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Reise durch Neuseeland
Ein Inselstaat wie ein Paradiesvogel

Autorin Caroline Fink lässt ihren Blick über den Pukaki-See schweifen. Dahinter erhebt sich der Mount Cook aus den Südalpen. Er ist mit 3724 Metern über Meer der höchste Berg Neuseelands.
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Dieser Artikel stammt aus der Schweizer Familie

Umgeben von Meer, 37 Grad südlich des Äquators, liegt das neuseeländische Auckland. Eine Stadt am Ende der Welt, zumindest aus europäischer Sicht. Doch in Aucklands Strassen ist nichts davon zu spüren. Vielmehr scheint sich die ganze Welt hier zu treffen: Menschen mit Wurzeln in Irland, England und Skandinavien, Einwanderer aus Japan, China und Indien, Maori mit tätowierten Armen, deren Ahnen vor Jahrhunderten aus Polynesien einwanderten. Sie alle leben in dieser Stadt am nördlichsten Zipfel Neuseelands, wo Wolkenkratzer über dem Jachthafen aufragen und japanische Kirschbäume in englischen Parks blühen.

Skyline von Auckland in der Abenddämmerung.

Hier beginnt meine Reise. Ein Roadtrip, der mich in drei Wochen über beide Inseln des Landes führen wird. Quer durch eine Welt aus Wald und Wellen, Feuer und Firn – hin zu den Gipfeln und Fjorden im tiefsten Süden. Doch als ich Auckland verlasse, sind die Gebirge noch weit weg. Stattdessen fahre ich während Stunden durch grüne Hügel. In ihrem Schoss liegen Städtchen, die Tihi­roa oder Whatawhata heissen. Namen, die daran erinnern, dass die Maori dieses Land – in ihrer Sprache heisst es bis heute Aotearoa – vor tausend Jahren als erste Menschen besiedelt haben.

Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Infos finden Sie hier.

Sie waren es auch, die jenen Ort entdeckten, der mich an diesem ersten Tag der Reise mit seinem Zauber überrascht: die Höhlen von Waitomo. Inmitten von Hügeln, verborgen im Wald, steige ich durch eine Felspforte über eine Treppe hinab ins Erdreich und entdecke: einen Raum jenseits dieser Welt.

An Tausenden von Stalaktiten gehe ich vorbei, sehe im Licht von Glühbirnen Kalkstein, geformt wie Blumenkohl, und steinerne Vorhänge, so dünn wie Seidenpapier. Dann, als ich und die anderen der Gruppe einen entlegenen Winkel der Höhle erreichen, löscht unser Führer das Licht. Und mit einem Mal leuchtet über uns in der Finsternis ein Sternenhimmel. Ein Märchen? Nein – ein Firmament aus Glühwürmchen!

Geysire speien bei der Hauptstadt der Maori

Nach diesem Anblick verstehe ich, warum Waitomo für die Maori bis heute «tapu» ist – heilig. Genauso wie manche Berge, Strände und Wälder. Oder Rotorua, knapp drei Stunden südlich von Auckland gelegen. Eine Kleinstadt, in der Geysire speien und Schlammlöcher blubbern und die als Hauptstadt der Maori gilt.

Dampf umhüllt das vulkanische Plateau bei Rotorua.

Am dortigen Institut für Maori-Kunst treffe ich einige Tage später denn auch Patariki Dawson, 28. Trendige Frisur, tätowierte Arme, sitzt er an einem Tischchen und schleift im Lichtstrahl einer Leuchte ein Stück neuseeländische Jade zu einem Amulett, in der Hand ein Bohrer, so fein wie ein Bleistift.

Patariki Dawson kennt sich in der Maori-Kunst aus und fertigt fein ziselierte Amulette.

Ob er während der Arbeit reden dürfe, frage ich. Er blickt auf, lächelt und legt den Bohrer zur Seite. «Klar!» Wenig später weiss ich, dass der Künstler selbst Maori ist. In Rotorua eine reine Maori-Schule besucht und erst mit 14 Jahren Englisch gelernt hat. Ob er immer schon ein Flair für Kunst gehabt habe, frage ich. Er lacht und schüttelt den Kopf. «Bloss tätowiert habe ich nebenbei – die traditionellen Muster meines Volkes.» Als er dann nach der Schule in einem Bürojob etwas unglücklich gewesen sei, habe ein Freund ihn mal zur Seite genommen. «Patariki», habe dieser gesagt, «du als talentierter Tätowierer solltest dich der Maori-Kunst widmen!»

