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Interview über Geld und Steuern
«Superreiche wissen, dass ihr Reichtum ungerecht ist», sagt die Millionenerbin

*** SPECIAL FEE +100% ***  Marlene Engelhorn, Erbin, Autorin, Portrait, Kultur, Medien, Europa, Deutschland, Frankfurt am Main, Europaviertel, 22.10.2022. ENGL.: Marlene Engelhorn, writer, inheritor, heir, portrait, culture, media, europe, Germany, Frankfurt am Main, Europaviertel, 22th October 2022.
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Frau Engelhorn, Sie waren letzte Woche am Weltwirtschaftsforum in Davos. Hat es Ihnen dort gefallen?

Falsch. Ich war nicht am WEF, das könnte ich mir gar nicht leisten. Ich war aber vor Ort in Davos, um zu demonstrieren.

Man sah Sie in den Nachrichten, wie Sie ein Plakat mit dem Slogan «Tax the Rich» in die Höhe hoben. Was genau fordern Sie?

Ich setze mich mit anderen Vermögenden im deutschsprachigen Raum dafür ein, dass Reiche stärker besteuert werden, beispielsweise durch höhere Erbschaftssteuern.

Austrian Marlene Engelhorn (C), who inherited from her family who owns the Germany's chemical giant BASF, speaks as she holds a placard reading "Tax the rich!" at the entrance of the Congress center on the opening of the annual meeting of the World Economic Forum (WEF) in Davos, on January 15, 2024. (Photo by Fabrice COFFRINI / AFP)

Wie wurde Ihre Forderung in Davos von den Mächtigen aus Wirtschaft und Politik aufgenommen?

Das müssen sie diese selbst fragen. Wir konnten mit diesen Entscheidungsträgern nicht direkt sprechen. Ohnehin ist das WEF eine unglaublich undemokratische Veranstaltung: Diese Leute brüsten sich damit, sie träfen gute und wichtige Entscheidungen zum Wohle aller – aber wie wir wissen, ist die Entwicklung eine andere.

Nämlich?

Die Reichen werden reicher, die Armen noch ärmer – das ist das Ergebnis der neusten Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam, veröffentlicht zum Start des WEF. Demzufolge sind die Reichen die grossen Gewinner der Krisenjahre. Die fünf vermögendsten Menschen der Welt, ausnahmslos Männer übrigens, haben ihr Vermögen seit 2020 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig wurden fast fünf Milliarden Menschen, die ärmsten 60 Prozent, noch ärmer.

Sie haben sich entschlossen, 25 Millionen Euro aus einer Erbschaft zu spenden. Eben gaben Sie bekannt, dass ein Gremium von 50 Bürgerinnen und Bürgern das Geld «rückverteilen» wird, wie sie sagen. Andere Mäzeninnen und Mäzene entscheiden selbst – wieso Sie nicht?

Ich gebe nicht nur das Geld ab, sondern auch die Entscheidungsmacht. Als reiche Erbin bin ich in eine Machtposition hineingeboren – diese Macht möchte ich demokratisch abgeben.

Wieso das?

Wenn superreiche Spenderinnen oder Spender selbst entscheiden, kommt es nicht zu einer gerechten und richtigen Verteilung. Ein Beispiel: Nur 2 Prozent der Gelder, die von Stiftungen weltweit für gemeinnützige Zwecke ausgegeben werden, kommen dem Klimaschutz zugute – das allein zeigt schon, dass vom klassischen Mäzenatentum wenig zu halten ist. Diese Überreichen bilden sich ein, Gutes zu tun – aber die Welt wird nicht besser.

Wie haben Sie Ihren «BürgerInnenrat» zusammengestellt?

Wir haben 10’000 zufällig ausgewählte Personen in Österreich angeschrieben. Diese können sich für den Rat bewerben, 50 von ihnen werden schliesslich ausgewählt – und zwar so, dass die Auswahl repräsentativ für die Bevölkerung über 16 Jahren in Österreich ist. Hinzu kommen 15 Ersatzmitglieder, die nachrücken, wenn jemand ausfällt oder verhindert ist.

Das klingt ziemlich kompliziert …

Ist es aber nicht. Ich will auch deshalb nicht selbst über die Verwendung des Geldes entscheiden, weil dies ein demokratischer Prozess sein muss.

«50 Gehirne ticken einfach besser als eins.»

Sie werden in keiner Weise Einfluss nehmen auf den «BürgerInnenrat»?

Von vornherein ausgeschlossen ist eine Verwendung des Geldes für verfassungswidrige, lebensfeindliche und profitorientierte Zwecke. Auf den konkreten Entscheid des Rates kann ich keinen Einfluss nehmen. Ich habe grosses Vertrauen, dass die Entscheidungsfindung ein wertvoller und lehrreicher Prozess sein wird. 50 Gehirne ticken einfach besser als eins.

Was sind die nächsten Schritte?

Von März bis Anfang Juni gibt es eine Diskussion zur Verteilungsfrage, danach werden Ergebnisse präsentiert, was mit den 25 Millionen passiert.

Wenn Ihnen der Entscheid des «BürgerInnenrats» am Ende nicht passt?

Dann muss ich damit leben. So ist das eben in der Demokratie: Sie ist manchmal eine verdammte Zumutung, und wir bekommen es nicht genau so, wie wir es wollen.

