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Fotografien aus Südafrika
Diese Bilder erzählen vom Widerstand

Ihre Protagonistinnen blicken stets direkt in die Kamera: Zanele Muholis «Bester I, Mayotte» (2015).
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Wie keine andere Fotografin feiert Zanele Muholis Kunst die Schönheit der Schwarzen, den Stolz und die Würde von Menschen, die sich gegen Missachtung, Unterdrückung, Misshandlung und Rassismus wehren. Ihre Protagonistinnen und Protagonisten, denen nicht selten traumatische Erfahrungen ins Gesicht geschrieben sind, bittet sie meistens, direkt in die Kamera zu blicken.

Muholis Porträts von Frauen und Männern, von lesbischen, schwulen, ganz allgemein queeren Personen befinden sich heute in den wichtigsten Museen der Welt. Die umfassende Schau über das Werk der südafrikanischen Fotografin, die längst ein internationaler Star ist, zeigt das Kunstmuseum Luzern in diesem Sommer bis zum 22. Oktober.

Die Ausstellung wurde von der Tate Modern in enger Zusammenarbeit mit der Fotografin konzipiert und musste wegen Terminproblemen des Londoner Museums während der Corona-Pandemie verschoben werden. Sie wurde schon in Museen in Berlin, Paris und Valencia gezeigt und hat nach ihrer Präsentation in Luzern am 6. Juni 2024 in London Vernissage.

Überlebende von Gewaltverbrechen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung: Zanele Muholis «Miss d’Vine II» (2007).

Zanele Muholi wurde 1972 in einer Township in Durban als jüngstes von fünf Geschwistern geboren und wuchs im Apartheidsstaat Südafrika auf. Sie studierte Fotografie, unter anderem in Johannesburg und Toronto. Muholi ist lesbisch, schreibt sich im Englischen mit dem Pronomen they und versteht sich weniger als Fotografin denn als «Artivist» oder «visuelle:r Aktivist:in», wie sie selbst sagt.

Aufs Brutalste misshandelt

In ihrer im Jahr 2002 begonnenen Fotoserie «Only Half the Picture», die in der Luzerner Ausstellung zu sehen ist, porträtiert sie Überlebende von Gewaltverbrechen, unter anderem Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung aufs Brutalste misshandelt wurden. Wer sich über die Hintergründe dieser Fotos informiert, begegnet dem in Südafrika offenbar weitverbreiteten Phänomen der «korrigierenden Vergewaltigung», durch die sich Männer Frauen gefügig machen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprechen. Den Opfern dieser Gewalttaten hilft Muholi mit ihren Fotografien, sich ihrer Schönheit und Würde selbst zu versichern. Nicht selten erblickt man aber in den Augen der abgebildeten Frauen eine tief sitzende Trauer und Verstörung, die von ihren brutalen Erfahrungen berichten.

Schönheit und Würde neben tief sitzender Trauer und Verstörung: Zanele Muholis «Mbali Zulu, KwaThema, Springs, Johannesburg» (2010).

Selbstbewusster ist der Gesichtsausdruck der Porträtierten in Muholis berühmter, im Jahr 2006 begonnenen und bis in die Gegenwart weitergeführten Fotoserie mit dem Titel «Faces and Phases». Hier zeigt die Fotografin lesbische, bisexuelle oder trans Personen in verschiedenen Phasen ihrer sexuellen Entwicklung, die sich meist durch eine äusserliche Verwandlung bemerkbar machen. An zwei Wänden des grössten Saals der Ausstellung, die sich im vierten Stock von Jean Nouvels Konzert- und Museumshaus KKL befindet, hängen Dutzende Bilder dieser Serie in drei Reihen übereinander.

Die Kraft in der Gruppe

Auf dieser Bildergalerie stammen zwei oder manchmal auch drei Aufnahmen von ein und derselben Person. Vereinzelt gibt es auch Leerstellen, wie wenn die Fotografin andeuten möchte, dass das hier zu platzierende Bild noch nicht geschossen worden ist oder nicht mehr geschossen werden konnte.

Fotoserie mit lesbischen, bisexuellen und trans Personen: Zanele Muholis «Faces an Phases».

