Analyse zur US-DemokratieEin Fest für Pessimisten
Noch eine Wahl wie 2020 werden die Vereinigten Staaten nicht überleben, nicht als Demokratie und nicht als vereinigte Staaten.

Amerikas Demokratie ist fast 250 Jahre alt. Sie hat in dieser Zeit viele Krisen überlebt. Darunter war ein Bürgerkrieg, der ausgefochten wurde, weil ein Teil der Amerikaner der Ansicht war, schwarze Menschen seien Handelsware. Diese Frage musste auf dem Schlachtfeld geklärt werden, und sie wurde geklärt.
Es gibt also Gründe, mit Optimismus auf die Widerstandskraft der Demokratie in den USA zu schauen. Allerdings muss man auch kein sehr düsterer Pessimist sein, um sich Sorgen zu machen. Donald Trump ist zwar nicht mehr Präsident. Aber die Korrosionskräfte, die er in der amerikanischen Politik und Gesellschaft freigesetzt hat, wirken weiter. Sie zersetzen die Institutionen, die der Demokratie Halt geben. Sie vergiften den öffentlichen Raum und hetzen die Menschen gegeneinander auf. Und es gibt keine Garantie, dass dieser Zerfall gestoppt werden kann.
Die Republikaner sind einem narzisstischen Demagogen hörig.
Auf Trumps Partei, die Republikaner, kann man nicht hoffen. Sie ist dem narzisstischen Demagogen hörig. Die Partei von Abraham Lincoln, der seine Landsleute über den Gräbern von Gettysburg aufrief, die «Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk» zu verteidigen, huldigt heute einem Golfclub-Autokraten, der nur an sich und seine Lügen glaubt.
Die grösste und gefährlichste dieser Lügen ist die vom gestohlenen Wahlsieg. Trump behauptet – und die überwiegende Mehrheit seiner Wähler glaubt –, dass er die Wahl im November 2020 gewonnen habe, die Demokraten ihm den Sieg aber durch Betrug geraubt hätten. Nichts davon ist wahr – nichts. Dennoch nehmen die Republikaner diese Lüge zum Anlass, um überall im Land Gesetze durchzudrücken, die angeblich die «Integrität» künftiger Wahlen sicherstellen sollen. In Wahrheit zielen die neuen Vorschriften darauf ab, den Anhängern der Demokraten das Wählen schwerer zu machen, allen voran Schwarzen und Latinos.
Das ist der Hintergrund des Streits über das neue Wahlgesetz, das demnächst im US-Senat zur Abstimmung stehen soll. Der sogenannte For the People Act schreibt Mindeststandards für Wahlen vor, die gewährleisten sollen, dass alle Bürger ihre Stimme möglichst einfach abgeben können. Man kann daher verstehen, warum viele Demokraten so wütend sind auf ihren eigensinnigen Parteifreund Joe Manchin, der angekündigt hat, das Gesetz nicht zu unterstützen. Damit fehlt dem For the People Act die Mehrheit.
Vielleicht tun die Amerikaner das Richtige und stimmen mit grosser Mehrheit für die Demokraten.
Vielleicht sehen die, die vor dem baldigen Tod der Demokratie in den USA warnen, die Lage zu schwarz. Vielleicht sollte man Vertrauen haben in diejenigen, die diese Demokratie fast zweieinhalb Jahrhunderte lang getragen, bewahrt und immer wieder korrigiert und verbessert haben – die amerikanischen Wähler. Sie sehen ja, was Trump und die Republikaner tun. Vielleicht tun sie das Richtige und stimmen bei der Kongresswahl 2022 und der Präsidentenwahl 2024 mit grosser Mehrheit für die Demokraten.
Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht wird es bei der nächsten Präsidentenwahl wieder so knapp wie im November. Und vielleicht ist die politische Machtkonstellation in den Bundesstaaten und im Kongress dann so, dass die Republikaner tatsächlich ein demokratisches Wahlergebnis verändern können. Für diesen Fall eine Prognose – finster, aber wahr: Noch eine Wahl wie 2020 werden die Vereinigten Staaten nicht überleben, nicht als Demokratie und nicht als vereinigte Staaten.
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