Die heraus­gestreckte Zunge soll Feinde das Fürchten lehren: Maske im Institut für Maori-Kunst in Rotorua.

Nun habe er jüngst das Kunststudium abgeschlossen. Wann? Er lächelt stolz und verlegen zugleich. «Vor zwei Wochen.» Doch die Institutsleitung habe ihn gleich als Künstler angestellt. – Als ich wenig später durch die nahe Kunstgalerie gehe, sehe ich, warum: Mehrere fein ziselierte Amulette schimmern grün im Licht einer Vitrine. Sie gehören zur Sammlung des Instituts und sind unverkäuflich. Der Künstler? Patariki Dawson.

Als ich Rotorua ein paar Tage später in Richtung Süden verlasse, fällt mir der junge Mann nochmals ein. Eine Stadt wie diese gebe es nur einmal auf der Welt, hatte er gesagt. «Wie wahr», denke ich mir, derweil ich die Schwefelschwaden und Dampfwolken der Geysire hinter mir lasse. Nur um wenig später – unweit des Stadtrands – über Wai-O-Tapu zu staunen: ein geothermisches Gebiet mit zwei Seen. Einer der beiden giftgelb leuchtend wie ein Hexenkessel, der andere mit dampfenden Wassern, so blau wie Turmalin, umgeben von einem rostroten Saum. Ich frage mich, wie die Welt so etwas schöpfen konnte. Und für einen Moment bin ich mir ­sicher: Die Natur wollte einen Paradiesvogel erschaffen – entstanden ist Neuseeland.

Täler mit Dunstschwaden, Sinter­terrassen und der ­sogenannte ­Cham­pagnerpool mit seinem orange-türkisen Becken ­machen ­Wai-O-Tapu zu einer besuchenswerten Thermalwelt.

Elegante Art-déco-Häuser am Südpazifik

Je weiter südwärts ich dann fahre, desto öfter windet sich die Strasse über Pässe, durch Täler und Kiefernwälder. Bis ich die Küste erreiche. Eine Küste, an deren Stränden sich die Wellen des Südpazifiks donnernd brechen, während unweit davon Klippen aus dem Meer ragen und auf Kaps Tausende von Tölpeln brüten.

Mit lauten «Rab-rab-rab»-Rufen verstän­digen sich die Tölpel in einer Brutkolonie in der Nähe des Küstenstädtchens Napier.

Mitten in dieser Szenerie eine Stadt, die fast zu süss wirkt für diese raue Welt: Napier, deren Strassen Art-déco-Häuser säumen, manche davon so leicht wie Meringue und Zuckergebäck. Kaum zu glauben, dass eine Urkraft an ihrem Beginn stand, entstanden sie doch allesamt Anfang der 1930er-Jahre, nachdem ein Erdbeben das alte Napier in zwei Minuten dem Erdboden gleichgemacht hatte.

Dass die Menschen auf Neuseeland Erdbeben gewohnt sind, erfahre ich indes erst zwei Tage später und gut 300 Kilometer südlicher im Nationalmuseum Te Papa in der Hauptstadt Wellington. In diesem erlebe ich einen Erdstoss, bei dem Lampen schaukeln und Bücher aus dem Regal fallen – allerdings nur im Erdbebensimulator. Und Museumsführer Roger Gascoigne, 74, erklärt mir wenig später, warum der Boden auf Neuseeland immer wieder bebt.

Der Guide Roger Gascoigne ­erklärt im Nationalmuseum in Wellington, wie sich der Teil­kontinent Zealandia vor Millionen von Jahren von Australien löste.

Vom Urkontinent Gondwana erzählt mir der Mann mit dichtem, weissem Haar und Schalk in den Augen. Und davon, wie der Teilkontinent Zealandia sich vor Millionen von Jahren von Australien löste und unter Wasser ins Meer driftete. Wie sich daraus die Inseln Neuseelands erhoben. «Und wo genau zu liegen kamen?» Roger Gas­coigne blickt mich an, als wär er damals dabei gewesen. «Exakt auf dem Saum zwischen australischer und pazifischer Platte!» Deshalb bebe die Erde bis heute ­immer wieder.

