Ferien in Aveyron-AubracEin Stück unentdecktes Südfrankreich
Zwischen Provence und Bretagne liegt das Département Aveyron. Es hat die schönsten Dörfer Frankreichs, herrliche Landschaften, sensationellen Käse – und die vielleicht schärfsten Messer der Welt.

- In Aveyron geht es gemächlicher zu und her als anderswo in Frankreich.
- Das Département beherbergt die höchste Dichte an offiziell schönsten Dörfern des Landes.
- Viele der Städtchen zeichnen sich durch charmante Altstadtkerne aus.
- Wer gern währschaft isst, ist hier richtig.
Es läuft so manches ein bisschen anders in dieser Gegend, mitten in der «France profonde», wie die Franzosen das ländliche, oft schlecht erschlossene und – wenn man es uncharmant formulieren wollte – etwas rückständige Frankreich nennen. Das beginnt im Département Aveyron schon eingangs der Dörfer. Überall stehen die Ortsschilder auf dem Kopf. Und man fragt sich: Was soll das bloss?
Ein Zeichen, dass sich dieses Völkchen nicht so leicht von Paris aus dirigieren lässt? In der Tat: Aus Protest gegen die Agrarpolitik und aus Solidarität gegenüber den Bauern habe man die Ortstafeln umgedreht, erfahren wir. Bauern leben in dieser wild zerklüfteten Landschaft mit ihren dichten Wäldern und tiefen Schluchten, aber auch sanften Hügeln, Weiden und Hochebenen ganz viele. Tourismus ist hier Nebensache. Wer Ruhe und Natur sucht, ist im fünftgrössten Département der Grande Nation also genau richtig. Hier geht es bedächtiger, entspannter und, ja, auch einfacher zu und her.

Also tuckern wir von Saint-Étienne her gemütlich auf Nebenstrassen durch die Landschaft, die zur historischen Kultur- und Sprachregion Okzitanien gehört. Nicht nur Kilometer legt man in dieser Gegend viele zurück, auch Höhenmeter. Kaum hat man sein Auto vom Tal auf die nächste Hochebene auf 1400 Metern hochgeschraubt, gehts auch schon wieder runter. Zum Glück sind die Strassen erstaunlich gut ausgebaut.
«Milchstrasse» nennen die Einheimischen die kurvenreiche Strasse über die Hochebene des Aubrac, eine der einsamsten Gegenden Frankreichs. Mit dem Himmel hat das nichts zu tun. Vielmehr kommt der Name daher, dass hier überall die braungoldenen Kühe mit ihren geschwungenen Hörnern weiden. Sie werden «les Déesses de l’Aubrac» genannt, die Göttinnen des Aubrac. Die massigen Tiere mit den schönen hellen Umrandungen um die Augen sehen aus, als hätte man sie mit einem Kajalstift geschminkt.

Wir besuchen Bauer Serge Franc in La Terrisse Les Clauzels, in der Nähe von Laguiole. Sein Border Collie Rio hat eben die Kühe von der Weide zum Stall getrieben, ganz allein. Nun gehts ans Melken. Neben den Aubrac-Kühen stehen auch Simmentaler in seinem Stall. Diese Schweizer Kuhrasse ist hier als Milchkuh weit verbreitet. «Sie bekommen kein Silofutter, sondern naschen hier den ganzen Sommer von den feinen, über 2000 Kräutern und Blumen», erklärt er. Deshalb sei die Milch so gut. Diese liefert er nach Laguiole an die «Jeune Montagne», eine Kooperative von 74 Bauern der Region. Dort wird sie zu Käsesorten wie Tome fraîche (eine Art Tomme, aber er schreibt sich wirklich mit nur einem m), Écir oder Laguiole verarbeitet. Es braucht Kerle mit kräftigen Oberarmen, um die täglich rund 40’000 Liter Milch in den riesigen Becken zu schneiden und pressen, sobald sie geronnen sind. Danach kommen die Laibe in den Reifungskeller, wo sie regelmässig gekehrt werden, bis sie später auf den Teller kommen.
Der Tome fraîche ist die Basis für ein Gericht, um das man im Aveyron nicht herumkommt: das Aligot. Einst ein Arme-Leute-Essen, wird die Mischung aus Käse und Kartoffelstock heute manchenorts angeboten. Es muss richtig Fäden ziehen, dann ist es perfekt. Zwar ist das nicht ganz so leichte Kost. Aber es schmeckt vorzüglich zu einer würzigen Saucisse, wie wir es im Buronnier Couderc bei Philippe Gely in Aubrac genossen haben. Die Region bietet neben Aligot noch weitere regionale Spezialitäten. Farçous zum Beispiel, diese feinen Gemüseküchlein aus mit Eiern verquirltem Mangold, Spinat und Zwiebeln. Und die süsse Fouace, eine mit Orangenblüten aromatisierte Brioche, sollte man ebenso kosten.


