Ein Buch über die schwierige Ankunft einer Asylsuchenden
Elvan Göktas schrieb ein Buch über ihre Flucht aus der Türkei und die lange Ankunft in Richterswil. Am Freitag fand im Kirchgemeindehaus in Wädenswil die Buchvernissage statt.

Die Wohnung verliessen sie so wie am Tag zuvor, als sie zur Schule ging. Die Lebensmittel waren noch im Kühlschrank. Was dem elfjährigen Mädchen zuerst wie ein kurzer Ausflug erschien, entpuppte sich als Flucht. Aus Istanbul nach Richterswil.
Wädenswil, 28 Jahre später, am vergangenen Freitagabend: Elvan Göktas sitzt vor vollen Stuhlreihen im Kirchgemeindehaus. Im Publikum befinden sich unter anderem ihre Eltern, Geschwister und ihr Sohn. Hardy Ruoss, der bekannte Literaturkritiker aus Richterswil, ist ebenfalls anwesend. Er sitzt zu Göktas Rechten und stellt ihr Fragen. In der Hand hält er ein violettes Buch, zu seiner Begeisterung ein fadengebundenes.
«Als stünde es auf meiner Stirn geschrieben. Die Geschichte einer Flucht» heisst der Titel. Die Autorin, es lässt sich erahnen, ist Elvan Göktas, die im Alter von elf Jahren zusammen mit ihrer Familie aus der Türkei flüchten musste. Dies ist ihre lang ersehnte Buchvernissage.
Feindliche Stimmen
Nebst der Flucht behandelt das Buch vor allem die Ankunft im fremden Land. «Die Furcht» – ob in der Türkei oder der Schweiz – «veränderte nur ihr Gesicht», liest Göktas vor. Als Beispiel nennt sie ein prägendes Ereignis kurz nach der Ankunft der Familie in der Asylunterkunft in Richterswil: Diese fiel einem Brand zum Opfer. Göktas bedankt sich über die Unterstützung vieler Dorfbewohner, die der Familie eine vorübergehende Unterbringung ermöglicht haben. Wie sie Jahre später von einer Drittperson erfuhr, habe es jedoch auch feindliche Stimmen gegeben. Göktas liest vor: «Ein Feuerwehrmann, der bei den Löscharbeiten dabei war, sagte lauthals: ‹Schade, dass sie nicht alle verbrannt sind!›»
Ausländerin trotz rotem Pass
Ruoss rekonstruiert die Entstehungsgeschichte des Buches zusammen mit der Autorin, dem Verleger Benno Bühlmann vom Luzerner db-Verlag sowie der Lektorin Martina Läubli. Von Göktas erfährt er, dass sie durch die Beantwortung von amtlichen Briefen im Namen ihrer Eltern rasch eine gewisse Sicherheit im Umgang mit der deutschen Sprache erlangte. Im Alter von 25 Jahren habe sie dann den Drang verspürt, ihre Geschichte aufzuschreiben, sagt sie. Ihr Ziel: den Menschen zu vermitteln, wie sich eine Asyl suchende Person fühle.
Zu diesem Zeitpunkt habe sie sich selbst noch als Asylantin identifiziert. Dabei lebte Göktas damals bereits seit 14 Jahren in der Schweiz, besass seit mehreren Jahren den Schweizer Pass. Ihr Name und Akzent habe ihre Herkunft aber jeweils verraten. In der Sehnsucht nach einer Heimat beschloss sie eines Tages – und diese Passage liest Göktas mit strahlendem Leuchten in den Augen vor –, «eine von hier zu werden».
Mit Hartnäckigkeit zum Ziel
Dieselbe Hartnäckigkeit legte Göktas im Entstehungsprozess ihres Buches an den Tag, welcher von der Idee bis zum Druck 15 Jahre dauerte. Beim Verleger Bühlmann war bis zum ersten Telefonat ein zweiwöchiger Telefonsturm notwendig. Anschliessend folgte ein persönliches Treffen am Bahnhof Luzern, bei dem Göktas das Manuskript überreichte. Für diese Hartnäckigkeit bedankt sich Bühlmann am Ende der Buchvernissage.
Göktas Geschichte hinterlässt gemischte Emotionen: einerseits Freude für jemanden, der im Ausland nach langem Kampf endlich seine neue Heimat gefunden hat; andererseits Wut darüber, dass sich dies als eine mindestens so beschwerliche Odyssee erwies wie die Flucht an sich.
Elvan Göktas: Als stünde es auf meiner Stirn geschrieben. Die Geschichte einer Flucht. db-Verlag, Luzern 2017. ISBN 978-3-905388-49-7. www.db-verlag.ch.
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