Ausserdem habe die isolierte Lage eine Natur entstehen lassen wie sonst nirgendwo, erzählt mir der Guide. Mit dem Enthusiasmus eines Forschenden steht er im nächsten Raum vor Vitrinen voller Replikas. Zeigt mir Muscheln, Seesterne, Käfer, die es alle nur in Neuseeland gibt. Und natürlich den Kiwi, Neuseelands Nationalvogel in der Grösse eines Fasans. «Jedoch ohne Flügel und mit Schnauzhaaren wie eine Katze.»

Das Nationalmuseum zeigt einen ausgestopften Kiwi. In der Natur ist der nachtaktive Vogel nur selten zu sehen.

Eine paradiesische Welt sei das gewesen, ist sich Roger Gascoigne sicher. Bis die Maori mitsamt Ratten und Hunden in Aotearoa ange­kom­men seien. – Wie sie die abgelegenen Inseln überhaupt erreicht hätten, frage ich. «In ihren Wakas», sagt Roger Gascoigne und strahlt. «Katamarane, doppelt so schnell wie die späteren Segelschiffe der Europäer!»

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Stundenlang könnte ich dem Mann zuhören. Was kein Zufall ist, war Roger Gascoigne doch jahrzehntelang der bekannteste Fernsehmoderator Neuseelands. Ein Geheimnis, das er sonst meist hütet. Weshalb er nun inkognito Leute durchs Museum führe? Er lächelt. Weil es schön sei, unter Touristen einfach mal Roger zu sein. Und weil er gern Geschichten erzähle. Die Geschichten seines Landes. «Ein Land, das uns gibt, was wir zum Glück brauchen – in dem Kulturen friedlich miteinander leben.» Und Frauen seit 1893 das Wahlrecht hätten, füge ich nebenbei an.

Grüne Wellen im wilden Süden Neuseelands

Am nächsten Tag verlasse ich die Nordinsel. Sitze auf der Fähre Kaitaki in einem Polstersessel und blicke durchs Fenster in die Wolken und Wellen der Cookstrasse, während das Schiff rollt und stampft und die Gischt über Deck schiesst. Es ist eine Überfahrt, die wie eine Vorahnung auf die Südinsel anmutet: ungestüm und archaisch schön. Drei Stunden lang dauert sie, dann gleitet die Kaitaki in den Hafen des Fischerdorfs Picton, und wenig später fahre ich durch ihren offenen Bug an Land. Vor mir: der wilde Süden Neuseelands.

Eine Weile führt die Strasse die Küste entlang, und ich sehe durch die Frontscheibe meines Mietwagens Sandstrände, an denen sich grüne Wellen brechen. Dann zweigt der Highway ab – und bald fahre ich durch eine Steppe, in der es nur noch den Wind gibt, der an goldenem Steppengras zerrt.

Im Hochland der Südinsel durchkämmt der Wind das endlos erscheinende goldene Steppengras.
Der Wakatipu-See ist bei Sonne ein Smaragd und tintenblau im Dämmerlicht.

Stundenlang geht es durch dieses Hochland, bis am Horizont mit einem Mal ein weisser Schimmer auftaucht. Erst wie eine ferne Fata Morgana, doch je näher ich komme, desto klarer sehe ich sie: die Südalpen. Über 3700 Meter hoch erheben sie sich aus der Weite. Gipfel aus Fels und Eis, davor Seen, so tiefblau wie Tinte. Ich halte an, gehe zum Ufer, setze mich auf einen Stein und blicke über den Pukaki-See hinweg zu den weiss gleissenden Gipfeln, die sich in dessen Wassern spiegeln. Ka Tiritiri o te Moana nennen die Maori dieses Gebirge – die unruhigen Wasser des Ozeans. Was mögen die ersten Ankömmlinge aus Polynesien empfunden ­haben, als sie diese Berge sahen?

Lange könnte ich am Ufer des Sees verweilen. Doch meine Route führt an diesem Tag weiter nach Queenstown. Ein Städtchen inmitten der Berge, wo ich tags darauf Jenny Lacey, 38, treffe. Eine Wanderleiterin mit freundlichem Lachen und wilden Locken, die mir das zeigen wird, wofür ihre Stadt bekannt ist: die schönsten Wanderungen Neuseelands. Ob sie hier aufgewachsen sei, frage ich sie, nachdem ich in ihren VW Bus gestiegen bin.

