Einseitiger Wimbledon-FinalSo verloren hat man Djokovic noch nie gesehen
Carlos Alcaraz deklassiert den Serben und gewinnt mit 21 den 4. Grand-Slam-Titel. Als Novak Djokovic danach zu seinen Kindern hochblickt, wird er emotional.
Ein Wimbledon-Final ist eine ernste Sache. Und wenn Novak Djokovic mitspielt, geht es in den letzten Jahren immer um Tennis-Geschichte. Doch als das Spiel vorbei war, der Serbe klar verloren hatte und es mit Fassung trug, provozierte die Platzinterviewerin Anabel Croft ungewollt Lacher. Carlos Alcaraz sei heute «heiss» gewesen, sagte sie – und das Publikum brach in Gelächter aus. Die Zuschauer fassten die Bemerkung Crofts anders auf, als sie gemeint war. Und Alcaraz, der einige Meter weit entfernt mit dem Wimbledon-Pokal stand, lächelte leicht verlegen.
Auch Djokovic musste schmunzeln und sagte: «Ja, er war sehr heiss heute.» So erbittert der 37-Jährige während seiner Matches kämpft, es gibt im Tennis wohl keinen faireren Verlierer als Djokovic. «Kompliment an Carlos, das war wirklich eine sehr komplette Leistung in allen Bereichen», sagte er. «In den ersten zwei Sätzen kam ich nicht auf mein gewohntes Niveau. Aber danach probierte ich nochmals alles und wehrte drei Matchbälle ab. Es war nicht genug. Carlos ist ein absolut verdienter Sieger.»
Damit verteidigte der 21-Jährige erfolgreich seinen Titel vom Vorjahr, als er Djokovic in fünf Sätzen niedergerungen hatte. Damals war er der Aussenseiter und anfangs von der Szenerie des Wimbledon-Finals überfordert gewesen. Er lag schnell 0:5 zurück, ehe er sich ins Spiel kämpfte und im fünften Satz nochmals steigerte. Diesmal bestimmte Alcaraz das Geschehen vom ersten Ballwechsel. Die ersten zwei Sätze waren eine Demonstration des Spaniers, so verloren hatte man Djokovic auf dem Court noch nie erlebt.
Erst im dritten Durchgang spielte der 24-fache Grand-Slam-Champion auf Augenhöhe mit. Trotzdem kam Alcaraz nach gut zwei Stunden bereits zu seinen ersten Matchbällen. Der grosse Fussballfan hatte es scheinbar eilig, um nicht den EM-Final zwischen Spanien und England zu verpassen. Er führte 6:2, 6:2, 5:4 und bei eigenem Aufschlag 40:0, die Partie schien vorbei. Dann unterlief ihm ein Doppelfehler, Djokovic gelang darauf ein guter Punkt, und schliesslich setzte Alcaraz einen Topspin-Volley knapp ins Aus. Der Serbe schaffte das Break, der Final war wieder lanciert.
Alcaraz machte es besser als Federer
Es ist keine gute Idee, gegen Djokovic Matchbälle zu verpassen. Das erfuhr Roger Federer schmerzlich im Wimbledon-Final 2019, als er im fünften Satz bei 8:7 und eigenem Aufschlag 40:15 führte – und noch verlor. Für viele Federer-Fans heute noch ein traumatisches Erlebnis. Alcaraz machte es besser. Er fing sich wieder, spielte ein grossartiges Tiebreak und bezwang Djokovic in drei Sätzen. Lange war es vor allem ein spielerisch eindrücklicher Auftritt des Spaniers gewesen. Wie er sich nach den verpassten Matchbällen schnell wieder fing, zeigt auch seine mentale Stärke.
In Roland Garros hatte Alcaraz den Final gegen Alexander Zverev nach einem 1:2-Satzrückstand noch umgebogen, im Wimbledon-Endspiel nahm er seinen Fuss nie vom Gaspedal und schlug insgesamt 42 Winner. Damit ist er erst der sechste Spieler in der Profiära (seit 1968), der nacheinander Paris und Wimbledon gewinnt: nach Rod Laver (1969), Björn Borg (1978 bis 1980), Rafael Nadal (2008, 2010), Federer (2009) und Djokovic (2021). «Es ist eine grosse Ehre, in den Kreis dieser grossen Champions einzutreten», sagte er. «Ich selbst fühle mich noch nicht als Champion. Aber ich versuche, meinen Weg weiter zu gehen.»
Sein Weg hat Alcaraz mit 21 bereits zu vier Grand-Slam-Titeln geführt. Was vor ihm nur Boris Becker, Björn Borg und Mats Wilander geschafft hatten. Bereits vor dem Final hatte ihn Djokovic als «besten 21-Jährigen aller Zeiten» betitelt. Und vor dem 22. Geburtstag des Spaniers stehen noch das US Open und das Australian Open an. Hatte Alcaraz im Frühling mit Problemen am Schlagarm gekämpft, so spielte er sich in Paris wieder frei.
