Leichtathleten so erfolgreich wie nieDie Schweiz nur eine Sprintnation? Das war einmal!
Eine Bronzemedaille und sechs weitere Top-8-Plätze: Angeführt von Mujinga Kambundji und Simon Ehammer, glänzt die Schweiz an der WM in Eugene – trotz Enttäuschungen.
Die letzten Eindrücke bleiben. Vor allem, wenn sich auch die Schweizer 4x400-m-Staffel im Hayward Field in die Startblöcke kniet – neben den USA, Jamaika und Grossbritannien. Und Ditaji Kambundji in einem Hürden-Weltrekordrennen in 12,70 mit einem Exploit und persönlicher Bestleistung brilliert. Die Finalqualifikation der Staffel war die grösste Überraschung aus Schweizer Sicht – und mit ihrem 8. Platz trug auch sie zur erfolgreichsten Bilanz je bei: Neben Simon Ehammers Bronzemedaille im Weitsprung, die überhaupt die erste eines Mehrkämpfers in einem WM-Einzelwettbewerb war, gab es sechs weitere Top-8-Plätze.
Das Erfreuliche daran ist, dass die Schweiz nicht mehr nur als (junge) Sprintnation auffällt, sondern dass sich mit den Mehrkämpfern, Hürdensprinterinnen und Bahnläuferinnen eine stolze Breite etabliert hat. Mujinga Kambundji hat mit ihren Erfolgen und ihrer Einstellung in den vergangenen Jahren demonstriert, was auf höchstem Niveau möglich ist. Die Jungen schauten zu ihr auf, jetzt sind auch viele von ihnen erfolgreich. Und haben mit einem Selbstverständnis nachgezogen, das an der EM in drei Wochen in München zu einer weiteren Erfolgsgeschichte beitragen könnte.
Leistungssportchef Philipp Bandi sagt, dass «es keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir uns gegenüber Doha 2019 erneut steigern konnten». Damals gewann Kambundji Bronze über 200 m, und drei weitere schafften den Finaleinzug. «Erfreulich ist vor allem, dass Eugene eine Art Fortsetzung der Hallen-WM in Belgrad ist.» Im März wurde Kambundji dort Weltmeisterin und gewannen Ehammer und Hochspringer Loïc Gasch je eine Silbermedaille.
Das 25-köpfige Schweizer Team, das am Dienstagmorgen in der Schweiz landet, lässt sich leicht in Erfolgreiche und Enttäuschende einteilen, es gab aber auch andere.
Leaderin und Leader
Ehammers Plan, an der WM nur den Weitsprung zu bestreiten und an der EM dafür seine Leidenschaft Zehnkampf, ist (bisher) perfekt aufgegangen. Mit seinem Podestplatz schon am zweiten Tag sorgte er für die gute Grundstimmung im Team – und reiste danach sofort ab. Während er in Eugene noch seine schwächeren Wurfdisziplinen trainierte, verbrachte er vergangene Woche vier Tage in Stuttgart, um (auch) an der Hürdentechnik zu feilen. Der 22-jährige Appenzeller steht vor aufregenden Jahren – wenn er gesund bleibt. Denn niemand scheint ihn von seinem Vorhaben, an den Grossveranstaltungen künftig im Weitsprung und im Zehnkampf anzutreten, abbringen zu können (und wollen). Denn wie beschreibt ihn sein Trainer? «Bis unters Dach voller Energie.»
Das ist auch Kambundji, die in acht Tagen sieben Rennen bestritt und ihre Finalplätze hoch einschätzt. Sie sagt: «Das Niveau ist so hoch geworden, deshalb habe ich am 5. Rang über 100 m mega Freude, und auch, dass ich dreimal unter elf Sekunden blieb. Zudem habe ich alle Amerikanerinnen hinter mir gelassen.» Dass ihr über 200 m (7.) der Schweizer Rekord gelang, als sie ihn für die Finalqualifikation brauchte, macht sie stolz. «Diese Bestzeit hat sehr viel Energie gekostet, physisch und mental. Deshalb war im Final zuletzt nicht mehr so viel da.» Die 30-Jährige wird sich nun ein paar Tage Erholung gönnen und eine Woche vor der EM ein Rennen in Ungarn bestreiten. «Ich bin froh, dass das möglich ist. Ich möchte vor München noch etwas fürs Gefühl tun.»
