Reha in ThalwilEr kämpft sich nach einer Hirnverletzung zurück ins Leben
Die Reha-Wohngruppe Bärenmoos ist von Oberrieden nach Thalwil gezogen. Für Personen mit einer Hirnverletzung wie Nicola Aversa war der Umzug eine besondere Herausforderung.
Nicola Aversa hat sein neues Zimmer in der Reha-Wohngruppe Bärenmoos in Thalwil bezogen. Er sagt: «Ich will alles allein schaffen.» Stolz schildert er, wie er sich morgens selbstständig duscht, rasiert und das Bett macht.
Was selbstverständlich erscheint, muss der 59-Jährige seit einem Jahr wieder lernen. Vor einem Jahr erlitt er einen Herzinfarkt und fiel ins Koma, was eine Hirnverletzung zur Folge hatte. Auf dem Weg zurück ins Leben wird er von der Rehabilitationswohngruppe Bärenmoos rund um die Uhr unterstützt. Hat Aversa an diesem Morgen Mühe, dem Gespräch zu folgen, springt Hausleiter Tomislav Simic ein und hilft.
Wohngruppe als Zwischenstation
Bis vor kurzem befand sich die Reha-Wohngruppe im Wohnhuus Bärenmoos in Oberrieden. Am 1. März sind die Betreuten dieser Wohngruppe aber an die Seidenstrasse neben dem Bahnhof Thalwil gezügelt. Insgesamt betreut das Wohnhuus Bärenmoos mit 50 Mitarbeitenden 29 Personen, die körperlich beeinträchtigt sind oder eine Hirnverletzung erlitten haben.
Die Reha-Wohngruppe, in der auch Nicola Aversa wohnt, bietet eine eigenständige Wohn- und Therapieform an und bildet die Zwischenstation nach einer Rehabilitation in einer Klinik und vor dem künftigen neuen Alltag.
Zentrale Lage
An diesem Donnerstagmorgen – zwei Tage nach der grossen Züglete am 1. März – deutet ausser einigen Umzugskartons im Sitzungszimmer und den kargen Therapieräumen nicht mehr viel auf den Umzug hin. Die zentrale Lage des neuen Standortes ermöglicht eine gute Integration ins Leben der Gemeinde.
Obwohl Nicola Aversa seit seiner Hirnverletzung Mühe mit der Orientierung hat, fühlt er sich in der neuen Umgebung bereits wohl. Weil ein solcher Umzug in unbekannte Räume eine grosse Herausforderung für hirnverletze Personen bedeutet, wurden die Bewohner mit möglichst wenig Gepäck und gemeinsam mit den hauseigenen Fahrzeugen in die bereits eingerichteten Privat- und Wohnräume gebracht.
«Meine Kollegen in Oberrieden vermisse ich jetzt schon», sagt Aversa. Hier in Thalwil ist das Grüppchen nämlich kleiner – derzeit sind sechs von acht Zimmern belegt. «Montags wird mich aber jeweils mein bester Freund vom Bärenmoos besuchen», sagt er mit einem breiten Lachen.
Bald auch ohne Gehstöcke
Nicola Aversa, ein grosser, kräftiger Mann mit italienischen Wurzeln, spricht gebrochen Deutsch. Langsam und noch etwas unsicher bewegt sich der 59-Jährige durch die Gänge der Reha-Wohngruppe. Er stützt sich dabei noch auf Gehstöcken ab. «Die Betreuer sagen mir, dass ich diesen nun weglegen soll. Wie sie es auch schon beim Rollstuhl gemacht haben», sagt Aversa schmunzelnd.
Noch vor einem Jahr konnte er nicht selbstständig gehen und war auf einen Rollstuhl angewiesen. Der Herzinfarkt hatte ihn komplett aus dem Leben gerissen. Der ehemalige Bauarbeiter – während 40 Jahren arbeitete er für eine Baufirma – erkannte nach dem Herzinfarkt und der folgenden Hirnverletzung nicht einmal mehr seine Frau und seinen Sohn.
Zweites Leben geschenkt bekommen
Durch die Hirnverletzung verlor Aversa die Erinnerung – und die Orientierung: «Als ich vor einiger Zeit ein erstes Mal wieder zu Hause in unserer Wohnung in Langnau war, wusste ich beispielsweise nicht mehr, wo ich Wasser finde, um etwas zu trinken.» Mittlerweile kann er aber schon wieder selbstständig nach Zürich in die externe Physiotherapie pendeln. «Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen und kann in diesem Jahr zweimal Geburtstag feiern. Ich bin dem Personal vom Bärenmoos extrem dankbar.»
Einfach ist der Weg zurück ins Leben nicht. Tomislav Simic, Hausleiter des Wohnhauses Bärenmoos, erklärt: «Nach einer Hirnverletzung sind nur sehr kleine Schritte möglich. Mit Nicola Aversa mussten wir beispielsweise diverse Orientierungspunkte einüben.» Das heisst, dass sich Aversa schrittweise Gebäude oder andere Punkte in der Umgebung merken musste, an denen er sich seither orientiert.
Plötzlich gesprächig
Mithilfe von Ergo- und Physiotherapie hat Nicola Aversa in der Zwischenzeit gelernt, sich wieder selbstständiger zu bewegen. Am liebsten steht Nicola Aversa in der Küche und bereitet für die Wohngruppe Mahlzeiten zu. «Pizza, Pasta – alles Italienische ist gut.» Mittlerweile geht er auch ab und zu wieder mit seiner Frau auswärts essen. Gern möchte er bald mal verreisen. «Aber meine Frau macht sich noch Sorgen.»
Aversa dagegen scheint vor Motivation und Lebensfreude zu sprudeln. Er erzählt viel und schnell. Dem war jedoch nicht immer so. «Früher war ich ein sehr ruhiger und zurückhaltender Mensch.» Laut Tomislav Simic sind solche Wesensveränderungen nach einer Hirnverletzung häufig. Häufig würden extrovertierte Menschen introvertierter werden. Bei Aversa ist das Gegenteil festzustellen.
Andere Anschlusslösungen
Noch bis im Oktober wird er im Bärenmoos bleiben, um sich auf die Zeit zu Hause vorzubereiten. Der Aufenthalt in der Reha-Wohngruppe ist auf 18 Monate beschränkt. Das Ziel ist es, dass die Personen wieder nach Hause können und sich in ihrer neuen Realität zurechtfinden. Doch das klappt nicht immer: «Manchmal zerbricht das soziale Umfeld unserer Betreuten, weil es mit dem Schicksal überfordert ist», sagt Simic. Oder die Wohnung sei nicht entsprechend den neuen Bedürfnissen ausgestattet. «Dann müssen wir nach anderen Anschlusslösungen suchen.»
Manche Personen würden auch im Bärenmoos bleiben. Aversa hat Glück. Sein Umfeld ist stabil. Fast täglich stehe er nicht nur mit seiner Familie in Kontakt, sondern auch mit seinen ehemaligen Arbeitskollegen. Auf die Baustelle wird er aber nicht mehr zurückkehren können.
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