Im Laderaum Flüchtlinge gefunden«Es war menschenunwürdig»
Die Polizei hat in Hergiswil 23 geflüchtete Männer aus einem Lieferwagen gerettet. Trotz Soforthilfe wollen die Behörden sie des Landes verweisen.

Am Bahnhof im kleinen Stansstad NW bewundern Touristen ihre Handyfotos vom Pilatus. Nur ein, zwei Querstrassen weiter sitzen vor dem Zivilschutzraum zehn erschöpft wirkende Männer auf zwei Holzbänken. Sie warten, sprechen kaum, schauen ab und zu verunsichert zum Sicherheitsmann oder zur Dolmetscherin. Sie sind ebenfalls aus dem Ausland. Doch keine gewollten Gäste.
Sie haben am Montag in der Asylunterkunft Stansstad Schutz gefunden. Sie stammen aus Afghanistan, Indien, Syrien und Bangladesh. Am frühen Montagmorgen wurden sie in einem weissen Lieferwagen mit italienischen Kennzeichen auf der A2 in Richtung Norden entdeckt.
Das Fahrzeug wurde um 6.30 Uhr im Rahmen einer zufälligen Schwerverkehrskontrolle auf einem Parkplatz in Hergiswil angehalten. Die geflüchteten Männer standen im Laderaum, sie waren ungesichert. «Auf engstem Raum für mehrere Stunden und ohne Verpflegung, Toilette oder Fenster», sagt Senad Sakic, Chef der Nidwaldner Kriminalpolizei. «Es war menschenunwürdig. So etwas habe ich noch nie erlebt.»
Einen Tag später sitzen sie unter einer gelb-blauen Fahne, die ukrainische Flüchtlinge willkommen heisst. Doch den insgesamt 23 Männern wird bereits am Dienstagnachmittag mitgeteilt, dass sie «die Schweiz umgehend zu verlassen haben».
Von Basel nach Frankreich
Der Grossteil sei unter 30 Jahre alt, sagt Senad Sakic. Der Jüngste ist 20, der Älteste 50. «Sie waren erschöpft, als wir sie aufgefunden haben, und psychisch mitgenommen, aber zum Glück nicht verletzt.» Die Polizei habe sie als erste Massnahme nach der Kontrolle sofort mit genügend Wasser versorgt und den Rettungsdienst aufgeboten.
Gemäss Aussagen während der ersten Befragungen wollten die Flüchtlinge illegal in europäische Länder ausserhalb der Schweiz reisen – England, Frankreich und Deutschland seien oft als Zieldestination angegeben worden, sagt Sakic. «Die Fahrt startete in Mailand und hatte Frankreich als Ziel. Ein Teil der Männer gab an, über Rumänien nach Italien gereist zu sein, andere waren schon in Italien.» In Mailand habe sie der mutmassliche Schlepper jedenfalls zum Lieferwagen mit Fahrer geführt.

Der 27-jährige Fahrer des Lieferwagens, ein in Italien wohnhafter Gambier, wurde festgenommen. «Bei einer ersten Befragung sagte er, er wisse nichts von den 23 Männern in seiner Fracht. Er habe einfach den Auftrag gehabt, den Lieferwagen von Mailand nach Basel zu fahren, um ihn dann einem weiteren Chauffeur zu übergeben», sagt Sakic. Die Nidwaldner Staatsanwaltschaft hat gegen ihn ein Verfahren wegen Verdachts auf Menschenschmuggel eingeleitet.
Die Chancen, dass der Chauffeur wieder auf freien Fuss kommt, stehen gut. Das zeigt das Beispiel eines anderen Lastwagenfahrers: Im August dieses Jahres hatten beim Grenzübergang Thayngen SH Mitarbeitende des Zolls zwei völlig dehydrierte Flüchtlinge aus Afghanistan aus einem Lastwagen befreit. Auch dieser Lastwagenfahrer, ein 30-jähriger Serbe, wurde vorübergehend festgenommen. Zum genauen Tathergang der mutmasslichen Schlepperaktion ermittelt die Bundespolizeiinspektion Konstanz. Der 30-Jährige wurde kurze Zeit später wieder freigelassen.
Neun Männer wollen bleiben
Weil die Identität der geflüchteten Männern nicht gesichert überprüft werden könne, wurde ihnen am Dienstag eröffnet, dass sie die Schweiz «umgehend zu verlassen» haben, wie die Abteilung Migration des Kantons Nidwalden auf Anfrage schreibt. Dagegen können die Betroffenen innert fünf Tagen Beschwerde einreichen.
9 der 23 Personen hätten vom Recht Gebrauch gemacht, in der Schweiz Asyl zu beantragen. Ihnen sei ein Zugticket ins Tessin ausgehändigt worden, damit sie sich im Bundesasylzentrum registrieren könnten, schreibt die Abteilung Migration weiter. Die restlichen Personen hätten zu Protokoll gegeben, dass sie auf der Durchreise seien.
Wohin sie ohne Schlepper gehen können und dürfen, bleibt unklar. Die Fingerabdrücke jedenfalls zeigten, dass keiner der 23 Männer vorher in einem Schengen-Land behördlich erfasst worden sei.
Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe braucht es auf jeden Fall eine Abklärung im Einzelfall, wie das von den Behörden auch in Aussicht gestellt worden sei. «Insbesondere muss die Zumutbarkeit und Zulässigkeit einer möglichen Wegweisung nach Italien oder Rumänien vertieft abgeklärt werden», sagt Sprecherin Eliane Engeler.
Klar ist für sie auch: Wenn solche Menschen mehr legale Einreise- und Weiterreisemöglichkeiten hätten, wie zurzeit etwa Ukrainerinnen, käme es nicht zu solchen gefährlichen Situationen. «Legale Reisewege würden auch zahlreiche Ausbeutungssituationen und daraus entstehende Traumata verhindern, die oft nur von Ereignissen auf der Flucht stammen.»
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