Psychothriller «Nightmare Alley»Ein amerikanischer Albtraum von Monster-Meister Guillermo del Toro
Mit «Nightmare Alley» hat Guillermo del Toro einen Film noir inszeniert, der in vergangener Zeit spielt. Aber voll aufs Heute zielt. Wir haben mit dem oscarprämierten Regisseur gesprochen.
Tatsächlich, im Schocker «Nightmare Alley» gibt es so etwas wie ein Happy End. Aber es kommt lange vor dem eigentlichen Ende des Films: Der Mann läuft mit der Frau seiner Träume von dannen, die Musik schwillt an, die Kamera fährt in die Höhe. Ein klassisches Schlussbild. Doch damit beginnt der Albtraum erst richtig.
«Das ist typisch. Dieser Mann hat alles, wovon er träumte. Das vollkommene Glück. Aber das ist ihm nicht genug. Er will mehr, mehr, mehr.» Guillermo del Toro sitzt, wenn er das sagt, in der Bibliothek seines Hauses in Los Angeles. Und unterstreicht, eingefangen von der Zoom-Kamera, jedes «mehr» mit einer Handbewegung.
«Der Film ist dunkel, illusionslos»
Für seinen letzten Film «The Shape of Water» hat Guillermo del Toro vor vier Jahren den Oscar als bester Regisseur gewonnen. Das war eine hoffnungsvolle Liebesgeschichte zwischen einer stummen Reinigungsfachfrau und einem Fabelwesen aus dem Meer. Der neue Film «Nightmare Alley» ist dagegen fast zynisch.
«Halt, sagen Sie bitte nicht ‹zynisch›», wirft del Toro ein, «der Film ist dunkel, er ist illusionslos. Aber zynisch ist er nicht. Er spiegelt einfach meine Sicht auf die Welt. Überall, wo ich hinblicke, sehe ich Menschen wie diesen Stan Carlisle.»
Stan, gespielt von Bradley Cooper, ist ein Zauberer, ein Hellseher in den 1940er-Jahren. Er muss Dreck am Stecken haben, lernt man schon in der ersten Szene des Films, aber was er genau mit der Leiche zu tun hat, die er darin verbrennt, bleibt vorerst unklar. Stan landet auf einem Rummelplatz, wo er als Hilfskraft anheuert. Und sich sofort hocharbeitet.
Diese kleine Welt, wo es Schlangenmenschen, Wahrsagerinnen und ein menschliches Monster gibt, ist del Toro pur: ein mit viel Liebe gezeichneter Mikrokosmos, inspiriert von der mexikanischen Kindheit des Regisseurs. Und dargeboten mit herausragender Besetzung: Willem Dafoe zum Beispiel ist der Chef und Rooney Mara eine Frau, die eine Nummer mit Elektrozauber präsentiert. Und natürlich ist – als Muskelmann – auch Ron Perlman dabei, der in keinem Del-Toro-Film fehlen darf.
«Eigentlich ist dieser Rummelplatz ein schrecklicher Ort», sagt der Regisseur, «aber die Leute dort sind wenigstens ehrlich, indem sie sagen, unehrlich zu sein.» Später kommt Stan – Stanton nennt er sich jetzt – als grosser Wahrsager in die Stadt. «Dort behaupten alle, sie seien ehrlich. Aber diese Welt ist viel brutaler.»
Wie wahr. Stanton legt sich in der Stadt, mithilfe einer von Cate Blanchett gespielten Psychiaterin, mit den Mächtigsten an. Das heisst, er denkt, er könne seine Rummelplatztricks auch an ihnen praktizieren. Mehr, mehr, mehr, wie del Toro eben sagt. Die US-Realität ist dem Regisseur, der schon lange in den USA lebt, bestens vertraut. Aber er ist sich seiner Herkunft stets bewusst. Mit «Ich bin ein Einwanderer» eröffnete er 2018 seine viel beachtete Oscarrede.
«Nightmare Alley» gab es schon einmal, im Jahr 1947, als klassischen Film noir. Es ist die Verfilmung eines Romans von William Lindsay Gresham. «Ein interessanter Mann», weiss del Toro: «Katholik, Kommunist, Zauberer, er glaubte an die Kraft von Tarot-Karten. Und nahm sich später desillusioniert das Leben – im gleichen Hotelzimmer, in dem er Teile seines Romans über grosse Illusionen geschrieben hatte.»
Erstaunlich ist, dass «Nightmare Alley» die allererste Romanverfilmung des Bücherfans del Toro ist. Er wird immer wieder mit Horror- und Fantasyklassikern in Verbindung gebracht. Kennt zum Beispiel auch «Die schwarzen Spinne» von Jeremias Gotthelf, die er in einem Tweet als «echten, dunklen, dunklen Leckerbissen» bezeichnete. Was für eine grossartige Vorstellung, vielleicht einmal eine Leinwandversion davon von ihm zu bekommen!
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«Die Bücher, die Sie in diesem Raum sehen, sind nur ein Bruchteil derer, die ich besitze. Und es gibt zahlreiche, die ich noch verfilmen will. Aber ich habe kaum Einfluss darauf, welche Projekte letztlich zustande kommen und welche nicht. Welche schliesslich finanziert werden können, entscheiden andere.»
Geht es um Fantasy und dunklen Horror, gilt der 57-jährige Guillermo del Toro künstlerisch als erste Adresse. Bei niemandem übersprudeln die Gedanken so bildstark, sind die Filme so deutlich in ihrer eigenen Welt verhaftet wie bei ihm. Bei niemandem ist aber auch so offen, ob das Publikum die verschlungenen Pfade mitgehen will. Hollywood verdient mit ihm manchmal viel Geld (mit dem Oscarfilm «Shape of Water», zum Beispiel), verliert aber auch immer wieder – auch «Nightmare Alley» konnte in den USA die Kosten nicht einspielen.
Vielleicht ist del Toro auch eine Art Stan, der sein Publikum mit Tricks verzaubert? «Das ist ein Gedanke, mit dem ich mich immer wieder beschäftige. Aber mein Schluss daraus ist eindeutig: Als Künstler bedeutet Erfolg immer auch, es auf bestimmte Weise vermasselt zu haben. Ich darf mich nicht fragen, was den Menschen gefällt, sondern muss versuchen, das auszudrücken, was mich selbst beschäftigt.»
Tarot legen? Oder einfach weitermachen?
In «Nightmare Alley» bringt der Regisseur seine Botschaft direkt, aber auf wunderbar elegante Art auf den Punkt: Der amerikanische Traum ist ein Generator von Albträumen. Und: Menschen wollen sich nicht mit der Realität auseinandersetzen, sondern bestätigt bekommen, was sie ohnehin schon wissen. Davon leben auch aktuelle Politiker.
Was nun, Guillermo del Toro? «Keine Ahnung. Ich könnte Tarot-Karten legen, um die Zukunft zu erfahren, das habe ich in Mexiko von meiner Mutter gelernt und finde, es ist mehr als nur ein fauler Zauber. Aber ehrlich gesagt, fürchte ich mich davor.»
Selbstverständlich wird er weitermachen. Und sich mit seinen ganz eigenen Tricks der Realität stellen.
«Nightmare Alley» läuft jetzt in den Kinos.
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