Leidende GrasshoppersKrise bei GC: Lebenszeichen von der Intensivstation
Das 1:1 gegen Lugano ist für die Zürcher bereits eine Ehrenmeldung – bei ihnen ist aber weiterhin nicht ersichtlich, wohin der Weg mit den US-Besitzern führen soll.
Hundert Meter vor dem Letzigrund sieht es aus, als hätte jemand vergessen, das Flutlicht abzustellen. Von Fussballstimmung ist nichts zu spüren, keine Menschen, die auf der Baslerstrasse zum Stadion eilen, kein Stau auf der Strasse, kein Licht aus dem Schlachthof, dem Restaurant an der Kreuzung.
Donnerstagabend in Zürich, um 20.30 Uhr treffen die Grasshoppers auf Lugano. Angesagt ist: Abstiegskandidat gegen Meisterkandidat, der Elfte mit 8 Punkten gegen den Dritten mit 21 Punkten. Die Gefühlswelten sind total unterschiedlich. Bei den Grasshoppers halten Trainer und Spieler Anfang Woche eine Aussprache ab, weil sie in der Krise sind. Das sind sie schon wieder, wie praktisch in der gesamten letzten Saison. Im Tessin verkündet Besitzer Joe Mansueto munter die Ambition, dass er die Meisterschaft zum Ziel hat, «mit Sicherheit», wie er betont.
Die Kulisse im Letzigrund hat viel von den Kulissen im Cornaredo von Lugano. 3641 verlieren sich auf den orangen Sitzplätzen. Die GC-Kurve erfährt ein Upgrade und darf sich auf der Gegentribüne ausbreiten, mit Lugano sympathisiert nicht mehr als eine Handvoll. Wenigstens nimmt Mansueto in einer Loge unter dem Tribünendach Platz.
GC muss sich mit solchen Zahlen immer wieder anfreunden, solange es seinen Zufluchtsort für Heimspiele nur ennet den Geleisen findet, auf diesem ungeliebten und von vielen gar gefürchteten FCZ-Boden. Für Lugano sind sie seit Jahren Alltag. Aus dem Lautsprecher tönt «Man With the Red Face» von Mark Knight & Funkagenda. Für nichtssagende Dance-Music ist das melancholische «Das isch GC» eingemottet worden. Das ist mal ein Fortschritt, um für Atmosphäre im Stadion zu sorgen. Hollywood ist weit weg. Der Merchandisingwagen hinter der Haupttribüne ist schnell geschlossen.
1,0 Punkte pro Spiel
Vor dem Anpfiff erklärt sich Marco Schällibaum beim TV-Sender Blue, der 62-Jährige ist seit Mitte April der Trainer, gekommen in grösster sportlicher Not, schliesslich gefeiert in der Barrage gegen Thun als Retter in letzter Minute. Gegen Lugano bestreitet er seinen 21. Einsatz für den Club, der ihm seit seinen Tagen als Spieler vor vierzig Jahren so viel bedeutet. Bislang hat er inklusive Barrage 1,0 Punkte pro Spiel gewonnen, das ist kein Schnitt für Götter.
Bei Blue also sagt er: «Wir müssen wissen, dass wir auf der Intensivstation sind. Aber wir sind noch am Leben. Und wenn man lebt, kann man kämpfen. Und wenn man kämpft, kann man etwas erreichen.»
Zweieinhalb Stunden später, im dünn besiedelten Presseraum des Stadions, wird er gefragt: Und jetzt? Wo ist die Mannschaft jetzt? Weiter auf der Intensivstation? «Wir sind noch immer in dieser Situation», antwortet er. «Vielleicht ist das etwas krass gesagt. Aber solange man atmen und kämpfen kann, lebt man. Meine Spieler haben es heute gemacht. Sie haben gekämpft. Sie haben sich den Punkt erkämpft.»
