Oscarpreisträger Florian Zeller im Interview«Es gibt so viel Unkenntnis zum Thema mentale Gesundheit»
Auf «The Father» folgt «The Son»: Der Regisseur spricht über seine Liebe zu Anthony Hopkins, sein Interesse für Depressionen und seine Beziehung zur Schweiz.
Herr Zeller, Ihr Name klingt sehr schweizerisch. Stimmt es, dass Sie neben dem französischen auch den Schweizer Pass besitzen?
Ja, die Familie meiner Grossmutter stammt aus der Gegend von Lausanne.
Als Theater- und Filmregisseur arbeiten Sie hauptsächlich in Paris. Da bleibt vermutlich nicht viel Zeit, die Schweiz zu besuchen.
Doch, doch. Meine Eltern wohnen seit zehn Jahren in der Schweiz. Ich war zuletzt öfter da.
2021 wurden Sie als grosser Kino-Shootingstar gefeiert, Sie gewannen auf Anhieb den Drehbuch-Oscar für «The Father». Was hat Ihnen diese Auszeichnung gebracht?
Zunächst einmal freute ich mich riesig, auch deshalb, weil mein Hauptdarsteller Anthony Hopkins ebenfalls den Oscar gewann. Der Preis ist für mich aber auch wichtig, weil, nun ja, meine Themen sind nicht gerade leicht auf die Leinwand zu bringen. So gesehen hat der Oscar «The Son» schon den Weg geebnet.
In «The Father» erzählten Sie von Demenz, «The Son» handelt nun von schweren Depressionen.
Ja, ich wollte das Publikum in «The Father» direkt in den Kopf von Hopkins versetzen, um aus subjektiver Sicht zu zeigen, was es heisst, wenn man sein eigenes Verhalten plötzlich verlernt. In «The Son» geht es mir darum, aus der Perspektive eines liebenden Vaters zu veranschaulichen, wie er seinem Sohn aus erster Ehe zu helfen versucht, aber trotz aller guten Absichten nicht gegen dessen psychische Krankheit ankommt.
Was interessiert Sie am Thema Depressionen?
Schauen Sie, es gibt enorm viele Leute, die mit psychischen Problemen kämpfen, aber allein sind mit ihrem Schmerz. Es gibt so viel Unkenntnis und Scham und Schuldgefühle und Verleugnung zum Thema mentale Gesundheit. Für mich war «The Son» eine Möglichkeit, direkt in diese Diskussion einzusteigen.
Hatten Sie für die Rolle des liebenden, aber hilflosen Vaters von Anfang an Hugh Jackman im Kopf?
Normalerweise würde ich so arbeiten, ja. In diesem Fall testete ich allerdings mehrere Schauspieler, aber es war rasch klar, dass es Jackman sein würde. Ich spürte sofort seine Aufrichtigkeit und Menschlichkeit, und das brauchte ich, um diese Geschichte zu erzählen.
Was meinen Sie genau?
Ich brauchte jemanden, der beim Publikum sofort für Mitgefühl sorgen kann. Aber auch jemanden, der den Mut finden würde, an Orte vorzudringen, wo er schutzlos sein wird.
Anthony Hopkins hat die Fähigkeit, dass man ihn bei jeder Szene mitdenken muss, obwohl er gar nicht da ist.
Sie meinen die Hilflosigkeit des Vaters angesichts des kranken Sohnes?
Ja, es gibt etwas, was man bezüglich physischer Gesundheit nicht verstehen kann. Man kann ja als Zuschauer auch nicht in den Kopf des Sohnes hineinschauen, geschweige denn begreifen, woher dessen Leiden kommt. Das ist das grosse Rätsel – und das war auch die Schwierigkeit bei diesem Film.
Gibt es einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen «The Father» und «The Son»?
Nein, das sind zwei verschiedene Geschichten. Sie sind aber lose miteinander verwandt.
Sie meinen die Szene in der Mitte des Films?
Ja. Der Grund für diese spezielle Szene ist, dass man verstehen soll, dass die Hauptfigur Peter nicht nur ein Vater, sondern eben auch ein Sohn ist, der mit seiner Vergangenheit und den damit verbundenen Schmerzen klarkommen muss. Dafür brauchte ich einen Darsteller, der die Fähigkeit hat, dass man ihn bei jeder anderen Szene des Films mitdenken muss, obwohl er gar nicht da ist. Anthony Hopkins hat diese Kraft.
… und er macht es mit einem Lächeln auf den Lippen.
Dafür bewundere ich ihn als Schauspieler! Er schafft es quasi nebenbei, dass man ihn nicht vergisst. Und dass ihn auch die Figur Peter nicht vergisst, denn der muss sich dauernd zwingen, ein besserer Vater zu werden. Wenn Peter dabei scheitert, sehen wir die Folgen sofort: Er wird dann fast gewalttätig.
Warum?
Weil er merkt, dass er genau dieselben Dinge sagt, die sein Vater, der nie Zeit für ihn hatte, damals zu ihm sagte.
Das Drehbuch zu «The Son» haben Sie wieder mit dem englischen Autor Christopher Hampton («Dangerous Liaisons», «Atonement») geschrieben. Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?
In diesem Fall begann die Zusammenarbeit bei der Sprache. Wie Sie hören, ist mein Englisch nicht sehr gut. Hampton jedoch kennt meine Theaterstücke, und ich vertraue ihm. Ich habe also das Drehbuch auf Französisch geschrieben, er übersetzte es dann ins Englische, und ab diesem Punkt entwickelte sich eine Diskussion, wie wir das Thema so filmisch wie möglich auf die Leinwand bringen können. Es sollte möglichst wenig Theatrales an sich haben.
Apropos Theater: Noch vor den Stücken «The Father» und «The Son» hatten Sie 2010 «The Mother» geschrieben. Wann kommt der Film dazu?
Das weiss ich noch nicht. «The Son» entstand während Corona, es war ein schwieriges Projekt, ich musste enorm viel investieren. Deshalb habe ich ehrlich gesagt noch keine Ahnung, ob und wann ich «The Mother» machen könnte.
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