Der Auftritt von Prinzessin Kate
Den Pokal empfing er aus den Händen von Prinzessin Kate, die sich am Wimbledon-Final zum zweiten Mal in der Öffentlichkeit zeigte, nachdem sie im März ihre Krebserkrankung bekanntgegeben hatte. Alcaraz, als Spanier mit den royalen Gepflogenheiten vertraut, verbeugte sich höflich vor ihr. Die Prinzessin von Wales, die die Schirmherrin des All England Lawn Tennis Club ist, war mit stehenden Ovationen empfangen worden, als sie sich in die Royal Box begeben hatte.
«Das ist nun definitiv die Wachablösung», sagte Nick Kyrgios nach dem Endspiel. In Wimbledon war der Finalist von 2022 der Edel-Sparringspartner von Djokovic gewesen und hatte er geistreich für BBC kommentiert. Die Jungen haben nun die ersten drei Grand-Slam-Titel dieses Jahres gewonnen: Jannik Sinner in Melbourne, Alcaraz in Paris und Wimbledon. Eine Randnotiz dieses Finals, die aus Schweizer Sicht interessant ist: Mit seinem Sieg verteidigte Alcaraz wie schon im Vorjahr den Rekord Federers von acht Wimbledon-Titeln. Und die Chancen von Djokovic steigen mit zunehmendem Alter nicht.
Der Serbe wartet derweil weiter auf seinen ersten Titel seit acht Monaten. In Paris musste er vor dem Viertelfinal gegen Casper Ruud wegen seines Meniskusrisses Forfait geben. In Wimbledon zeigte er sich als medizinisches Wunder: Nicht einmal sechs Wochen nach seiner Meniskus-Operation in Paris flitzte er wieder über den Court. «Wenn ich zurückschaue auf die letzten vier, fünf Wochen, so darf ich sehr stolz sein auf mich», sagte Djokovic. «Aber so kurz nach dem Spiel bin ich trotzdem ein bisschen enttäuscht.»
Ein emotional bewegter Djokovic
Hatte sich der Serbe im Verlaufe des Turniers mehrmals mit dem Publikum angelegt, so rührte er die Leute nun mit seinen Worten: «Wimbledon war immer mein Kindheitstraum», sagt er. «Manchmal versuche ich mich daran zu erinnern, wie surreal es ist, hier zu sein. Es ist jedesmal wieder wunderbar, auf diesen Court zu schreiten. Ich bin immer noch ein Kind, das seinen Kindheitstraum lebt.»
Apropos Kindheitstraum: Als Djokovic hoch in die Box zu seinen Kindern blickte, zu Stefan (9) und Tara (6), wurden seine Augen wässrig. «Wenn ich diese beiden Engel sehe, muss ich immer weinen», sagte er. «Und sie schliessen Tennis immer mehr in ihre Herzen. Ich weiss nicht, ob ich die Nerven habe, mit meinem Sohn eine Coachingkarriere zu verfolgen.» An Stefan gerichtet sagte er: «Es gibt so viele schöne andere Dinge, die man tun kann im Leben. Aber wenn du es wirklich versuchen willst, dann bin ich für dich da.»
Stark gespielt von Djokovic, doch Alcaraz passiert ihn. Das ist Tennis vom Feinsten.
Guter Aufschlag von Djokovic, er wehrt den Breakball ab.
Missglückter Stoppball von Djokovic. Der nächste Breakball für Alcaraz.
Und er schickt ein Ass hinterher.
Djokovic erläuft einen Stoppball und punktet.
Returnwinner Alcaraz. Keine Chance für Djokovic.
Was für ein Passierball von Alcaraz!
Doch Alcaraz holt sich das Game. Auch mit ein bisschen Glück.
Guter Return von Djokovic. Erstmals schafft er es, Alcaraz zu bedrängen.
Alcaraz packt nun wieder sein bestes Tennis aus.
Djokovic hat den Punkt schon fast gewonnen, doch Alcaraz erläuft seinen Volleystopp.
Schöne Antwort von Alcaraz. Aufschlag auf den Körper und Vorhand ins Eck.
Alcaraz setzt die Vorhand ins Aus. 0:30. Es wird laut im Stadion.
Doppelfehler Alcaraz. Das ist bisher seine einzige Schwäche.
Immerhin: Djokovic holt sich das erste Game im dritten Satz. Das ist schon mal ein Start für den Serben.
Kyrgios: «Wo ist die Energie bei Djokovic?»
Nick Kyrgios weiss, wie es ist, gegen Novak Djokovic in einem Wimbledon-Final zu spielen. Er verlor 2022 gegen den Serben. Nun kommentiert er auf BBC. Er sagt: «So lau habe ich Djokovic noch nie gesehen. Wo ist die Energie bei ihm?»
Der nächste Aufschlagwinner. Alcaraz holt sich den zweiten Satz.
Satzball für Djokovic.
Für einmal ein gelungener Netzangriff von Djokovic.
Was für ein zweiter Aufschlag von Alcaraz! Er strotzt vor Selbstvertrauen.
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