Apropos Demokratie: Die Schweizerinnen und Schweizer haben eine höhere Besteuerung von Reichen an der Urne mehrmals abgelehnt. Zuletzt 2015 die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer: Diese wurde mit 70 Prozent der Stimmen verworfen. Sind Sie sicher, dass tatsächlich eine Mehrheit höhere Steuern für Reiche will?

Ich glaube nicht, dass man das Schweizer Ergebnis verallgemeinern kann. Wahrscheinlich mache ich mich nun bei einigen Schweizerinnen und Schweizer unbeliebt – aber wir wissen ja, dass sich die Schweiz auch bei der Einführung des Frauenstimmrechts einige Zeit gelassen hat. Ich bin zuversichtlich, dass sich in der Schweiz auch bezüglich der Besteuerung der Reichen einiges verändern wird.

«Nur das Geld der Reichen soll nicht mehrfach versteuert werden. Das ist schlicht ungerecht.»

Ein populäres Argument gegen die Erbschaftssteuer ist: Dieses Geld sei ohnehin schon als Einkommen versteuert worden.

Dieser Einwand ist ein Witz. Es ist doch der Normalfall, dass Geld mehrmals besteuert wird. Auf ihren Lohn zahlen Sie Einkommenssteuer; dann, wenn Sie mit diesem Geld etwas kaufen, Mehrwertsteuer; und wenn Sie ein Glas Wein trinken, zahlen Sie für die Alkoholsteuer. Nur das grosse Geld der Reichen, vererbtes Geld, soll nicht mehrfach versteuert werden. Das ist schlicht eine Ungerechtigkeit.

Sie sagen auch, reiche Menschen seien eine Gefahr für die Demokratie. Wieso denken Sie das?

Wir leben in einer Gesellschaft und müssen unser Zusammenleben organisieren. Das machen wir über Demokratie, nach dem Prinzip: eine Stimme pro Nase. Gleichzeitig ist es aber so, dass unsere Welt auch über Geld gesteuert wird. Die grossen Finanzvermögen konzentrieren sich auf wenige Menschen, ohne Rechenschaft, ohne Transparenz. Es hat einzig damit zu tun, in welche Familie man geboren wird.

Und je stärker sich Vermögen bei diesen wenigen Menschen konzentriert, desto stärker werden diese Machtpositionen gegenüber der Demokratie, ja sie können diese sogar aushebeln. Natürlich könnte man auch Positives mit dieser Macht tun, doch wenn die Superreichen freiwillig die Welt hätten retten wollen, hätten sie es schon getan. Sie haben es aber nicht. Deswegen ist dieses eine Prozent der Überreichen eine Gefahr für die Demokratie.

Halten Sie das Erben generell für verwerflich?

Dass Dinge in einer Familie vererbt werden, die an verstorbene Menschen erinnern, empfinde ich als selbstverständlich. Und für mich wäre es etwa fair, wenn man das Haus der Eltern erben dürfte, steuerfrei, aber vielleicht nicht die Porsche-Sammlung des Vaters. Da wäre die Grenze. Das Vererben von grossen Vermögen ist nicht mehr nur Privatsache – es wird zu einem öffentlichen Problem. Diese Erbschaften markieren den Wechsel von einem demokratischen Prinzip zu einer feudalen Struktur: Wer in die richtige Familie hineingeboren wird, hat Anrecht auf ein bestimmtes Vermögen. Geburt ist aber bekanntlich etwas, das man sich nicht aussuchen kann.

Macht viel Geld einsam?

Ich kann dazu nur das Folgende sagen: Mir fällt auf, dass sich viele Menschen, die zum reichsten Prozent der Bevölkerung gehören, stark isolieren. Sie leben in einer Bubble und schirmen sich ab gegen Fragen nach der Berechtigung ihres Reichtums. Denn viele halten diese Fragen nicht aus – die allermeisten Reichen, die ich kenne, wissen, dass ihr Reichtum und die immensen Vermögensunterschiede schlicht ungerecht sind.

Wie gehen diese Menschen mit diesem Widerspruch um?

Sie gehen einer Arbeit nach, obwohl sie nicht arbeiten müssten. Ein guter Job ist ein soziales Statussymbol, auch für Reiche. Sie wollen zeigen, dass sie etwas leisten – und gewissermassen rückwirkend beweisen, dass sie ihre Erbschaft wert sind. Das bemerke ich oft.

Sie haben 2019 erfahren, dass sie ein Erbe in zweistelliger Millionenhöhe bekommen würden. Haben Sie sich darüber gar nicht gefreut?

Nein, ich habe mich geärgert, weil ich wusste, dass es ungerecht ist, und ich wusste, dass ich etwas anderes damit machen möchte. Man muss nicht vermögend bleiben, nur weil man so geboren ist.

Sie hätten das Erbe ablehnen können.

Das stimmt. Aber ich habe mich entschieden, meine Verantwortung anders wahrzunehmen, für mehr Gerechtigkeit bei der Vermögensverteilung zu kämpfen.

Welches war die Reaktion Ihrer Familie, als Sie sich für diesen Weg entschlossen?

Meine Familie steht hinter mir. Aber das ist im Grunde gar nicht so wichtig.

Wie viel Geld bleibt Ihnen noch zum Leben?

Ich habe einen finanziellen Puffer. Für mein aktuelles Engagement für Steuergerechtigkeit erhalte ich keinen Lohn. Ich will aber bald ins Erwerbsleben wechseln, mit einem Job ein Einkommen verdienen. Hoffentlich gelingt mir das.