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GC-Ausnahme Justin Hammel
«Als Goalie hat er einen Kühlschrank im Kopf»

Immer Ordnung im Leben: Justin Hammel macht sich fürs Training auf dem Campus bereit.
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In Kürze:
  • Justin Hammel überzeugt bei GC als verlässlicher Goalie mit einem rationalen und disziplinierten Charakter.
  • Er liebt Struktur, Effizienz und bleibt unauffällig im Hintergrund.
  • Trotz gesundheitlicher Herausforderungen hat Hammel nie an seinen Zielen gezweifelt.

Zuerst mag Justin Hammel nicht reden. Er möchte lieber an die Arbeit denken. Nachdem er nochmals in sich gegangen ist, sitzt er ein paar Tage nach der Absage dann doch im Campus der Grasshoppers an einem Tisch und erklärt: «Es geht nicht darum, dass ich mir für ein Interview keine Zeit nehmen will. Aber es gibt Sachen, die mir mehr helfen, ans Ziel zu kommen.»

24 ist Hammel seit Anfang Dezember, erst 24, weil er abgeklärt ist, als sei er schon viele Jahre älter. «Er ist ein Rationalist», sagt sein Goalietrainer Jörg Stiel.

Wahrscheinlich gibt es keinen, der Hammel besser kennt als Stiel, einst selbst Torhüter und Captain der Nationalmannschaft. Von den Grosstaten seines Trainers hat Hammel selbst nicht viel mitbekommen. Sie liegen auch schon über zwei Jahrzehnte zurück. Gut, von dem Moment, als Stiel bei der EM 2004 gegen Kroatien einen Ball auf dem Bauch liegend kurz vor der Torlinie mit dem Kopf abwehrte, weiss auch er. Aber dass es nicht mehr ist, passt ganz zu Hammels Denken und Wesen: Er will sich nur mit dem beschäftigen, was wichtig für ihn ist.

Die «Monsterparade» in der 95. Minute

Seit eineinhalb Jahren ist er die Nummer 1 der Grasshoppers, und es sind schwierige eineinhalb Jahre, in denen sich viel ändert, Besitzer, Präsidenten, Sportchefs und Trainer, und doch nichts wirklich besser wird. Das hat zur Folge, dass die Mannschaft seit dem Sommer 2023 praktisch nur gegen den Abstieg spielt. Letzte Saison schaffte sie den Ligaerhalt erst in der Barrage, jetzt nimmt sie am Samstag in Sitten das Programm als Vorletzter auf.

Mit Hammel hat das nichts zu tun, im Gegenteil: Keiner spielt so beständig wie er. Oder anders gesagt: Wären alle so gut wie er, würde GC ganz andere sportliche Ziele erreichen. Und nie war er so wertvoll wie in der 95. Minute des Barrage-Rückspiels in Thun, als er einen Ball von Castroman aus drei Metern abwehrte und damit den Ligaerhalt sicherte.

«Eine Monsterparade», sagt Stiel. Dennoch bleibt von jenem Maiabend in Thun nicht sie speziell in Erinnerung, sondern es ist das Interview von Amir Abrashi, als seine Emotionen mindestens auf 180 drehten. Dass es so war, passt zu Hammel und passt ihm auch. «Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt», sagt er, «ich mache mein Zeug lieber im Hintergrund. Das ist Teil meiner Persönlichkeit, meines Charakters.»

Ein Tumor in der Hüfte

In Hammels Leben und Spiel ist alles auf Struktur und Effizienz angelegt. Struktur bedeutet für ihn, dass er die Informationen aufnehmen kann, wie sich ein Spiel entwickelt und verändert und wie er sich daran anpassen muss. Mit Stiel hat er das so oft im Training geübt, dass er inzwischen automatisch auf eine Situation reagieren kann. «Das hilft, weil man im Spiel nicht viel Zeit hat», sagt er.

