Schweizer Diplomat im PorträtEr liess Russen und Ukrainer über Frieden sprechen
Thomas Greminger hat jahrelang zwischen Russland und der Ukraine vermittelt und das Vertrauen beider Seiten gewonnen. Den Krieg hielt er bis zuletzt für ausgeschlossen.
Krieg in der Ukraine? Bomben auf Kiew? Hungernde Menschen in Mariupol? Der Schweizer Spitzendiplomat Thomas Greminger hielt ein solches Szenario bis weit in den Monat Februar hinein für nahezu ausgeschlossen.
Natürlich wusste er: Befriedet war das Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland nie. Nach der Besetzung der Krim 2014 und der Abspaltung der Separatistengebiete in der Ostukraine wurde an der sogenannten Kontaktlinie weiter geschossen.
Vor allem aber sagte sich Thomas Greminger: Ein Krieg in der Ukraine würde Russland politisch und wirtschaftlich enorm viel kosten. Seine Überzeugung behielt er bei, obschon die Russen in Grenznähe Feldspitäler und Lager mit Blutreserven aufbauten. Greminger sagte sich: «Solange sich die russischen Truppen so sichtbar zeigen, droht kein Krieg.»
«Ich bin frustriert und enttäuscht.»
Doch dann kam der 20. Februar. Greminger erinnert sich: «An diesem Sonntag hat mich mein militärischer Berater darauf hingewiesen, dass sich gewisse russische Verbände nordwestlich vor der ukrainischen Grenze in einer taktischen Kampfstellung formierten.» Am Tag darauf habe Präsident Putin dann «diese extrem emotionale Rede gehalten». Spätestens da habe er seine Grundüberzeugung zu hinterfragen begonnen, ob Putin rational entscheiden würde, sagt Greminger. Er habe ernsthaft gezweifelt, ob er die Lage richtig einschätze, und sich gefragt: Greifen die Russen jetzt an?
Vier Tage später war die Antwort da. Die russische Armee drang in die Ukraine ein.
«Ich bin frustriert und enttäuscht», sagt der 60-jährige Zürcher heute. Thomas Greminger arbeitete in den letzten Jahren intensiv für Friedenslösungen in der Ukraine. Er war Teil jenes Schweizer Diplomatenteams, das nach der russischen Besetzung der Halbinsel Krim alles dafür tat, eine weitere Eskalation des Ukraine-Konflikts zu verhindern.
Zudem handelte er für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine Sonderbeobachtermission für die Ukraine aus. Entgegen allen Erwartungen brachte er Russen wie Ukrainer dazu, dem OSZE-Missionsmandat zuzustimmen.
Auch wegen dieser diplomatischen Erfolge wurde er 2017 zum OSZE-Generalsekretär gewählt. 2020 kandidierte er für eine weitere dreijährige Amtszeit. Doch unter den Mitgliedsstaaten herrschten bei der Vergabe aller OSZE-Führungsposten Unstimmigkeiten. Gremingers Mandat wurde nicht verlängert.
Der Diplomat wurde zu einem Kollateralschaden politischer Scharmützel. Die Sicherheitssituation in der Ukraine verschlechterte sich weiter.
Denkfabrik für den Frieden
Seit 2021 arbeitet Thomas Greminger nun in Genf. Er leitet das Zentrum für Sicherheitspolitik, einen Thinktank mit 15 Millionen Franken Jahresbudget und 85 Mitarbeitern, den das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zu drei Vierteln finanziert.
Die Denkfabrik wurde vom Gipfeltreffen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow im Jahr 1985 inspiriert, aber erst zehn Jahre später gegründet. Sie soll als helvetisches «soft power tool» politischen und militärischen Entscheidungsträgern aus allen Herren Ländern Grundlagen und Wege für eine friedliche Aussen- und Sicherheitspolitik aufzeigen.
In seinem Büro wirkt Thomas Greminger so, als würde er gleichentags ins Krisengebiet eilen, die Konfliktparteien im Feld zusammentrommeln und ihnen einen Friedensplan vorlegen wollen. Ideen hat der Diplomat jedenfalls viele. Den Clash zwischen Ost und West und den Konflikt sowie die Haltungen beider Seiten kennt er bestens. Und auch seine Lust, als Reisediplomat zwischen den Konfliktparteien zu pendeln, ist ungebrochen. Doch er weiss auch: «Vermittlung ist nicht erwünscht.»
Im Dialog mit Russen und Amerikanern
Militärs, Diplomaten und Minister gehen bei Greminger ein und aus. Gerade Russen und Amerikaner sind bei ihm häufig anzutreffen. Auch weil Wladimir Putin und Joe Biden sich bei ihrem Gipfeltreffen in Genf im Sommer 2021 darauf verständigten, ihren Dialog über die Regelung von Atom- und anderen strategischen Waffensystemen in Genf weiterzuführen.
Noch im Januar traf sich die stellvertretende US-Staatssekretärin Wendy R. Sherman mit ihrem russischen Pendant Sergei Rjabkow im Thinktank zu Gesprächen. Die Russen hatten den Amerikanern gar Vertragsentwürfe präsentiert, mit welchen sie Garantien für einen Nichtbeitritt der Ukraine zur Nato erreichen wollten. Für niemanden überraschend, sind alle Gespräche seit Kriegsbeginn offiziell suspendiert. Doch Thomas Greminger vermutet, dass beide Partner ein Interesse daran haben sollten, zumindest die Verhandlungen zu den strategischen Waffensystemen bald wieder aufzunehmen.
«Ernsthafte Leute gibt es auf beiden Seiten.»
Reden und reden lassen und dabei neben staatlichen Akteuren auch Fachleute miteinbeziehen, darin will Thomas Greminger mit seinem Zentrum in Zukunft noch stärker werden. Nach dem Ende als OSZE-Generalsekretär spürt man seine Entschlossenheit, latent gärende Konflikte anzugehen, «insbesondere wenn die Verhandlungen auf der politischen Ebene blockiert sind», wie er sagt.
Im Austausch mit der Türkei und Armenien hat er bereits realisiert, dass beide Staaten sich aufeinander zubewegen und sich weiter annähern wollen. Diesen Prozess möchte er unterstützen. Und auch im Fall der Amerikaner und der Russen hofft er, dass bald wieder ein substanzieller Dialog möglich ist.
Der Zürcher betont: «Ernsthafte Leute gibt es auf beiden Seiten.» Entscheidend aber sei, auf russischer Seite mit Leuten zu reden, die bei Putin Gehör fänden. Doch bevor solches in Genf überhaupt wieder möglich ist, müssen in der Ukraine die Waffen schweigen. «Wir brauchen eine bedingungslose Waffenruhe, sofort!», sagt Thomas Greminger in seinem Büro, als spräche er einem russischen und einem ukrainischen General direkt ins Gewissen.
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