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Kontroverse um Covid-19 Impfstoff
Die Schweiz vernichtet Impfdosen – und kauft Millionen neue

Überzähliger Impfstoff aus der Schweiz soll an die Covax-Initiative für ärmere Länder weitergegeben werden. Stattdessen wird er vernichtet.
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Mehr als 600’000 Covid-19-Impfdosen muss die Schweiz vernichten, weil ihr Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, wie der Bund bestätigt. Gleichzeitig werden Menschen, die eine vierte Impfdosis haben wollen, wohl demnächst selbst dafür bezahlen müssen. Wäre es da nicht besser, die fast abgelaufenen Mittel kostenlos abzugeben?

«Ja, das sieht auf den ersten Blick nach einem Widerspruch aus», meint SVP-Nationalrat Thomas Aeschi. «Aber irgendeinmal muss man zum Courant normal zurück.» Wer also etwa für eine Reise eine vierte Impfung braucht, soll sie auch selbst bezahlen – wie das auch bei anderen Impfungen, etwa gegen Gelbfieber, der Fall ist.

Formal ist die Begründung für die mögliche Bezahlpflicht, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) diese Woche den Kantonen zur Vernehmlassung vorgelegt hat, dass es keine offizielle Zulassung für eine vierte Impfung gibt. Die Eidgenössische Impfkommission (Ekif) hält eine zweite Auffrischimpfung für die allermeisten Menschen nicht für notwendig. Der zweite Booster ist damit zwar nicht verboten, gilt aber als «Off Label»-Verwendung, über den Ärztin und Patientin in eigener Verantwortung entscheiden.

Das Virus noch nicht im Griff

Ruth Humbel, Gesundheitspolitikerin der Mitte, kann den Beschluss der Ekif schwer nachvollziehen. «Auch vor einem Jahr hat die Ekif lange gezögert, als es um eine Auffrischimpfung ging», sagt die Nationalrätin. «Und dann musste es mit dem Booster plötzlich ganz schnell gehen.» Sie findet es zu früh, die Menschen jetzt schon selbst bezahlen zu lassen. «Man muss zuerst eine gewisse Sicherheit haben, dass wir das Virus im Griff haben», findet sie. Und das sei noch nicht der Fall.

Über die Frage einer Bezahlung für eine vierte Covid-19-Impfung entscheidet der Bundesrat voraussichtlich am 10. Juni.

Dass jetzt Hunderttausende Impfdosen vernichtet werden, finden sowohl Aeschi als auch Humbel unverständlich. Es sei immer kommuniziert worden, dass überschüssige Impfdosen weitergegeben werden sollten, betont Aeschi. «Es ist wirklich zu bedauern, dass das nicht rechtzeitig geschehen ist.»

«So eine Verschwendung von Steuergeldern ist nicht akzeptabel.»

Ruth Humbel, Nationalrätin

«Das ist nicht haltbar», sagt Humbel. «Die Behörden sehen doch frühzeitig, wann die Impfstoffe ablaufen.» Das BAG müsste lange im Voraus aktiv werden, um solche Überschüsse an bedürftige Länder weiterzugeben. «So eine Verschwendung von Steuergeldern ist nicht akzeptabel.»

Derzeit hat die Schweiz noch 6,9 Millionen Impfdosen auf Lager, wie das BAG bestätigte. «Es wurde bewusst in Kauf genommen, dass unter Umständen zu viel Impfstoff für den Bedarf der Schweiz beschafft wurde», hebt ein BAG-Sprecher hervor. «Ziel ist es nach wie vor, die Bevölkerung in der Schweiz jederzeit mit einer genügenden Menge der wirksamsten zur Verfügung stehenden Impfstoffe zu schützen.»

Die Pharmakonzerne diktieren

Gabriela Hertig, Gesundheitsexpertin bei der Menschenrechtsorganisation Public Eye, macht auch die Pharmakonzerne verantwortlich. Die Verträge der Schweiz mit den Konzernen seien nicht öffentlich, aber es sei davon auszugehen, dass die Unternehmen bei der Weitergabe von Impfdosen ein Vetorecht hätten. «Die Länder müssen einwilligen, die Haftung für eventuelle Nebenwirkungen zu übernehmen», sagt Hertig. «Es gibt Länder, die sich das finanziell nicht leisten können. Das zeigt, dass die Industrie die Konditionen diktieren kann.»

Wichtigster Empfänger von gespendeten Impfdosen ist die internationale Covax-Initiative, die die ärmsten Länder der Welt beliefert. Covax zufolge hat die Schweiz bisher 1,8 Millionen Dosen geliefert und weitere 7 Millionen bis Ende Juni zugesagt. Der Bundesrat hatte im Februar angekündigt, in der ersten Jahreshälfte bis zu 15 Millionen Dosen an Covax weiterzuleiten. «Wie viele Dosen effektiv weitergegeben werden können, ist aktuell noch Gegenstand von Verhandlungen zwischen Covax, den Herstellern und dem Bund», teilte ein BAG-Sprecher mit. «Dieser Prozess ist aufwendig.»

Globales Überangebot an Impfstoff

Vor einer Woche rief Covax erneut dazu auf, die «Impflücke» zwischen wohlhabenden und weniger entwickelten Ländern dringend zu schliessen. In den ärmsten Ländern hätten nur 16 Prozent der Bevölkerung eine erste Impfung gegen Covid-19 erhalten, verglichen mit 80 Prozent in den reicheren Ländern. Allerdings räumt Covax ein, dass es inzwischen ein «globales Überangebot» an Impfstoff gebe, welches die Nachfrage übersteigt. Aufgrund dieses Überangebots ist die Covax-Initiative nicht immer bereit, weitere Spenden entgegenzunehmen, wie im April ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Deutschland beklagte.

Trotz des Überangebots in der Schweiz plant der Bund, von Juli bis Dezember pro Monat 2,6 Millionen Impfdosen von Moderna und Pfizer zu kaufen und zusätzlich mehrere Hunderttausend Dosen des Impfstoffes Novavax. Die Finanzkommission des Ständerats hat das diese Woche kritisiert. «Die Kommission hält die Menge der zu beschaffenden Dosen für zu gross», teilte sie mit. Das Parlament wird sich in der Sommersession ab nächster Woche damit befassen.