Kosten invasiver ArtenEingeschleppte Tiere und Pflanzen sind so teuer wie Naturkatastrophen
Sie verursachen Ernteausfälle und übertragen Krankheiten. Die durch gebietsfremde Lebewesen verursachten Kosten sind in den letzten Jahrzehnten um das Achtfache gestiegen, zeigt eine Studie.
Zerstörte Wälder, weggeschwemmte Autos, eingestürzte Gebäude – die von Hochwassern, Stürmen und Erdbeben verursachten Schäden sind offensichtlich. Und sie kosten global jährlich viele Milliarden.
Weniger bildgewaltig, aber ebenso kostspielig ist eine eher schleichende Gefahr: eingeschleppte Tiere und Pflanzen, in der Fachsprache invasive Arten oder Neobiota genannt. Diese nehmen global sehr schnell zu, auch in der Schweiz. Nur werden ihre finanziellen Folgen fahrlässig unterschätzt, berichtet ein Team um Anna Turbelin von der Université Paris-Saclay. In der Fachpublikation «Perspectives in Ecology and Conservation» beziffern die Forschenden die von Neobiota verursachten Kosten und vergleichen sie mit Naturkatastrophen.
Nur Stürme sind noch teurer
Global gesehen liegt die Schadenssumme durch Neobiota von 2000 bis 2019 demnach bei rund 1100 Milliarden Dollar. Das ist mehr als die im gleichen Zeitraum von Hochwassern, Erdbeben oder Dürren verursachten Kosten. Nur Stürme sind noch teurer: Deren Schäden summieren sich im selben Zeitraum global auf 1400 Milliarden Dollar.
In einer Hinsicht übertreffen invasive Arten aber selbst die Stürme: beim Wachstum. Die durch Stürme verursachten Kosten nahmen in den 20 Jahren von 2000 bis 2019 gegenüber der Periode von 1980 bis 1999 um 185 Prozent zu. Der Schaden durch invasive Arten steigerte sich im selben Zeitraum um rund 700 Prozent.
Kosten verursachen Neobiota auf vielfältige Art. Beispielsweise schmälert ein aus Nordamerika auch in die Schweiz eingeschleppter kleiner Käfer, der Maiswurzelbohrer, die Ernteerträge beim Mais. Die Hauptschäden verursachen die Larven des Käfers, die Maiswurzeln fressen.
Ein anderes Beispiel ist das ebenfalls aus Nordamerika eingeschleppte Einjährige Berufkraut. Die Pflanze überwuchert vor allem Rebflächen sowie extensive Wiesen und Weiden. Die Bekämpfung verursacht erhebliche Kosten.
Arbeitsausfall und Behandlung von Allergien
Auch der Mensch kann direkt betroffen sein, etwa durch die Beifuss-Ambrosie. Diese aus Nordamerika stammende Art ist dafür bekannt, dass sie bei Menschen zu heftigen Allergien führen kann. Das zieht wegen Arbeitsausfällen und der Behandlung der Betroffenen Kosten nach sich.
Auch Fischfang, Energiegewinnung und Tourismus können durch invasive Arten betroffen sein. Zum Beispiel kann sich die aus dem Schwarzmeerraum stammende Zebramuschel an vielen Untergründen festsetzen. Die Einwanderer können Schiffe oder gar Kraftwerke lahmlegen, wenn sie sich an Schiffsrümpfe, Ruder oder Rohre von Kernkraftwerken heften.
«Tausende Pflanzen und Tiere sind heute in Regionen ansässig, die sie ohne Hilfe des Menschen nie erreicht hätten», sagt Co-Autor Franz Essl von der Universität Wien. «Einige gebietsfremde Arten werden für heimische Arten zum Problem – als Räuber, Konkurrenten um Nahrung und Lebensraum oder als Überträger von Krankheiten.»
Wie die leitende Autorin Anna Turbelin sagt, ist der globale Handel einer der Hauptgründe für die Verbreitung gebietsfremder invasiver Arten. «Ein grosser Teil der invasiven Arten wird durch den Transport von Gütern eingeführt, durch den Verkauf von exotischen Zierpflanzen, durch den Haustierhandel oder den Handel mit lebenden Nutztieren.» Der Import kann auch unbeabsichtigt erfolgen, etwa wenn Waren mit Pflanzensamen kontaminiert sind oder Holzverpackungen von Schädlingen befallen sind.
Während der globale Handel gebietsfremde invasive Arten verbreitet, kann die Erderwärmung dafür sorgen, dass sich die eingeschleppten Tiere und Pflanzen am Ankunftsort leichter ansiedeln und verbreiten können.
Samen im Gepäck oder an den Schuhen
Auch Privatpersonen tragen zum Problem bei. «Freizeitbötler können invasive Wasserlebewesen unbeabsichtigt mit ihren Booten in eine andere Region transportieren», sagt Turbelin. «Und Reisende können in ihrem Gepäck oder an den Schuhen unbewusst die Samen invasiver Pflanzen mit sich führen.» Auch komme es vor, dass Leute exotische Pflanzen zur Zierde in den Garten pflanzten, von wo aus sich die Gewächse möglicherweise verbreiteten. «Manch einer entlässt auch unerwünschte Haustiere in die Natur.»
Was tun? Laut Co-Autor Essl sind vorbeugende Massnahmen bei problematischen Arten am effizientesten – etwa durch Kontrolle bei Importen. «So gibt es seit dem Jahr 2015 eine EU-Verordnung zu invasiven Arten, die genau darauf abzielt.» Des Weiteren gebe es Kontrollmassnahmen, etwa bei Verpackungsholz, um die Einschleppung von holzbefallenden Insekten zu verhindern.
Der Bundesrat hat im Jahr 2016 mit der Verabschiedung der «Strategie der Schweiz zu invasiven gebietsfremden Arten» den Rahmen geschaffen, um die internationalen Ziele auf nationaler Ebene umzusetzen. «Die Umsetzung der darin vorgeschlagenen Massnahmen ist angelaufen, aber noch nicht abgeschlossen», teilt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) mit. Zudem wurde im letzten Herbst die Übersicht zu den gebietsfremden Arten aktualisiert.
Rund 170 Millionen Franken pro Jahr in der Schweiz
Für die Schweiz liegen bislang nur grobe Schätzungen zu den Schäden durch invasive gebietsfremde Arten vor. Gemäss einem erläuternden Bericht zur Revision des Umweltschutzgesetzes von 2019 ist schweizweit von einer jährlichen Schadenssumme von circa 170 Millionen Franken auszugehen. «Diese Schäden würden beim Ausbleiben von Massnahmen gegen invasive gebietsfremde Arten weiter zunehmen», heisst es im Bericht. Der Grund sei, dass sich einerseits die Fläche vergrössert, auf der sich die unerwünschten Arten ausbreiten. Andererseits würde die Anzahl neu auftretender invasiver gebietsfremder Arten zunehmen.
Zum Vergleich: Zwischen 1972 und 2021 verursachten Hochwasser, Murgänge, Rutschungen und Sturzprozesse zusammen in der Schweiz durchschnittliche Schäden von rund 300 Millionen Franken pro Jahr.
Generell würde in Anbetracht der hohen Schadenssummen noch zu wenig gegen invasive Arten unternommen, heisst es in der aktuellen Studie. «So wie wir Infrastrukturen erdbebensicher verstärken und Notfallpläne erschaffen, um die Folgen von Naturkatastrophen wie Erdbeben abzumildern», sagt Turbelin, «sollten wir vergleichbare Massnahmen treffen, um die Ausbreitung invasiver Arten zu stoppen.»
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