Schon früh hat er gemerkt, dass er gern Ordnung hat, weil er dann den Überblick bewahren kann. «Das ist im Kopf so, weil dann meine Gedanken geordnet sind. Das ist in der Kabine so, weil mein Platz aufgeräumt ist. Das ist daheim so, weil keine Socken herumliegen. Das hilft, wenn man spontan reagieren muss. Dann weiss ich, was wo ist, und verliere nicht unnötig Zeit. Das ist einfach effizient.» Und er schiebt nach: «Das ist auch so ein Wort, das ich gern habe. Effizient.» Ein Lächeln huscht kurz über sein Gesicht.

Hammel kommt aus Oberwil BL, geboren als Justin Pete. Justin, weil das seinen Eltern offensichtlich gefällt, und Pete, weil sein Vater Fan des grossen Tennisspielers Pete Sampras ist. In Oberwil stellt er sich erstmals in ein Fussballtor, weil sonst kein anderer da ist. Und da bleibt er, weil ihm diese Position gefällt und er merkt, dass er gut ist.

Als er 12 ist, beginnt sich ein Tumor in seine rechte Hüfte zu fressen. Er ist gutartig, verzögert aber die Entwicklung. Nach drei Jahren und drei Operationen hat Hammel alles überstanden. Selbst in dieser Zeit hat er nie befürchtet, dass sein Traum schon früh enden könnte. Vielmehr denkt er heute, diese Krankengeschichte habe ihn stärker gemacht, weil er seinen Körper besser kennen gelernt habe.

FC Lugano gegen Grasshopper Club Zürich, Torhüter Justin Hammel (GC) macht einen Hechtsprung, um den Ball zu fangen, 20.07.2024.

Mit 13 wechselt er zu den Old Boys. Drei Jahre später ist er schliesslich beim grossen FC Basel. Werner Mogg ist da sein Trainer, dieser Mogg, der im Basler Nachwuchs eine Institution ist und all die Xhakas und Shaqiris am Anfang ihres Weges nach ganz oben begleitet. In der U18, von Alex Frei betreut, trifft Hammel auf Stiel. Und findet in ihm seinen Mentor.

In der U21 spielt er in eineinhalb Jahren nur dreimal. Dass ihm das nicht reicht, liegt bei seinem Ehrgeiz nahe. Er weiss, viele Optionen bieten sich in den beiden Schweizer Profiligen nicht – schon gar nicht für einen, der jung ist und kaum Einsätze hat. Basel zu verlassen, fällt ihm nicht schwer, weil er sich schon seit ein paar Jahren bereit fühlt, auch allein zu leben. Sein Berater organisiert ihm ein Probetraining bei Stade Lausanne-Ouchy, sicher keine Traumadresse, aber immerhin Challenge League.

Hammel besteht den Test und beginnt die Saison 2020/21 als Goalie Nummer 3. Und wieder zweifelt er nicht an sich. Er weiss: Er braucht nur eine Chance, und ebenso weiss er, dass er sie packt, wenn er sie bekommt. So viel an Selbstsicherheit gehört zu seinem Rüstzeug. Nach sechs Monaten steht er im Tor und geht erst wieder raus, als ihn Jörg Stiel im Sommer 2022 von einem Wechsel zu GC überzeugt. Kurz zuvor hat er die Matura gemacht.

Bloss keine unnötige Show

Bei GC ist er im ersten Jahr noch der Stellvertreter von André Moreira. Als sich der Portugiese verletzt, kommt er bald zum Debüt, ausgerechnet im St.-Jakob-Park von Basel. Einmal stürmt er aus dem Tor, und weil sein Entscheid zu einem Missverständnis mit Teamkollege Margreitter führt, fällt ein Treffer. Danach sagt er: «Wichtig ist, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, auch wenn es nur die zweitbeste gewesen ist.» GC verliert 1:5.