Danach ein Whisky zur Verdauung? Klar doch, auch wenn wir im Land des Weines sind. Denn die Landschaft des Aubrac erinnert auch an Schottland: Höhe, Klima, Torfmoore und das Wasser stimmen. «Perfekt für unseren Whisky, dazu haben wir auch noch Gerste aus dem südlichen Aveyron», meint Vincent Bec stolz. Wir stehen in der Distillerie Twelve im ehemaligen Pfarrhaus von Laguiole mit der eindrücklichen Brennblase und den Holzfässern, in denen die Spirituose mindestens drei Jahre lang reift. 2013 hatten zwölf Freunde die Idee, eine Destillerie zu gründen. Deshalb der Name, aber auch, weil das Département die Nummer 12 trägt. Inzwischen sind die Whiskys von Twelve heiss begehrt und räumen an internationalen Wettbewerben immer wieder Preise ab.
Das schönste Messer Frankreichs
Eigentlich denkt man beim Namen Laguiole (ausgesprochen: Laiol) zuerst einmal an: Messer. Von hier stammen nämlich die schönsten Messer Frankreichs – oder vielleicht gar weltweit. Weit weg von Paris wurde 1828 aus einem Gebrauchswerkzeug eine Ikone. Es sollen die ersten Messer gewesen sein, die über einen anständigen Klappmechanismus verfügten.
Wenn man heute durch das Dörfchen Laguiole geht, begegnet man an jeder zweiten Ecke einem Messergeschäft. Sie sind inzwischen weltberühmt, diese Messer mit der Abeille, dem Bienen-Ornament als Markenzeichen. Wir schauen in der Coutellerie von Honoré Durand vorbei, der in seiner Fabrikationshalle auch ein kleines Museum eingerichtet hat. «Die Schmiedekunst ist das Herzstück unseres Berufs», erklärt der Messerschmied. Alle Fabrikationsphasen wie die Herstellung der Klingen, der Federn und der Bienen finden in der hauseigenen Schmiede statt. Handwerk pur.


120 Arbeitsschritte sind nötig, bis ein Messer mit dem abgerundeten, ergonomischen Griff fertiggestellt ist. Durand zeigt ein Prachtexemplar, das er gerade für einen Schweizer Kunden mit allerlei Extras – wie Mammut-Griff mit Meteorit-Einsatz – hergestellt hat. 14’000 Euro blättert dieser dafür hin. So teuer sind die normalen Messer zum Glück nicht, ab 100 Euro ist man dabei und bekommt dafür erst noch eine lebenslange Garantie.
Saint-Côme-d’Olt: Das schönste Dorf Frankreichs
Wer durch die Gegend kurvt, wird sich immer wieder die Augen reiben ob der hübschen Dörfer. In der Tat weist das Aveyron die höchste Dichte an Orten mit der Auszeichnung «Schönstes Dorf Frankreichs» auf. Eines davon ist Saint-Côme-d’Olt, das zwischen Aubrac und dem Fluss Lot liegt. Es ist bekannt für seinen krummen, gewundenen Kirchturm, seine Festungsmauern und die gesicherten Tore. Nur ein paar Kilometer entfernt liegt Estaing. Klingelt da was? Ja genau, von hier stammt der ehemalige französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing. Imposant thront das Schloss Estaing über dem 600-Seelen-Dorf. 2005 erwarb der 2020 verstorbene Politiker das denkmalgeschützte Bauwerk. Gewohnt hat er allerdings nie darin. Zusammen mit der gotischen Brücke, dem Rathaus und der Kirche gehört es heute zum Unesco-Weltkulturerbe.