Jenny Lacey führt durch einen verwunschen wirkenden Wald zu den Routeburn Flats.

Sie startet den Motor und lacht. «Nein, ich bin in England aufgewachsen – fern der Berge!» Doch weil sie die Wildnis liebe, sei sie nach Neuseeland gekommen. Mit dem Plan, ein Jahr zu bleiben. «Jetzt bin ich seit elf Jahren hier!»

Ein Urwald wie am Anfang der Zeit

Nach einer Stunde ist mir, als wären wir per VW-Bus in eine Märchenwelt gefahren, wandern wir kurze Zeit später doch durch einen Urwald wie am Anfang der Zeit. Gehen Wurzelpfade entlang, vorbei an mächtigen Südbuchen und Farnen, die so hoch wie Bäume sind, durch Gärten voller Flechten und Moos und über Holzbrücken, unter denen Wildbäche rauschen. Ab und zu bleibt Jenny Lacey stehen. Zeigt mir einen Pfefferbusch, dessen Blätter auf der Zunge brennen, oder einen Rifleman – den kleinsten Vogel Neuseelands, der wie ein gefiederter Pingpongball durchs Gebüsch flitzt.

Maori gleiten im Rahmen einer Dar­bietung für Besucher in einem traditionellen Einbaum durch ein dschungelhaftes Waldstück.
Wie aus einer anderen Welt wirken die riesige Farne im Forst von Whakarewarewa.

Dann öffnet sich auf einmal der Wald, und vor uns breitet sich die Hochebene der Routeburn Flats aus. Und während ich noch über die Schneeberge staune, die sich jenseits der Fläche erheben, steht Jenny Lacey neben mir und horcht. «Hörst du das?» Sie deutet in die Baumkronen über uns, wo es zwitschert. «Kakas!» Ich blicke ins Geäst und entdecke zwei rabengrosse Vögel mit gebogenen Schnäbeln. «Papageien?», frage ich. Die Wanderleiterin strahlt. «Seltene alpine Papageien.» Ich denke mir: Papageien und Schneeberge – wo sonst hätte die Natur so etwas erfunden!

In der Nähe erreichen wir einen Unterstand und rasten. Jenny Lacey kramt in ihrem Rucksack, packt Kocher, Tassen und Holzbrettchen aus, und so sitzen wir bald nebeneinander, essen neuseeländischen Cheddar, Roggenbrot und Aprikosen und trinken frisch gebrühten Kaffee. «Schau dir diese Weite an», sagt sie und blickt über die Routeburn Flats hinweg zu den Gipfeln. Ich ­frage sie, ob sie wegen der Landschaften hier geblieben sei. Sie nickt. «Ja, weil die Wildnis hier Platz hat.»

Je tiefer im Süden, desto seltener werden die Dörfer, desto grösser die Weiden, auf denen Schafe grasen. Bis auch sie verschwinden und die Strasse nur noch durch Regenwälder führt. Ich habe Fiordland erreicht. Ein Land, das nur sich selbst gehört.

Im Fjord des Milford Sound fällt das Wasser mal zart wie ein Silberfaden, dann wiederum in stiebenden Kaskaden.

Mit Wäldern, die an Feen und Fabeln erinnern, während im Fjord des Milford Sound Hunderte von Wasserfällen über Felswände sprühen.

Das Polarlicht tanzt am Nachthimmel, der sich sternbesät über die ­Südinsel spannt.

Mir ist, als könnte mich nach diesem Anblick nichts mehr überraschen. Doch ich täusche mich. Erwarten mich an den letzten Tagen meiner Reise doch noch Zwergpinguine, die in einer purpurnen Abenddämmerung aus der Brandung des Pazifiks an den Strand von Timaru watscheln. Oder ein Sternenhimmel, der im Schimmer einer Aurora australis – des südlichen Polarlichts – am Horizont lila und grün leuchtet. Mir ist, als wollte Neuseeland mich vollends verzaubern. Um gewiss zu sein, dass ich eines Tages wiederkehren werde.»

Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit unserem Partner Knecht Reisen.