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Fifty Shades of Micky

Verkehrte Welt: Micky, gezeichnet vom deutschen Comicautor Flix, flieht von rechts nach links. Bild: Egmont Comic Collection
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Tür auf, Micky rein, Micky raus, Tür zu. Was braucht ein Comicband mehr? Ja, das Konzept hinter «Micky All-Stars» scheint simpel. Ungleich spannender ist allerdings die Vorgeschichte zu diesem Band über eine der berühmtesten Comic- und Trickfilmfiguren, und die geht so: 2016 begann der französische Comicverlag Glénat eine Hommagereihe herauszugeben, in der europäische Comiczeichner die bekannten amerikanischen Disney-Figuren neu interpretierten. Mal sah man Micky als Hollywood-Drehbuchautor in den Zwanzigerjahren, mal als Arbeitslosen zur Zeit der Grossen Depression, mal tauchte er in angeblich verschollenen Strips aus den Sechzigerjahren auf, zuletzt wurde er gar zum Superhelden, Pardon: zu Super-Micky umfunktioniert.

In all diesen Bänden liess sich erahnen und auch entdecken, was man bei den amerikanischen Originalcomics seit längerem vermisste: Es waren Geschichten, die mit Gesellschaftskritik oder forscher Erzählweise punkteten und die zugleich zeichnerische Verneigungen vor grossen Disneyzeichnern wie Floyd Gottfredson waren.

Manchen gelingt ein inhaltliches und formales Feuerwerk

«Micky All-Stars» geht nun noch einen Schritt weiter: Das Hommage-Konzept wird da insofern verdichtet, als knapp fünfzig europäische Comiczeichner eine Geschichte beisteuerten (der Band erschien 2019, also leicht verspätet zum 90. Geburtstag der Disney-Maus). Die einzige Vorgabe lautete: Micky muss stets durch eine Tür hereinkommen und am Ende wieder durch eine Tür abtreten. Simpel?

Wer im Band stöbert, erkennt rasch, dass da doch ein beträchtliches Gefälle bezüglich Stilistik und Originalität herrscht. Es gibt Geschichten, die man beim Umblättern schon vergessen hat; die Kurzform ist definitiv nicht jedes Künstlers Ding. Aber dann sind da auch Storys, die auf knappem Raum ein inhaltliches und formales Feuerwerk zünden.

Etwas vom Besten hat der deutsche Zeichner Flix zu Papier gebracht: Er lässt Micky ein Spukhaus betreten, worauf dieser von Geistern, bissigen Büchern, kreidebleichen Goofys und einem Haifisch attackiert wird. Auf seiner Flucht ins Freie folgen wir Micky kreuz und quer durch das Haus, wobei sich die Leserichtung aufgrund diverser Fallen und Fieslinge so oft ändert, dass man mit den Augen fast ins Schleudern gerät. Flix, dem zuletzt die Ehre zuteilwurde, als erster deutscher Zeichner ein «Spirou»-Album zu zeichnen, gelingt da ein One-Pager der Extraklasse.

Vom eigenen Gebrüll besiegt

Ähnlich verspielt punkto Form und Inhalt geht es beim Spanier José Luis Munuera zu: Hier obliegt es dem Helden, die in freier Natur an einem Seil aufgeknüpfte Minnie aus der Gewalt eines Drachens zu befreien. Das gelingt, indem Micky sein eigenes Erstaunen (das in Form eines Fragezeichens aufscheint) vom Himmel greift und als Sichel benutzt, um die Maus seines Herzens freizuschneiden. Und der Drache staunt dann auch nicht schlecht, als ihm mit einem Buchstaben seines eigenen Lautgebrülls («Rooooooarrr») das Maul zugeschnürt wird. Hallo Semiotik, kanns noch besser werden?

Die beiden Geschichten, die übrigens beide ohne Dialog auskommen, zeigen, wie man eine Disney-Figur spielend leicht in ein eigenes Universum mit eigenem Regelwerk verpflanzen kann. Simpel ist das nicht. Es ist vielmehr grosse Kunst, es genau so aussehen zu lassen.

«Micky All-Stars». Egmont Comic Collection, Berlin 2019. 48 S., ca. 44 Fr.