Und da ist auch noch Conques mit seiner Abteikirche Sainte-Foy, berühmt für ihr Giebelfeld des Jüngsten Gerichts und den Reliquienschrein aus purem Gold. Es geht uns wie dem Schriftsteller Prosper Mérimée, der 1837 in seiner Funktion als Inspektor für Denkmalschutz über Conques meinte: «Ich hätte nie gedacht, in dieser landschaftlichen Wüste auf solche Reichtümer zu stossen.»

Das Dörfchen mit den gepflasterten Strässchen, den rustikalen Fachwerkhäusern mit den schuppigen Schieferdächern, weiteren Kirchen und Museen ist ein Juwel und sieht aus wie die Kulisse für einen Mittelalterfilm. Kein Wunder, wird Conques auch rege besucht, nicht zuletzt, weil es auf dem Jakobsweg liegt.
Chaudes-Aigues war schon in der Antike für sein heisses Wasser berühmt
Apropos Jakobsweg: Unter Pilgern gilt die Strecke von Le Puy-en-Velay bis nach Conques als das Herzstück auf französischem Boden. Auch wir gehen mit Wanderguide Gonzalo ein Stück auf dem Jakobsweg und treffen ihn im Dörfchen Aubrac. Der gebürtige Spanier kennt die Gegend wie seine Westentasche, weiss alles über die diversen Pilgerwege, die hier vorbeiführen, und marschiert ziemlich strammen Schrittes voraus. «Der Mensch hat diese Landschaft gestaltet», sagt er und zeigt über die unendliche Weite dieser Hochebene mit der roten Vulkanerde. Einst sei hier nur Wald gewesen. Nun gibt es vor allem Weideflächen, die mit Trockensteinmauern unterteilt sind. Dazwischen wachsen kleine Buchenhaine, die nicht nur den Pilgernden Schutz vor Regen bieten, sondern auch den Kühen. Die Bäume haben durch den Frass der Kühe eine lustige Form; sie spriessen immer wieder von unten neu aus.

Nur eine gute halbe Autostunde vom Aubrac-Plateau entfernt, für französische Verhältnisse ein Katzensprung, liegt das Dörfchen Chaudes-Aigues. Schon in der Antike war der Ort für sein heisses Wasser berühmt. Hier entspringen nicht weniger als 32 Quellen, darunter die Par-Quelle, mit 82 Grad die heisseste Europas. Also Achtung, wenn man die Finger hineinhält! Einst war der Kurort ein Hotspot für Thermalbehandlungen aller Art; auch das europäische Museum für Geothermik und Thermalismus steht hier.


Heute geht es in Chaudes-Aigues ruhiger zu und her. Aber noch immer kann man das Mineralwasser mit seinen schmerzlindernden und entspannenden Eigenschaften im Thermal- und Wellnesszentrum Caleden geniessen. Neben Thermalkuren gegen Rheuma wird eine Reihe von Wellness- und Fitnessbehandlungen angeboten. So wird man etwa mit einem Schlauch mit Thermalwasser abgespritzt oder unter einem Tropfenregen des wärmenden Heilwassers massiert. Definitiv ein Erlebnis der anderen Art für Wellnessverwöhnte.
Hinweis der Redaktion: Die Recherchereise für diesen Artikel wurde zum Teil unterstützt von den erwähnten Veranstaltern, Hotels und Atout France Schweiz, www.france.fr
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