Tränen bei Dominic Lobalu«Endlich frei» – jetzt darf der Superläufer für die Schweiz Medaillen jagen
Der Einsatz von Swiss Athletics zahlt sich aus: Dominic Lobalu kann schon an der EM im Juni antreten – es ist auch ein Geschenk für seinen unermüdlichen Trainer.
Sieht so Glück aus? Vielleicht eher Glückseligkeit? Dominic Lobalu lacht, er strahlt, er nimmt das rote Dress aus den Händen von Christoph Seiler entgegen und bedankt sich herzlich. Es ist ein grosser Moment für beide an dieser Medienkonferenz in der Wankdorfhalle in Bern, für den Superläufer aus St. Gallen, für den Präsidenten von Swiss Athletics, überhaupt für die Schweizer Leichtathletik. Denn: Dominic Lobalu, der Läufer ohne Land, wird immer ein wenig mehr zum Läufer mit Land.
Das rote Dress bedeutet nun plötzlich, dass er schon diesen Sommer die Chance erhält, auf den grössten Bühnen zu laufen und sich seinen schönsten Traum zu erfüllen. Der 25-Jährige hat diesen in den vergangenen fünf Jahren und seit seiner Ankunft in der Schweiz wieder und wieder formuliert. «Ich möchte der erste Flüchtling werden, der an Olympischen Spielen eine Medaille gewinnt», sagte er etwa. Oder: «Ich bin als Flüchtling aufgewachsen. Flüchtling zu sein, ist meine Identität. Und mein Ziel ist, eine Medaille zu gewinnen. Für alle Geflüchteten.»
Druck vom Schweizer Verband
Um zu verstehen, wieso dies nun plötzlich möglich ist, muss man ein wenig ausholen und in den vergangenen September zurückblenden. Da entschied der Leichtathletik-Weltverband, dass der Flüchtling aus dem Südsudan zwar per sofort unter Schweizer Flagge antreten, an internationalen Titelkämpfen aber erst ab dem 6. April 2026 für die Schweiz starten darf (ohne Schweizer Pass, diesen kann er frühestens 2031 beantragen). Drei Jahre Wartefrist also. Aber immerhin ein erster Schritt. Doch es war ein Schritt, mit dem sich der Schweizer Verband und Dominic Lobalu nicht zufriedengaben. Sie stellten ein Wiedererwägungsgesuch.
Bei solchen Beurteilungen geht es nicht um die sportlichen Leistungen eines Athleten, sondern um seine Bindung zur neuen Heimat. Der Weltverband will mit seinen Regularien sicherstellen, dass es nicht zum Handel mit Athletinnen und Athleten kommt. Seiler betont, dass er es richtig findet, dass bei Nationenwechseln genau hingeschaut wird. «Das haben sie auch bei Dominic Lobalu getan und erkannt, dass sein Wechsel aus Gründen erfolgte, die er nicht zu verantworten hat.»
Nach dem Entscheid im September letzten Jahres hat Swiss Athletics Dominic Lobalu am 1. Dezember ins Nationalkader aufgenommen. Seither kann er Schweizer Meister werden und ist es auch schon, seither werden seine Leistungen auch europäisch anerkannt. Es ging nicht lange, bis er Ende Dezember und Mitte Januar über 5 beziehungsweise 10 km auf der Strasse Europarekorde lief.
Im Wiedererwägungsgesuch gelang es Swiss Athletics offenbar, zu belegen, dass Dominic Lobalu in der Schweiz heimisch geworden ist und über eine gefestigte und auf Dauer angelegte Bindung zum Land verfügt. Seiler glaubt, mehrere Faktoren hätten für die Verkürzung der Wartefrist um zwei Jahre gesprochen: einerseits, dass Dominic Lobalu nun anerkannter Flüchtling sei und so unter dem Schutz der Schweiz stehe. Und andererseits, dass er über einen gesicherten Aufenthalt verfüge – mit Aussicht auf den Schweizer Pass.
Schon die kommenden Wochen sind für den Athleten verheissungsvoll: Bereits vom 7. bis 12. Juni wird er an der EM in Rom antreten können, vorgesehen sind Starts über 5000 m und 10’000 m, qualifiziert hätte er sich auch über 1500 m und im Halbmarathon. Swiss Athletics geht davon aus, dass die Startberechtigung auch für die Spiele in Paris von Anfang August gilt. Die Anfrage beim IOK ist getätigt.
«Die komplette Erleichterung»
Es war ein bewegender Freitagmorgen, als der Athlet und sein Trainer, Mentor und väterlicher Freund Markus Hagmann die News vernahmen. Sie standen kurz vor der Abreise nach Karlsruhe, wo Dominic Lobalu am Samstag ein 1500-m-Rennen bestreiten sollte. «Dann kam dieser positive Entscheid, es war sehr emotional. Nach fast fünf Jahren Kampf mit unendlich vielen Hindernissen, dem langen Warten, der Ungewissheit – es war die komplette Erleichterung», sagt Hagmann. Tränen seien beidseits geflossen, und er sagt, noch immer brauche er Zeit, das Ganze einzuordnen. Dominic Lobalu sagt: «Als ich es erfahren habe, habe ich getanzt. Jetzt komme ich meinem Traum näher.»
Ob Zufall oder nicht: Dominic Lobalus Startberechtigung für internationale Meisterschaften gilt seit Freitag, dem 10. Mai 2024 – ausgestellt genau fünf Jahre und einen Tag, nachdem er in die Schweiz eingereist war. 2019 hatte er sich nach einem Rennen in Genf abgesetzt und in der Schweiz Asyl beantragt.
«Dominic ist nun endlich frei»
Der Athlet war in den vergangenen Jahren «immer informiert über die nächsten Schritte, aber so, dass es ihn nicht belastete», sagt Hagmann. «Nun freuen mich die sportlichen Herausforderungen riesig, die kommen. Erst der GP von Bern am Samstag, dann die Diamond-League-Meetings in Oslo und Stockholm in zwei, drei Wochen, dann die EM. Ich bin sehr gespannt, was dabei herauskommt.»
Mindestens ebenso freue ihn aber, «dass Dominic endlich Dominic sein darf. Keine Grenzen mehr hat, endlich frei ist.» Glück eben. Hart erarbeitetes und erduldetes Glück.
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