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Flutkatastrophe in Libyen
Wütende Bürger zünden das Haus des Bürgermeisters an

TOPSHOT - People gather for a demonstration outside the surviving Al-Sahaba mosque in Libya's eastern city of Derna on September 18, 2023, as they protest against government neglect to the two dams which broke and led to the deadly flash floods that hit the city the prior week. A week after a tsunami-sized flash flood devastated the Libyan coastal city of Derna, sweeping thousands to their deaths, the international aid effort to help the grieving survivors slowly gathered pace. The enormous flood, fuelled by torrential rains on September 10, had broken through two upstream dams and sent a giant wave crashing down the previously dry river bed, or wadi, that bisects the city of about 100,000 people. (Photo by Hussam AHMED / AFP)
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Anfang der Woche haben sie das Haus des Bürgermeisters von Derna angezündet. Beliebt soll er nie gewesen sein, Abdulmenam al-Ghaithi, der sein Amt nicht dem Willen der Wähler zu verdanken hat, denn freie Wahlen gibt es nicht im Osten des zweigeteilten Libyens. Auch sind keine besonderen Kompetenzen bekannt, die Ghaithi für das Bürgermeisteramt in Derna befähigen.

Die Stadt an der libyschen Küste, in der vor der Flutkatastrophe vom 11. September noch ungefähr 100’000 Menschen lebten, hätte nach Jahren des Niedergangs einen geschickten Bürgermeister gebrauchen können. Ghaithi aber ist vor allem ein Gefolgsmann von Khalifa Haftar, dem Warlord, der den Osten Libyens wie sein Familienunternehmen führt und ihn nach Belieben ausplündert.

In Derna richtete sich der Zorn noch nicht gegen Haftar selbst, aber zumindest gegen seinen Statthalter. Die Bürger machen den Bürgermeister dafür verantwortlich, dass sie vor der Flutkatastrophe zu spät gewarnt wurden. Dass zwei Dämme oberhalb von Derna brachen, die in den Jahren davor schlecht bis gar nicht gewartet worden waren.

Etwa hundert Menschen demonstrierten am Montag vor der Moschee. Danach forderten Haftars Leute Journalisten auf, die Stadt zu verlassen, angeblich, damit sie nicht die Rettungsmassnahmen behindern. Das Internet ist seit den Protesten höchstens lückenhaft zugänglich, seit Dienstagmittag soll es ganz ausgefallen sein. Technische Probleme, sagen die Behörden im Osten.

Journalisten werden zurückgeschickt

«Die Einwohner von Derna sind nicht mehr zu erreichen; sie sind von der Welt abgeschnitten, und es werden Ausreden und lächerliche Erklärungen über nicht näher bezeichnete Störungen abgegeben, ohne dass ein klarer Zeitplan für die Reparatur angegeben wird», schreibt der libysche Journalist Mohammed Elgrj auf der Plattform X. Freie Berichterstattung aus dem Katastrophengebiet sei nur sehr eingeschränkt möglich.

Seit Tagen verweigert die Regierung im Osten die Einreise; Journalisten werden am Flughafen von Benghazi zurückgeschickt. Auch die Vereinten Nationen berichten, dass der Zugang nach Derna nicht ungehindert möglich sei, ein UNO-Team habe umkehren müssen.

Der Osten Libyens unter der Kontrolle von General Haftar wird letztlich wie eine Militärdiktatur regiert, wie eine Kolonie, die nach Gutdünken ausgeplündert werden kann. Haftar war ein Getreuer des Langzeitdiktators Muammar al-Gadhafi, die zwei zerstritten sich, Haftar ging in die USA und kam im Arabischen Frühling 2011 zurück. Nach dem von der Nato unterstützten Sturz Gadhafis glitt Libyen in einen Bürgerkrieg, seit Ende 2020 gibt es eine international anerkannte Regierung in Tripolis und Haftars Reich im Osten.

Mit dem Vorsitz der Notfallkoordination hat Khalifa Haftar seinen Sohn Saddam betraut. Er nennt sich Brigadegeneral.

In dieses Reich fliessen nun viele Millionen Euro Hilfsgelder. Etliche Geber hatten gehofft, das Geld mit medialer Begleitung verteilen zu können, damit zumindest deutlich wird, was ankommt – und was nach der Ankunft verschwindet. Haftar ist offenbar anderer Ansicht, er schränkt den Zugang ein. Mit dem Vorsitz der Notfallkoordination hat er seinen Sohn Saddam betraut, der nicht einmal einen weiterführenden Schulabschluss besitzen soll, es aber zum Brigadegeneral gebracht hat.

This handout picture provided by the Media office of Khalifa Haftar on August 24, 2023, shows Russia's Deputy Defence Minister Yunus-bek Yevkurov (L) offering a pistol as a gift to Libyan military strongman Khalifa Haftar (C), during his visit to Benghazi. Russian military officials led by Yevkurov arrived in Libya on August 22 after receiving an invitation from Haftar, who backs the Libya's eastern administration, and is close to Russia's private Wagner mercenary group, whose troops guard military and oil infrastructure in the divided country. (Photo by Media office of Khalifa Haftar / AFP) / === RESTRICTED TO EDITORIAL USE - MANDATORY CREDIT "AFP PHOTO / HO /MEDIA OFFICE OF KHALIFA HAFTAR" - NO MARKETING NO ADVERTISING CAMPAIGNS - DISTRIBUTED AS A SERVICE TO CLIENTS ===

Laut einem UNO-Report von 2018 soll Saddam Haftar für die Plünderung von Konten der libyschen Zentralbank verantwortlich sein, dort verschwanden etwa zwei Millionen Euro und fast 6000 Silbermünzen. Nun werden noch mehr Schätze kommen, wenn nicht in bar, so doch als Hilfslieferungen. Haftars Sohn sieht sich offenbar als derjenige, der entscheidet, wer sie bekommt.

Ein Foto auf X zeigt Saddam und drei Beamte des russischen Verteidigungsministeriums, wie sie sich zu Beginn der Krise über eine Landkarte beugen. Russland ist mit den Haftars verbündet, genau wie die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Fernsehsender al-Hadath die Protestierenden in Derna in die Nähe von Terroristen bringt.

Eine Million Migranten

Europäische Diplomaten berichten, man «beobachte aufmerksam», wie die Medienarbeit im Osten Libyens behindert wird. Öffentlich kritisiert hat man die Vorgänge aber bisher nicht. Viele Regierungen in Europa sehen in General Haftar eine Figur, an der man nicht vorbeikommt, wenn es darum geht, im geteilten Libyen wieder gemeinsame Wahlen zu ermöglichen.

Ausserdem gilt Haftar als nützlich für das Bestreben, die Überfahrt von Migranten nach Europa zu verhindern: Bis zu einer Million sollen sich in beiden Teilen Libyens aufhalten, um einen Weg nach Norden zu suchen. Das Land heisst die Migranten als Einkommensquelle willkommen, man kann sowohl mit dem Menschenschmuggel als auch mit seiner Verhinderung Geld machen. Im Mai war Haftar zuletzt in Rom, um Premierministerin Giorgia Meloni zu treffen. Er wird ihr einen Preis genannt haben, zu dem er bereit ist zu helfen.