Nationaltrainer Fischer vor der WM «Es mag arrogant klingen» – das ist der Schweizer Medaillenplan
Dreimal in Folge scheiterte das Eishockey-Nationalteam nach souveräner Vorrunde im WM-Viertelfinal. Das soll sich nun in Riga ändern. Als Vorbild dienen Patrick Fischer die Rivalen.

Patrick Fischer sprach von der besten Nationalmannschaft «aller Zeiten». Er lobte die gradlinige und konsequente Spielweise, schwärmte vom 6:3-Erfolg gegen Kanada, als man den Gegner an eine Wand gespielt habe. Der 47-Jährige ist kein Fantast. In der Tat begeisterte die Schweiz an der vergangenen WM in der Vorrunde, erzielte in Helsinki erstmals in der Geschichte die meisten Tore aller Nationen. Nach einer makellosen Gruppenphase mit sieben Siegen in sieben Spielen träumten Spieler, Betreuer und Fans vom ganz grossen Coup. Bis sich in der K.-o.-Phase die erste Hürde abermals als zu hoch erwies.
13 Viertelfinals bestritt die Schweiz seit der Jahrtausendwende, gewann aber nur deren zwei: 2013 gegen Tschechien und 2018 gegen Finnland, als sie anschliessend jeweils zu WM-Silber stürmte. Zuletzt scheiterte Fischers Team dreimal in Folge im Viertelfinal: 2019 in letzter Sekunde an Kanada. 2021 im Penaltyschiessen an Deutschland. Und 2022 als Gruppensieger an den USA.
«Wir mussten in den letzten Jahren viele schmerzhafte Niederlagen einstecken und haben unser Pulver zu früh verschossen», sagt Fischer. Man habe jedoch die Lehren daraus gezogen. «Wir gingen hart mit uns ins Gericht und haben die WM-Vorbereitung entsprechend angepasst. Wir wollen die Kräfte nicht zu Beginn forcieren, wenn wir nicht dazu gezwungen werden. Es mag arrogant klingen, doch wir haben so geplant, dass wir in der zweiten Woche in Schuss kommen. So wie es die grossen Nationen auch tun.»
Für Eishockey-Grossmächte wie Weltmeister Finnland, Schweden oder Kanada stellt das Überstehen der Gruppenphase eine Selbstverständlichkeit dar. Ihr Fokus gilt von Beginn weg den K.-o.-Spielen. Den Teams gelingt es, sich während eines Turniers zu steigern. Doch wie lässt sich das planen? Nationalmannschaftsdirektor Lars Weibel präzisiert und warnt zugleich: «Es ist nicht so, dass wir mit angezogener Handbremse in die WM starten werden. Ich erinnere daran, dass die Kanadier vor zwei Jahren nur dank fremder Hilfe den Viertelfinal erreicht haben, ehe sie Weltmeister wurden. Oder dass Dänemark im Vorjahr trotz 12 Punkten in der Gruppenphase hängen blieb. Es geht vielmehr um die Denkweise und den Fokus.»
Liefern, wenn der Druck am höchsten ist
Die Nationalmannschaftsverantwortlichen sprechen von «being comfortable in the uncomfortable», von einem Wohlfühlen im Unbequemen. Fischer klärt auf: «Wenn es wirklich zählt und der Druck am höchsten ist, müssen wir ruhig bleiben, unser Spiel durchziehen und die Torchancen eiskalt ausnutzen.» Man habe dies im Training simuliert, die Spieler auch mental herausgefordert und zudem von der Euro Hockey Tour profitieren können. Das vierte und letzte Turnier hat die Schweiz, die das ausgeschlossene Russland vertritt, vorige Woche dank Siegen gegen Finnland und Tschechien auf eindrückliche Art und Weise gewonnen. Auch in dieser Kampagne gelang es dem Team, sich zu steigern. Zuvor verlor es siebenmal in Folge.

«Die Euro Hockey Tour war eine neue Erfahrung», sagt Weibel. «Wir massen uns mit den drei besten Teams Europas. Wir stecken uns hohe Ziele, arbeiten jeden Tag hart daran, sie zu erreichen. Doch wir dürfen die Zielsetzung nicht als selbstverständlich erachten. Wir sind immer noch der Underdog.» Zudem habe man festgestellt, dass die Schweizer Spieler gerade im Über- und Unterzahlspiel nicht nur Fortschritte erzielt hätten, da sie in der Liga weniger Eiszeit erhielten. Eine Folge der Erhöhung des Ausländerkontingents von vier auf sechs.
Dass das Verpassen eines WM-Halbfinals mittlerweile als Enttäuschung eingestuft wird, hat auch mit dem Selbstverständnis zu tun, das sich unter Fischer gewandelt hat. Defensiv nichts zulassen und offensiv mal einen Konter fahren, so lautete die Devise einst. Heute aber begeistert die Schweiz mit Lauf- und Tempohockey. Die Ziele sind und bleiben ambitiös. Unabhängig davon, welche Resultate in den Vorjahren erzielt wurden.
«Wir wollen in das finale Wochenende und um eine Medaille spielen», sagt der Nationaltrainer auch nun. Die Spieler seien motiviert. Und obwohl er im Kader immer wieder Änderungen habe vornehmen müssen und einige nur geringe WM-Chancen gehabt hätten, hätten alle gekämpft. «Das macht den Wert dieser Mannschaft aus. Sie hat einen unglaublichen Geist, und davon lebten wir in den letzten Jahren auch. Wir sind noch immer eine kleine Nation. Im Duell mit den Besten stehen uns 20 bis 25 NHL-Spieler gegenüber.»
Weitere NHL-Spieler dürften kommen
Mit drei Torhütern, acht Verteidigern und 14 Stürmern reiste Fischer am Mittwochabend nach Riga, wo er am Donnerstag sein erstes Training abhält. Aus der NHL verstärken Nino Niederreiter, Tim Berni, Janis Moser und Denis Malgin das Team. Roman Josi leidet noch immer an den Folgen einer Gehirnerschütterung und muss passen. Kevin Fiala wartet noch auf die Freigabe der Los Angeles Kings. Sollte New Jersey, das in der Best-of-7-Serie gegen Carolina 1:3 zurückliegt, aus dem Playoff ausscheiden, könnten Nico Hischier, Jonas Siegenthaler und Akira Schmid dazustossen. Das ist auch der Grund, weshalb Fischer noch nicht alle Spieler melden wird. Devils-Stürmer Timo Meier hat noch keinen Vertrag für die kommende NHL-Saison und würde aufgrund der Verletzungsgefahr wohl auf die WM verzichten.
Los geht es am Samstag gegen Slowenien. «Wir leben in einer Zeit, in der es weltpolitisch nicht einfach ist. Gleich um die Ecke herrscht Krieg. Wir aber haben die Möglichkeit, unser Land stolz zu machen. Und das ist eine Ehre», sagt Fischer.
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