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Langjähriger Friedensrichter
Er weiss, wer mit wem in Oberrieden zerstritten ist

Die Zivilprozessordnung war ein wichtiges Werkzeug für Hans Jud, der sich stets zu Hause in seinem Büro auf die Verhandlungen vorbereitete.

Nachdem er schon über eine Stunde erzählt hat, sagt Hans Jud einen Satz, der überrascht: «Streiten ist grundsätzlich nichts Schlechtes.» Das sagt einer, der sich in den letzten 21 Jahren Hunderte Streitereien angehört hat. Als Oberriedner Friedensrichter war es Juds Aufgabe, im Rahmen des Zivilrechts unter zerstrittenen Parteien Einigungen herbeizuführen. Zum Beispiel unter Nachbarn oder zwischen Angestellten und ihren Arbeitgebern.

Diesen Monat hat der 77-Jährige das 20-Prozent-Amt niedergelegt und seiner Nachfolgerin Judith Lusser Treyer (FDP) übergeben. Zeit, um Rückschau zu halten. Streiten sei also nichts Schlechtes, meint er, aber: «Das Problem ist heute, dass eine gute Streitkultur fehlt.» Viele Leute seien nicht mehr bereit, «in einem Gespräch einen Konflikt zu lösen», statt sofort den Rechtsweg einzuschlagen.

Eine Tasche voller Geld

Rund 20 Fälle behandelte Jud durchschnittlich pro Jahr. Nicht selten hat der gelernte Notariatsfachmann dabei Kurioses erlebt. Etwa den Fall, als ein Handwerker einen Kunden angeklagt hatte, weil dieser eine Rechnung von 950 Franken nicht bezahlt hatte. Der Kunde sei mit einer grossen Tasche zur Verhandlung im Gemeindehaus erschienen, erzählt Jud. Irgendwann willigte der Mann ein, die Summe doch noch zu begleichen. Er öffnete die Tasche und leerte den Betrag in Form von 10er- und 20er-Noten auf den Tisch. «Es ging ihm nur darum, den Handwerker zu ärgern.»

Hans Jud erzählt gerne und lange von seinen Erlebnissen als Friedensrichter.

Ein anderer Fall: Ein 21-Jähriger war mit einer Vaterschaftsklage konfrontiert. Er beharrte darauf, nicht der Vater eines Kindes zu sein. Plötzlich jedoch schwenkte er um. «In voller Überzeugung sagte er, er sei es zu 70 Prozent. Schliesslich seien noch andere Männer mit der Frau im Bett gewesen.» Jud lacht laut, als er dies erzählt. «Man kann nur ganz oder gar nicht der leibliche Vater sein, machte ich ihm klar.» Doch der Mann zog den Fall weiter. Vor Bezirksgericht wurde schliesslich durch medizinische Untersuchungen klar, dass er es zu 100 Prozent war.

«Das gibt sofort Lämpen»

Viel häufiger aber hatte es der gebürtige Säuliämtler Hans Jud mit Streitigkeiten unter Stockwerkeigentümern zu tun. «Bei diesen kann es wegen Kleinigkeiten sofort Lämpen geben.» Dies auch, weil das Stockwerkeigentumsgesetz vieles nicht klar regelt. Klassische Streitpunkte: der Rauch vom Grill auf der Terrasse, zu viel private Ware im Treppenhaus oder die Anfechtung von Beschlüssen.

Dass sich viele Zugezogene am Zürichsee Eigentum leisten könnten, habe sich auch in seiner Arbeit widerspiegelt. «Wer hierherzieht, gehört nicht zu den Ärmsten. Man kann sich einen Anwalt leisten und ist schnell bereit, diesen einzuschalten.» Manchmal seien die Streitfälle aber auch gar nicht das eigentliche Problem. «Einmal bekämpften sich zwei Nachbarn wegen einer Hecke. Ein Machtspiel. Auslöser war, dass ihre Ehefrauen miteinander verfeindet waren.»

«Bevor ich zu schlichten begann, sagte ich häufig einfach mal nichts.»

Hans Jud

Seit Corona seien die Menschen noch gereizter, stellt der ehemalige Friedensrichter fest. Und: Die Hygienemasken machten seine Arbeit schwieriger. «Als Friedensrichter war es für mich immer wichtig, die Mimik der Kläger und Beklagten genau zu beobachten.» So habe er erkennen können, ob jemand bereit sei für Kompromisse, und entsprechend Fragen stellen und Vorschläge machen können.

Der Trick mit dem Hunger

«Als Friedensrichter braucht man ein gewisses Gespür, Menschenkenntnis und Lebenserfahrung.» Auch liess es Jud jeweils zu, dass die Streithähne in den Verhandlungen ihren Emotionen weitgehend freien Lauf lassen konnten. «Dann sagte ich häufig einfach mal nichts, bevor ich zu schlichten versuchte.» Jud gibt noch eine andere seiner Taktiken preis: Er setzte die Verhandlungen teils bewusst auf 10.30 Uhr an. «Denn spätestens am Mittag kommt der Hunger auf, sodass alle plötzlich an einer raschen Lösung interessiert sind.» Wieder breites Grinsen in Juds Gesicht.

Nicht ohne Stolz blickt der Oberriedner FDPler auf seine Tätigkeit zurück. Im Kanton Zürich würden 80 Prozent der Fälle von den Friedensrichtern geklärt und müssten darum nicht von den nächsten Instanzen Bezirks- und Obergericht behandelt werden. Auch seine Quote sei in diesem Bereich. «Das ist schon eine Leistung.» Nun geht es Hans Jud etwas ruhiger an. Beschäftigung hat er auch sonst noch genug, mit privaten Mandaten oder in diversen Vereinen. Zum Beispiel als Mitglied im Bobclub Zürichsee, den er einst mitgegründet hatte.