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Der Kultclub aus dem Westen
In der Nacht wacht der Chef schweissgebadet auf

BOCHUM, GERMANY - SEPTEMBER 21: Peter Zeidler, Head Coach of VfL Bochum, reacts during the Bundesliga match between VfL Bochum 1848 and Holstein Kiel at Vonovia Ruhrstadion on September 21, 2024 in Bochum, Germany. (Photo by Christof Koepsel/Getty Images)
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Tief im Westen, wo nach der Erzählung von Herbert Grönemeyer die Sonne verstaubt, spannt sich der Himmel dunkelblau über Bochum. Es ist an diesem Samstag spätsommerlich warm, als Spannung in der Luft liegt und eine besondere Erwartungshaltung: Der VfL empfängt Holstein Kiel. Dabei geht es um diese eine Frage: Wenn nicht gegen den ebenfalls noch punktelosen Aufsteiger, gegen wen will der VfL sonst gewinnen?

Zwei Abende vorher lässt es sich Ilja Kaenzig bei Antipasti und Seezunge gut gehen. Das Ristorante Momo liegt gleich beim Ruhrstadion und gehört zu seinen Bochumer Stammlokalen, weil er nur zwei Stockwerke oberhalb wohnt, mit direktem Blick auf seinen Arbeitsort. 

Seit Februar 2018 ist der 51-jährige Kaenzig, auch er ein Mann aus Sursee, verantwortlich für die Geschäftsführung des VfL. Zusammen mit den Kollegen von Vorstand und Management versieht er seine Arbeit so gut, dass der Club dafür gemäss der jüngsten repräsentativen Umfrage unter Fans mit einer 1,63 die zweitbeste Note erhält – hinter Leverkusen und deutlich vor Bayern München.

Natürlich freut ihn das, weil es die Bestätigung der Plätze 1 und 4 in den Vorjahren ist. Wenn da bloss nicht dieser schlechte Start in die Saison wäre. Manchmal wacht er morgens um 4 Uhr auf und ist schweissgebadet, weil ihm die Situation Sorgen bereitet. 

Im Cup in der ersten Runde in Regensburg ausgeschieden, in der Bundesliga am Tabellenende nach einem 0:1 in Leipzig, einem 0:2 gegen Mönchengladbach und einem 1:2 in Freiburg – macht unter dem Strich vier Niederlagen in vier Pflichtspielen, bevor Kiel anreist. Kaenzig will sich lieber nicht vorstellen, wie die Stimmung bei einer weiteren Niederlage wäre.

Leben zwischen Monumenten

Am frühen Freitagnachmittag hält Peter Zeidler seine Pressekonferenz ab, im Sommer hat er den FC St. Gallen nach sechs emotionalen Jahren verlassen und sich mit dem Wechsel nach Bochum den Traum verwirklicht, in der Bundesliga als Cheftrainer zu arbeiten. «In der Bundesliga zu arbeiten, ist speziell», sagt er, «und in Bochum ist es noch spezieller.»

62 ist er seit Anfang Monat, aber energiegeladen, als wäre er 22. Und er ist hier, weil er sich bei den entscheidenden Gesprächen besser präsentierte als seine letzten Mitbewerber: Enrico Maassen, inzwischen sein Nachfolger in St. Gallen, und André Breitenreiter, vor zwei Jahren Meister mit dem FC Zürich. 

Kaenzig und Zeidler kennen sich aus Sochaux, wo der eine Vorstandsvorsitzender war und der andere ein knappes Jahr zuständig für die Mannschaft, bevor er in die Ostschweiz ging. In Bochum hat Zeidler nun das volle Anforderungsprofil zu erfüllen: gut kommunizieren, um Ruhe zu haben, «leistungsmässig überperformen», weil alles andere für den Ligaerhalt nicht reicht, und seine Erfahrung in der Menschenführung einbringen. So umschreibt das Kaenzig.

Unverkennbar das Stadion: Die Heimat des VfL mit seinem rauen Charme.

Bochum ist einer der ruhigeren Standorte in Deutschland, hier ist es noch anders als bei den beiden Monumenten, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft ausbreiten. Da ist zum einen der Krösus Borussia Dortmund, 17 km entfernt, zum anderen das faszinierend chaotische Schalke, auch nur 25 km entfernt. Bochum liegt eingeklemmt dazwischen und versucht eine Nische zu besetzen. Und tut das mit gewissem Erfolg: Nirgends fahren die Auswärtsfans lieber hin als ins Ruhrstadion mit seinem rauen Charme. «Bei uns gibt es Bier und kein Bling-Bling», sagt Kaenzig. 26’000 drängen sich auf die vier Tribünen, ein Ausbau ist nicht möglich, weil sonst die Betriebsbewilligung verloren ginge. 

«Verliebt fürs Leben!»

Letzte Woche hat der Club sein 30’000. Mitglied begrüsst, er hat 30’000 Trikots verkauft. Davon berichtet Kaenzig stolz. Und «anne Castroper», wie der Einheimische das Stadion an dieser Strasse nennt, verkünden grosse Plakate den neuen Werbeslogan des VfL: «Verliebt fürs Leben!»