Das 1:1 gegen Lugano nehmen sie schon als Erfolg. Müssen sie so sehen, weil in ihrer Lage jeder Punkt zählt. Die jahrelange Misswirtschaft und Fehlplanung, zuletzt unter chinesischer Verantwortung, hat Spuren hinterlassen. Und die Amerikaner aus Los Angeles, die Anfang Jahr eingestiegen sind, haben noch nicht wirklich etwas bewegt oder auch nur den Hauch einer Ambition à la Mansueto gezeigt. Auch unter ihnen sind die grossen Konturen nicht zu erkennen. So sieht die Realität aus, weil zur Realität gehört, dass ein stolzer Verein über die Jahre tief gefallen ist und schon zufrieden sein muss, die Liga zu halten.
Gegen Lugano geht GC mit sechs neuen Spielern auf den Platz. Nach einer Serie mit drei Niederlagen und nur einem Tor nimmt sich Schällibaum das Recht dazu heraus, dazu gibt es auch gesperrte und verletzte Spieler. Amir Abrashi ist gesperrt und gibt doch alles für seinen Verein: Er bezieht Stellung in der Kurve, er singt die Lieder mit und spürt die Energie, die von den Fans ausgeht.
Typische 15 Sekunden
Nach einer halben Stunde gelingt Nikolas Muci das Führungstor. Und es ist ein Kopfballtor, das er nach einem Corner von Giotto Morandi unbedingt erzielen will. Er zeigt die Entschlossenheit, die Luganos Verteidiger Martim Marques in diesem Moment völlig abgeht.
Muci ist einer von drei Jungen, die Schällibaum in die Offensive stellt, er ist 21 wie der Südkoreaner Young-jun Lee. Noch ein Jahr jünger ist Adama Bojang. Der Gambier, seit September von Reims ausgeliehen, darf nach vier Mini-Einsätzen erstmals von Beginn an auflaufen. Dass er ein «international beachtetes Talent» ist, wie ihn Sportchef Stephan Schwarz anpreist, kann er an diesem Abend nicht bestätigen.
Das wäre anders, wenn er gleich nach der Pause den perfekten Flankenball von Noah Persson aus fünf Metern ins Tor und nicht direkt in die Hände von Amir Saipi köpfeln würde. «Mit dem 2:0 wäre der Weg zum Sieg riesig weit offen gewesen», sagt Schällibaum später, zumal gegen ein Lugano, das ziemlich viel schuldig bleibt, «aber es ist halt so in einer Situation, in der wir sind».
Was er damit meint: 15 Sekunden nach Bojangs vergebener Chance steht es 1:1. Ignacio Aliseda kann ungehindert ganz viele Meter zurücklegen und den Ball in die entfernte Ecke schlenzen. Maksim Paskotsi, auch er erst 21, hat darauf verzichtet, den Tempodribbler aus dem Tessin in einen Zweikampf zu zwingen.
«Auch sie sind am Leiden»
Am Ende bleibt GC ein Punkt, eine Ehrenmeldung zumindest angesichts von Luganos Tabellenplatz und Plänen. Schällibaum beginnt von ganz viel Positivem zu reden, was er von seiner Mannschaft gesehen hat: taktisch unglaublich diszipliniert, sehr solidarisch, Zweikämpfe angenommen (ausser einmal Paskotsi), gekämpft. So zählt er das auf. Und sagt: «Das sind gute Jungs. Darum schütze ich sie. Auch sie sind am Leiden, darum rede ich von der Intensivstation. Aber wir machen alles, damit wir aus dem Scheiss rauskommen.» Fussballersprache ist manchmal derb.
Was kann der Punkt langfristig bedeuten?, wird Schällibaum gefragt. Irgendwie versteht er die Frage falsch, jedenfalls münzt er sie auf seine Position als Trainer, die wegen der aktuellen Lage schon öffentlich diskutiert worden ist. Er habe es schon mal gesagt, antwortet er, er sei nicht die wichtigste Person im Club.
Am Sonntag geht es nach Luzern. Schällibaum sagt: «Ich glaube, dass ich dann noch auf der Bank sitze. Ich glaube, dass es so ist.» Und mit Blick zu dem Journalisten, der ihn gefragt hat, schiebt er nach: «Vielleicht wissen Sie es besser.»
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