Wer ähnelt sich, wer ist in den Jahren, die zwischen zwei Bildern ins Land gegangen sind, ein anderer oder eine andere geworden? So gleich sich viele der Porträtierten geblieben sein mögen, so verschieden ist ihre Kleidung, ihre Haltung und nicht zuletzt ihre Mimik. So steht jedes Porträt als eine Momentaufnahme für sich und gewinnt seine Kraft gerade durch die Differenz zu den Personen auf den Fotos in unmittelbarer Nachbarschaft der Ausstellung. Wer Identität bisher als lebenslanges Kontinuum betrachtet hat, erkennt hier die Kraft des Neuentwurfs des eigenen Selbst, wie dieser oft mit der Bewusstwerdung der eigenen sexuellen Orientierung oder gar einer sexuellen Verwandlung einhergeht.

Bruch mit der kolonialen Bildtradition

Die Fotoserie «Faces and Phases» ist insofern hochpolitisch, als Muholi die Porträtierten als Subjekte zeigt. Damit vollzieht sie einen deutlichen Bruch zu einer von einem kolonialen Geist geprägten, meist von Weissen geschriebenen Fotogeschichte Afrikas, die Schwarze zu Objekten einer dokumentarischen Kamera machte. Der direkte Blick der Porträtierten in Muholis Kamera ist weder keck noch scheu, sondern trotzig, kämpferisch, um nicht zu sagen aggressiv. Hier nehmen sich die Unterdrückten, die sich oft einem sie musternden und abschätzenden Blick ausgesetzt sehen, das Recht heraus, ihre Augen aufzuschlagen, um aus dem Bild heraus einen Dialog mit der Museumsbesucherin, dem Museumsbesucher zu suchen.

Durch die Gruppierung der Porträts zu einer eigentlichen Galerie verstärkt die Fotografin die Stimme der Einzelnen, da sie in der Mehrzahl wie bei einer politischen Demonstration auf der Strasse mehr Aufmerksamkeit erheischen und zugleich auch Solidarität untereinander markieren.

Selbstporträts mit surrealen Accessoires: Zanele Muholis «Qiniso, The Sails, Durban» (2019).

Ganz anders, aber nicht weniger kraftvoll thematisiert Zanele Muholi ihre eigene Herkunft aus der schwarzen Unterschicht Südafrikas in den Selbstporträts, von denen etwas mehr als ein Dutzend unter dem Titel «Somnyama Ngonyama» in der Luzerner Ausstellung zu sehen sind. Die Künstlerin verkleidet sich in diesen Bildern, die durchaus Ähnlichkeiten zur Kunst von Cindy Sherman aufweisen, mit zufällig erscheinenden Alltagsdingen.

Spiel mit den Identitäten

Es handelt sich dabei um weisse oder kostbar bedruckte Stoffe, aber auch um Wäscheklammern, Kämme oder andere Alltagsgegenstände. Sie hängt sie sich zweckentfremdend um den Hals oder steckt sie sich ins Haar. So werden sie zu surrealen Accessoires, die auf eine koloniale, von Rassismus geprägte Tradition verweisen, die noch immer das Leben vieler schwarzer Menschen bestimmt.

Ihr Gesicht und ihren Körper auf diesen Fotos hat Muholi in der Dunkelkammer nachgeschwärzt, sodass sich ihre Haut bloss graduell von einem ebenfalls schwarzen Hintergrund abhebt und nur die Augen der Künstlerin und einzelne Attribute ihrer Kleidung weiss aufblitzen.

Übrigens, der Titel dieser Serie von Selbstporträts bedeutet auf Zulu «Gepriesen sei die dunkle Löwin». Muholi, «visuelle:r Aktivist:in», findet damit für ihre/seine kämpferische Bildstrategie eine treffende Metapher. Denn ist es nicht so, wie wenn Zanele Muholi uns Museumsbesuchern aus den überaus starken Bildern mit immer neuer Kraft entgegentritt?

Die Ausstellungen zu Zanele Muholi und Walter Pfeiffer werden im Kunstmuseum Luzern bis zum 22. Oktober gezeigt.