Mit Personalkosten von 12 Millionen Euro kehrte der Club 2021 in die Bundesliga zurück. Inzwischen ist dieser Budgetposten auf 41 Millionen angewachsen. Auf den ersten Blick mag das viel sein. In der Bundesliga haben aber nur St. Pauli und Kiel weniger zur Verfügung, die beiden Aufsteiger und Nachbarn Bochums am Tabellenende. Bayern München gibt das Zehnfache fürs Personal aus. Darum sagt Kaenzig gerne: «Die Bundesliga ist unsere Champions League.»

Am Freitag also sitzt Zeidler vor dem Spiel gegen Kiel im Presseraum, wie er so in Presseräumen sitzt, immer in Bewegung. Dann kommt diese eine Frage, die er erwarten musste: «Herr Zeidler, ist das ein kleines Entscheidungsspiel für Sie?»

Er schaut leicht irritiert auf den Journalisten. «Können Sie nochmals Ihren Namen sagen? Sie sind neu hier.» Nach kurzer Aufklärung sagt er: «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Das ist meine Antwort.» Und nachdem der Journalist nachgehakt hat, sagt er: «Das ist eine tolle Aufgabe hier. Und der Höhepunkt der Woche ist das Spiel. Und darauf freuen wir uns.»

Samstag um 15:30 geht es los. Eigentlich schon ein paar Minuten vorher, weil dann eben Grönemeyers Hymne «Bochum» läuft, wie seit Jahren vor jedem Heimspiel. Dem Sohn der Stadt ist 1984 die wunderbare Ode an die Stadt gelungen: «Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau / Du liebst dich ohne Schminke, bist ne ehrliche Haut / Leider total verbaut, aber grade das macht dich aus.» Und an den Club: «Machst mit nem Doppelpass / Jeden Gegner nass, du und dein VfL.» Das ganze Stadion singt mit. 

Bochum hat im Sommer gewichtige Abgänge gehabt, Takuma Asano ging nach Mallorca, Kevin Stöger nach Mönchengladbach und Keven Schlotterbeck zurück nach Freiburg und von dort weiter nach Augsburg, alles Orte, an denen mehr gezahlt wird. Die Neuen haben keine berühmten Namen, weil sich der VfL sie nicht leisten kann. Die 1,5 Millionen, die er vor zwanzig Jahren für einen jungen Dänen namens Bechmann ausgab, stellen bereits einen Vereinsrekord dar.  Das in einer Liga, in der Harry Kane 100 Millionen kostet.

Zeidlers spezieller Entscheid

Sportchef Marc Lettau ist von den Neuen überzeugt, Zeidler dagegen sagt, man müsse fleissig trainieren, um die Defizite wettzumachen. Das sorgt für Spannungen zwischen den beiden. Zeidler möchte mutigen, vertikalen Fussball, so wie in St. Gallen eben. Gegen Kiel bekommt er ihn nicht und holt nach einer Viertelstunde einen Innenverteidiger vom Platz. Erhan Masovic habe ihm zu viel quer und zu langsam gespielt, erklärt er seine spezielle Massnahme. 

Kiel geht 1:0 in Führung. Der VfL reagiert mit zwei Toren bis zur Pause. Es sieht gut aus. Nur Kaenzig jubelt nicht. Er zieht auf seinem Sitz verstohlen an einer Zigarette. Die Anspannung ist ihm anzusehen.

BOCHUM, GERMANY - AUGUST 31: Ilja Kaenzig, chairman is seen prior to the Bundesliga match between VfL Bochum 1848 and Borussia Mönchengladbach at Vonovia Ruhrstadion on August 31, 2024 in Bochum, Germany. (Photo by Christof Koepsel/Getty Images)

Was folgt, ist eine richtig schlechte zweite Halbzeit von Bochum, in der nichts von Zeidler-Fussball zu sehen ist. Dass der Trainer in seiner Coachingzone ruhe- und rastlos ist, ändert nichts daran. In der 89. Minute fällt der 2:2-Ausgleich für Kiel. Das Publikum ist konsterniert. Kaenzig fällt alles aus dem Gesicht. In der 94. Minute landet ein Bochumer Kopfball am Pfosten.

Später sagt Zeidler: «Zehn Zentimeter fehlen zum Sieg. Aber wir müssen das Spiel einfach über die Runden bringen.» Er sitzt inzwischen im VIP-Raum mit Kaenzig am Tisch, auch lange nach dem Spiel noch aufgedreht, immer mit einem Wort für einen Fan, der vorbeikommt. Er hat keine Berührungsängste, darum ist er oft in der Stadt unterwegs, um Nähe zu zeigen, wie er das schon in St. Gallen so hielt.

Vor zwei Jahren starteten die Bochumer mit acht sieglosen Spielen in die Saison, vor einem Jahr gar mit neun. Da brauchen diesmal ein Punkt und Platz 16 nach vier Runden noch kein Schreckensszenario zu sein. Zum Abschied sagt Zeidler: «Nächste Woche ist ein anderes Spiel.» Gegner ist Dortmund.

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