Nicholas Latifi: Reich und überfordertDieser Milliardärssohn nervt die Formel 1
Dreher hier, Abflug dort: Der Kanadier ist ein Ärgernis. Bislang haben ihn die 30 Millionen Franken gerettet, die sein Vater jährlich zahlt. Doch wie lange noch?
Wo Nicholas Latifi auftaucht, ist er im Weg. Diesen Eindruck zumindest erhält, wer sich die prominentesten Rennszenen des Kanadiers anschaut. Dreher hier, Abflug dort, Bremsklotz da. Latifi hat es in seinen zweieinhalb Jahren in der Formel 1 geschafft, sich einen zweifelhaften Ruf zu erarbeiten – und diesen auch immer wieder zu bestätigen.
Als Carlos Sainz jüngst in seinem Ferrari dabei war, den Prestige-Grand-Prix von Monaco zu gewinnen, war es der Hinterherfahrer von Williams, der den Spanier so lange aufhielt, bis dieser genug Zeit verloren hatte, damit Sergio Pérez im Red Bull den Sieg erben konnte. «Das gesamte Rennen hat sich in dieser Runde entschieden. Als ich aus der Box herausfuhr, haben meine Hinterreifen etwas durchgedreht, weshalb Latifi überhaupt vorbeikommen konnte. Wenn ich mir überlege, dass ich zu diesem Zeitpunkt das Rennen anführte, hätte er durchaus hinter mir bleiben können, anstatt mich zu überholen», sagte Sainz hinterher. Und: «Ich war am Funk richtig wütend, er hätte schon viel früher Platz machen müssen.»
Latifi ist in der Formel 1 vor allem eines: ein Ärgernis. Zweimal bei 47 Versuchen hat er bislang Punkte geholt, im Vorjahr in Ungarn und Belgien. Seinen grössten Auftritt hatte der 26-Jährige aber im Finalrennen in Abu Dhabi. Kurz vor Saisonschluss knallte er in die Begrenzungsmauer und löste den Einsatz des Safety Car aus. Damit sorgte er dafür, dass Max Verstappen wieder zu Lewis Hamilton aufschloss – und der Niederländer in der letzten Runde mit frischen Reifen noch am Briten vorbei und zum WM-Titel fahren konnte. Auch dank einer durchaus fragwürdigen Regelauslegung des damaligen Rennleiters Michael Masi.
Latifi musste hinterher einiges einstecken: Häme, Spott, vor allem aber Hasstiraden, gar Todesdrohungen gab es gegen ihn und seine Familie in den sozialen Medien. Latifi war «schockiert, wie die Netzwerke als Kanal für Hass, Beleidigungen und Gewaltandrohungen verwendet werden». Als er zurück war in seiner Wahlheimat London, traute er sich eine Zeit lang nur noch mit Bodyguards aus dem Haus. Williams-Teamchef Jost Capito glaubt, dass diese Erlebnisse bis heute nachhallen. «Die ganzen Schmähungen und Drohungen haben ihm sehr zugesetzt. Wir haben mit ihm gearbeitet, um das zu verarbeiten. Er muss mit so etwas umgehen lernen, und dabei ist er auf einem guten Weg.»
Er braucht lange in die Königsklasse
Es ist viel, was Latifi verarbeiten muss in seiner eher kurzen Karriere als Rennfahrer. 13-jährig ist er schon, als er sich für den Sport zu interessieren beginnt und erstmals in einen Kart steigt. Manch ein Gegner sitzt da schon zehn Jahre hinter dem Steuer. Latifis Erfolge sind denn auch bescheiden. Als er in den Formelsport wechselt und 2012 in der italienischen Formel 3 fährt, wird er Siebter – während Teamkollege Riccardo Agostini die Meisterschaft gewinnt. Auch in der Folge steht er oft im Schatten seiner Kompagnons im selben Rennstall – das tut er auch jetzt bei Williams. 2:6 liegt er zurück im Vergleich mit Alex Albon.
Ewig lange sechs Saisons braucht Latifi, um 2019 in der Formel 2, der Vorstufe zur Königsklasse, Rang 2 herauszufahren – es ist ein Ausreisser nach oben. Gesamtsieger wird Nyck de Vries. Doch während der Niederländer in der Langstrecken-WM und der Elektroserie Formel E seine Runden dreht, tut das Latifi seither auf der grösstmöglichen Bühne.
Papa sammelt Schumachers und Räikkönens Ferrari
Dort hingetragen hat ihn das Geld von Vater Michael Latifi, mit 15 aus dem Iran nach Kanada ausgewandert, wo er Wirtschaft studierte und die Firma Sofina Foods aufbaute, heute ein Gigant im Bereich der Lebensmittelverarbeitung. Teile seines Vermögens von umgerechnet rund 2 Milliarden Franken fliessen in seine private Autosammlung, zu der Michael Schumachers Weltmeisterauto Ferrari F2004 sowie Kimi Räikkönens Siegeswagen F2007 gehören. Auch investiert er sein Geld in den aktuellen Motorsport. 240 Millionen zahlte er an die McLaren-Gruppe, von der er nun 10 Prozent hält.
Doch sein Sohn kam 2020 eben bei Williams unter. Das Geld des Vaters half kräftig mit. Michael Latifi sprach sogleich ein 60-Millionen-Franken-Darlehen für den Rennstall. Kann dieser das nicht abbezahlen, soll Latifi offenbar die volle Kontrolle über das Traditionsteam erlangen. Zudem fliessen laut mehreren Quellen jährlich knapp 30 Millionen auf das Konto von Williams, damit das eine seiner vier Kinder weiter in ein Formel-1-Cockpit steigen darf.
Dennoch kommt ausgerechnet jetzt, vor seinem allerersten Grand Prix in seiner Heimat, das Gerücht auf, dass das alles nicht mehr reicht. Latifi, 21. und Letzter in der WM, soll bald ersetzt werden. Alpine-Junior Oscar Piastri steht bereit und dürfte spätestens 2023 von Latifi übernehmen.
Manche Stimmen in der Szene behaupten gar, bereits nach dem Rennen in Kanada am Sonntag soll der Wechsel vollzogen werden. Latifi sagt: «Ich weiss, dass ich bis Ende des Jahres fahren werde.» Auch Teamchef Capito sagt, während der Saison einen neuen Fahrer ins Team zu integrieren, sei «immer schwierig. Das schwächt das Team. Obwohl Oscar ein sehr vielversprechendes Talent ist und einen Sitz in der Formel 1 verdient hätte.» Sein Zusatz: «Ich bin mir sicher, dass er nächstes Jahr einen Sitz bekommt.» Es scheint, als könnten Latifi nicht einmal mehr die Millionen seines Vaters retten.
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