Nebelkrähe mit dem schwarzen Fleck auf der Brust, die immer wieder mal auftaucht.
Doch tatsächlich gehörte Magie ganz selbstverständlich zum Leben der Wikinger. Wesen wie Trolle, Elfen, Geister und eine vielfältige Welt von nordischen Göttern und Göttinnen waren Teil ihrer Gemeinschaft. Es war normal, der Hauselfe, wie Yrsa es tut, kleine Opfergaben zu bringen, Blumen oder etwas vom Essen.
Vielleicht hat manch eine Wikingerin oder ein Wikinger wirklich die staunenden Fragen gestellt wie Yrsa im Buch einem christlichen Mönch: Ob es denn keine weiblichen Götter in seinem Glauben gebe und nur einen einzigen Gott?
Bröhm zitiert zum Thema Magie im Nachwort den Wikingerexperten Neil Price: «Unsere heutige Welt fänden die Wikinger sehr langweilig.»
Sie wird aber definitiv interessanter, wenn man dank eines fesselnden Buches in die aufregende Welt der Wikinger eintaucht. Allerdings sind die knapp 600 Seiten dann auch schnell verschlungen, denn ja, es gibt auch eine Liebesgeschichte.
Alexandra Bröhm: Yrsa. Journey of Fate (Yrsa. Eine Wikingerin 1). Ullstein, 2024. 592 S., ca. 27 Fr.
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