Bei Hammel bleibt davon nichts hängen, weil das nicht zu seinem Denken passen würde. Im Campus sagt er: «Ich muss mich jeden Tag aufs Neue beweisen. Für mich beginnt jeder Tag bei null. Eine solche Szene wie in Basel verarbeite ich gleich wie eine Parade in Thun. Ich überlege nicht, weil das Spiel gleich weitergeht. Wieso soll ich mir auch Gedanken machen? Es wartet immer eine nächste Aktion auf mich.»

Dreimal darf Hammel während seiner Lausanner Zeit für die Schweizer U21 auflaufen. Vor bald zwei Jahren erhält er letztmals ein Aufgebot. Seither findet er beim Verband keine Beachtung mehr, was wiederum Stiel nicht verstehen kann. Natürlich mag er vorbelastet sein, weil Hammel nicht nur sein Schützling ist, sondern schon fast sein Lieblingsprojekt. Dennoch ist er überzeugt: «Justin ist nicht schlechter als Loretz oder Keller.» Der Luzerner und der Berner haben bei Murat Yakin bereits schnuppern dürfen.

Hammel sieht das entspannt, er weiss, dass sehr viel passieren muss, um im Nationalteam eine Perspektive zu haben. Über Jahre verbauten Diego Benaglio und Yann Sommer den Weg ins Tor, jetzt macht sich Gregor Kobel an diese Arbeit. «Es mag doof tönen», sagt Hammel, «aber es kommt immer, wie es kommt.»

Auch das ist Hammel: die Emotionen gut unter Kontrolle. «Als Goalie hat er einen Kühlschrank im Kopf», sagt Stiel. Er meint es als Kompliment für einen Spieler, der so anders ist als andere. So anders als Abrashi, der sich von seinen Gefühlen mitreissen lässt. Oder als der St. Galler Lawrence Ati Zigi, bei dem die Show gern zu einer Parade gehört.

Hauptsache, es gibt kein Tor

Was Hammel auszeichnet, ist sein Gespür, richtig zu stehen und schon da zu sein, wo der Ball hinkommt. Das sieht dann nicht spektakulär aus. Aber es ist, was er liebt: effizient. «Ich bin mit mir im Reinen», sagt er. «Mir ist egal, was andere von mir denken. Mir bereitet Freude, wenn ich merke, es stimmt für mich. Hauptsache, ich halte den Ball. Mir ist viel lieber, ich halte den Ball fest und kann den Gegenangriff einleiten, als wenn ich noch eine Riesenparade mache, aber so einen Corner verschulde.»

Dass er im Tamedia-Podcast «Dritte Halbzeit» zum besten Goalie der letzten Saison gewählt wurde, das freut ihn dann doch.

Er selbst ist keiner, der auf andere Goalies schaut. Er konsumiert keine Fussballspiele, weil er lieber selbst spielt, als anderen dabei zuzuschauen. Zumal er lieber früh ins Bett geht, um fit für seinen Beruf zu sein. Um Inspiration zu finden, schaut er Skirennen, Tennis, amerikanischen Sport oder jetzt die WM der Handballer, wo ihn zum Beispiel die Goalies mit ihrer Beweglichkeit beeindrucken.

Was im Gespräch mit ihm noch bleibt, ist diese eine Frage: Wo soll sein Weg hinführen? Natürlich möchte er so weit nach oben wie möglich. Nur weiss er, wie abhängig er von anderen ist, gerade auf seiner Position, wie komplex der Fussball ist und wie subjektiv die Wahrnehmung. Zuerst einmal ist er froh, dass seine unmittelbare Zukunft geregelt ist. Weil er diese Saison bereits auf 18 Einsätze kommt, hat sich sein Vertrag automatisch um zwei Jahre bis 2027 verlängert.

«Ob ich glücklich darüber bin? Ja, weil ich die Garantie habe, dass ich zwei Jahre länger Fussball spielen kann. Das ist auf jeden Fall besser, als nicht zu wissen, wie es im Sommer aussieht.» Und wer weiss, vielleicht kommt selbst bei GC wieder einmal alles gut.

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