FahrberichtDer Skorpion sticht zu
Mit dem 600e Scorpionissima legt Abarth das stärkste Serienmodell seiner 75-jährigen Geschichte auf – und das mit reinem E-Antrieb. Wer einsteigen will, muss sich aber beeilen.

Fragen Sie mal den Käufer eines Abarth, warum er zigtausend Franken für ein Auto drauflegt, das im Grunde genommen doch ein Fiat ist. Zuerst wird er tief Luft holen, dann lang und breit erklären, dass er keinen Fiat, sondern einen Abarth fährt. Und dann werden wohl Begriffe wie Agilität, Kurvenspass, Beschleunigung oder Emotion raussprudeln.
Und sie haben ja recht, die Marken-Fans. Abarth ist mehr als nur die Tuningschmiede von Fiat. Die 1949 von Carlo Abarth gegründete Marke ist auch heute noch für viele der Käufer so etwas wie eine Lebenseinstellung: Man fährt ein kleines Auto, ist trotzdem tierisch schnell unterwegs und hat dabei riesigen Spass. Inklusive dumpf-bassigem bis heiser-röchelndem Motorsound.
Künstlicher Motorsound
Eine solche Krawallkiste ist der Abarth 600e freilich nicht, denn hier sorgt ein Elektromotor für den Vortrieb. Sound gibts trotzdem, allerdings künstlich erzeugt und von der Tonlage logischerweise deutlich zurückhaltender als bei den Verbrennern.

Aber dafür schiebt sich der nur 4,19 Meter kurze Crossover mit 207 kW/280 PS Leistung an die Spitze des – zugegeben recht kleinen – Portfolios der sportlichen Fiat-Tochter. Anders gesagt: Kein Serien-Abarth war bislang stärker und schneller als der Vollelektriker 600e Scorpionissima. Er spurtet in 5,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h und dann weiter, bis er bei 200 km/h abgeriegelt wird.
Der Spass ist allerdings limitiert. Vom Scorpionissima werden nur 1949 Exemplare gebaut – 1949 wie das Gründungsjahr des Herstellers. Kosten: stolze 51’900, mindestens. Dafür gibts neben Leistung satt eine ziemlich komplette Ausstattung und ein dunkel gehaltenes Sportwageninterieur samt Alcantarasitzen, Alupedalerie und extrovertiert grüner oder lila Metalliclackierung.
Spürbar mehr Wumms
5000 Franken günstiger ist der 600e Turismo mit «nur» 174 kW/240 PS. Die Differenz relativiert sich jedoch. Der Scorpionissima hat nicht nur spürbar mehr Wumms, sondern auch einige sinnvolle Extras an Bord. Beispielsweise eine Rückfahrkamera, die man wegen der unübersichtlichen Karosserie nicht missen will. Auch die elektrische Heckklappe oder die Verkehrszeichenerkennung nimmt man in dieser Preiskategorie gerne mit, ebenso die Möglichkeit, teilautomatisiert zu fahren.

Beide Versionen haben drei Fahrmodi, die auf die unterschiedliche Motorleistung abgestimmt sind und die Gasannahme, Lenkung und ESP-Abstimmung beeinflussen. Was bei anderen Herstellern meist Eco heisst, nennt Abarth Turismo. Im normalen 600e stehen dann 110 kW/150 PS an, im Scorpionissima sogar 140 kW/190 PS – genügend fürs alltägliche Cruisen. Die zweite Stufe zündet der Abarth im Modus Scorpion Street, und im Modus Scorpion Track liefert das System dann die volle Leistung.
Um den Fiat 600e auf Abarth-Niveau zu bringen, haben die Fahrwerks- und Motorspezialisten tief in ihre Tuning-Trickkiste gegriffen und Antrieb, Thermomanagement, Batterie, Lenkung und vieles mehr angepackt. Michelin liefert speziell für sportliche Elektroautos entwickelte Reifen. Ihre Lauffläche in der Mitte ist hart für weniger Rollwiderstand und mehr Reichweite. Die weichere Gummimischung der Seiten soll dagegen die Haftung in schnellen Kurven erhöhen. Und die Bremsen mit 38 Zentimetern Durchmesser ordern die Italiener nicht bei Brembo, sondern beim Rennsport-Spezialisten Alcon.
Traktion ist kein Thema
Heraus kam ein rundum überzeugendes Package, das in jeder Situation Leistung liefert. Am Steuer des 600e wird die Gerade nur zur notwendigen Verbindung von Kurve zu Kurve. Das Auto liegt wie das viel zitierte Brett, während der Oberkörper dank der eng geschnittenen Sitze Haltung bewahrt. Allradantrieb wäre schön, gibts aber nicht. Trotzdem ist Traktion kein Thema. Ein mechanisches Torsen-Differenzial baut bei Vollgas bis zu 36 Prozent Sperrwirkung auf und verhindert, dass die Vorderräder durchdrehen. Am Scheitelpunkt der Kurve voll aufs Pedal gehen? Klappt und wird mit heftigem Vortrieb belohnt. Auch die straffe, direkte Lenkung passt hervorragend. Schnelle und enge Rechts-links-Kombinationen lassen sich auf präziser Linie durcheilen, ohne dass Unruhe ins Fahrwerk kommt.

Dass dann der Elektromotor ruckzuck den nur 54 kWh grossen Akku leernuckelt und es eher nichts mit den versprochenen 344 Kilometern Reichweite wird, ist natürlich klar. Am nächsten AC-Lader saugt der Abarth den wertvollen Strom mit 11 kW, an Power-Charger fliesst er mit 100 kW. Für ein so kleines Auto passt auch hier die Performance.
Bleibt zum Schluss die Frage: Ist der Spass den Aufpreis gegenüber einem normalen Fiat 600e (115 kW/156 PS, ab 36’690 Franken) wert? Auf jeden Fall. Alleine schon wegen der breiteren Spur, dem tiefergelegten Sportfahrwerk und den hart zubeissenden Bremsen fährt sich der Abarth 600e wie ein völlig anderes Auto. Und cooler sieht er mit seinem Heckspoiler und den farbigen Bremssätteln auch noch aus. Ob ein rein elektrischer Abarth die hartgesottenen Marken-Fans überzeugen kann, ist allerdings eine ganz andere Frage.
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