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Femizid in Kosovo
Macho­kultur und Justiz­versagen – zwei Frauen­morde erschüttern das Land

Women take part in a rally for gender equality and against violence towards women to mark the International Women's Day in Pristina, on March 8, 2024. (Photo by Armend NIMANI / AFP)
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Der Mord an Gjyljeta Ukella (42) hätte vermutlich vermieden werden können. «Ich habe meine Frau erschossen», soll ihr Ehemann gesagt haben, als er sich am Dienstag der Polizei in der Stadt Peja stellte. Der mutmassliche Mörder und Vater von drei Kindern war kein Unbekannter für die Justiz, in der Vergangenheit fiel er laut kosovarischen Medien und Justizbehörden wegen häuslicher Gewalt auf. 2022 soll er dafür lediglich eine Busse von umgerechnet 400 Franken erhalten haben. Mit solchen milden Urteilen stoppt man die Gewalttäter kaum, wie die jüngste Bluttat zeigt.

Es handelt sich bereits um den zweiten Mord an einer Frau in Kosovo in weniger als einer Woche. Am vergangenen Freitag hatte ein 36-Jähriger vor dem Sozialamt in der Stadt Ferizaj seine 21-jährige Ex-Frau erschossen. Der Täter war gekommen, um das gemeinsame Kind zu treffen. Nach zwei Stunden gab er das Kind wie vereinbart zurück, zog plötzlich die Waffe, bedrohte eine Sozialarbeiterin, tötete seine ehemalige Frau und verletzte ihren Bruder.

«Nationaler Notstand»

Die tödliche Gewalt erschüttert breite Teile der kosovarischen Gesellschaft, nicht nur Frauenrechtlerinnen reagieren fassungslos. Am Montag protestierten mehrere Dutzend Feministinnen in der Hauptstadt Pristina. Sie forderten, die Gewalt an Frauen müsse als nationaler Notstand betrachtet werden.

Luljeta Demolli

Die Aktivistin und Soziologin Luljeta Demolli vom kosovarischen Zentrum für Geschlechterforschung wirft den Behörden Untätigkeit vor. Aufgabe der Regierung sei es nicht, die Leichen der Frauen zu zählen. Die Behörden müssten endlich die Gewalt gegen Frauen ernst nehmen und entschlossen dagegen vorgehen. Dazu gehöre nicht nur die harte Bestrafung der Täter, sondern auch die konsequente Beschlagnahmung der unzähligen Waffen, die im Privatbesitz seien. (Lesen Sie eine Reportage über die Rebellion gegen die Frauenmörder in Kosovo.)

Nach Angaben von Radio Free Europe wurden in den vergangenen 14 Jahren in Kosovo 57 Frauen von ihren Männern, Vätern oder Brüdern erschossen. Oft versagt die Prävention, die patriarchale Gesellschaft mit autoritären Strukturen und eine ausgeprägte Machokultur machen vielen kosovarischen Frauen das Leben zur Hölle.

Hatespeech im Internet

In den sogenannten sozialen Medien wimmelt es von frauenverachtenden Kommentaren. Die Menschenrechtsorganisation Pink Movement Kosova dokumentiert diese Hetze fast täglich. Viele Männer schreiben unter vollem Namen, nehmen die Täter in Schutz, behaupten, die Frauen hätten zu viele Rechte und würden den Männern nicht gehorchen. Anonyme Digital-Rowdys rufen offen zur Gewalt auf.

Die Aktivistinnen von Pink Movement Kosova fordern deshalb eine Taskforce der Polizei, um gegen Hassrede im Internet vorzugehen. Verschärft wird das Problem durch die finanzielle Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern oder Familien. Viele harren oft in Gewaltbeziehungen aus, weil sie keine Wahl haben. Fast 80 Prozent der Frauen in Kosovo sind nicht erwerbstätig.

Die kosovarische Justiz gilt als chronisch ineffizient und teilweise korrupt. Der links orientierten Regierung von Premier Albin Kurti ist es auch drei Jahre nach dem fulminanten Wahlsieg nicht gelungen, die Justiz zu reformieren. Was viele Beobachter befürchtet haben, ist mittlerweile offensichtlich geworden: Kurti kann mit seiner populistischen Rhetorik zwar die grosse Masse begeistern, ihm fehlen aber meist fähige und durchsetzungsstarke Macht-Manager. Das Land wird mehr verwaltet als regiert.

Staatstrauer – und ein prominenter Prügler

Nach den jüngsten Gewalttaten reagierten die Behörden mit einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit. Für heute Mittwoch ordnete die Staatschefin Vjosa Osmani eine eintägige Staatstrauer an, um der ermordeten Frauen zu gedenken. Regierungschef Albin Kurti hatte zuvor die fehlende Entschlossenheit der Justiz kritisiert, Gewalttaten an Frauen zu ahnden.

Die 42-jährige Gjyljeta Ukella wird nach Angaben ihrer Familie heute beerdigt. Gleichzeitig wurde bekannt, dass sich einer der bekanntesten Sportler Kosovos der Polizei ergeben hat. Der Judoka Akil Gjakova, der bei internationalen Wettkämpfen über 60 Medaillen gewonnen hat und für die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris vorgesehen ist, soll seine Frau verprügelt haben.

Der Judoverband Kosovos weigerte sich, das Verhalten des Kampfsportlers zu verurteilen. Man glaube an seine Unschuld, hiess es. Die Medien wurden aufgefordert, das Ansehen des mutmasslichen Gewalttäters nicht zu beschmutzen. Eine typische Täter-Opfer-Umkehr.

Die Femizide bewegen auch Menschen in der kosovarischen Diaspora in der Schweiz. Eine von der Zürcher SP-Kantonsrätin Qëndresa Sadriu-Hoxha lancierte Onlinepetition fordert die Regierung Kosovos auf, wirksame Massnahmen zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt zu ergreifen.