Die Nervenstarke
Ein Jahr Pause, und dann düst Siebenkämpferin Annik Kälin im Schnellzug durch die Saison. Sie kam, sah und verblüffte auch in Eugene: Nach ihrem Schweizer Rekord in Grosseto (ITA) Anfang Mai gelang ihr in Götzis später ein ähnlich guter Wettkampf, und jetzt steigerte sie sich an der WM erneut (6464 Punkte). Damit spielt sie in einer ähnlichen Liga wie Simon Ehammer im Mehrkampf: WM-Sechste mit 22 Jahren und sieben Disziplinen – da kann kommen, was will. An der EM werden es viele starke Gegnerinnen sein, der Siebenkampf wird von den Europäerinnen geprägt.
Die Aufstrebenden
Da ist natürlich Ditaji Kambundji mit ihren erst 20 Jahren. Wie sie in der Nacht auf Montag im Hürden-Halbfinal ihre Bestzeit um sieben Hundertstel auf 12,70 verbesserte und damit hinter Lisa Urech zur zweitschnellsten Schweizerin wurde, war Extraklasse. Stürzte sie letztes Jahr an Olympia noch, hatte sie nun Emotionen, Adrenalin und Aggressivität im Griff. In München wird sie als Nummer 4 Europas antreten. Ähnlich eindrücklich Lore Hoffmann über 800 m: 9. im Olympiarennen, 9. auch an der WM. Die Walliserin lief taktisch clever – wenn sie sich noch den absoluten Willen aneignet, «die anderen zu zerstören», wie Kambundji jeweils sagt, läuft sie nächstes Mal im Final. Mit ihr und Steeplerin Chiara Scherrer hat die Schweiz zwei Bahnläuferinnen, die an Selina Büchel und Fabienne Schlumpf erinnern. Und deren Erfolge sind unvergessen.
Die Hartnäckige
Es hat schon etwas Beeindruckendes, wie Hürdensprinterin Noemie Zbären in den vergangenen Jahren mit ihrer Leidenschaft Sport umgegangen ist. Wie sie das Geschehene abgehakt und neu angefangen hat. Sie war es 2015, die Swiss Athletics in Peking den ersten Top-8-Platz nach acht Jahren Dürre bescherte. Als 21-Jährige und Jüngste im Team wurde sie Sechste. Dann folgten Jahre der Verletzungen, des Kampfes, des mentalen Einbruchs, aber auch Jahre, in denen Zbären ihre berufliche Karriere vorantrieb und so den Frust im Sport erträglich machte. Vor der WM sagte sie, sie vergleiche sich nicht mehr mit früher. Mit dieser Einstellung schaffte sie ein grosses Comeback, im Halbfinal gelang ihr in 12,94 eine Saisonbestzeit.
Die Enttäuschenden
Wo nur war Jason Joseph? Bei wohl keinem Athleten klaffen Anspruch und Wirklichkeit so sehr auseinander wie beim Hürdensprinter. Vor drei Jahren war er Europas verheissungsvollster Nachwuchsathlet in diesem Bereich, und dann? In La Chaux-de-Fonds lief er 2021 bei viel Wind und vorwiegend nationaler Konkurrenz in 13,12 Rekord, nachdem er bei Olympia im Halbfinal enttäuscht hatte. Nun schied er an der WM nach indiskutabler Leistung (13,76) erneut aus. Er glaubt, er sei zu schnell geworden und könne deshalb die Technik über den Hürden nicht umsetzen. In München erhält er die nächste Chance. Das ist bei Ricky Petrucciani noch nicht sicher. Der Tessiner 400-m-Läufer kommt nach einem äusserst erfolgreichen Olympiajahr einfach nicht auf Touren und ist ratlos.
Die Glücklichen
Die Staffelsprinterinnen über 4 x 400 m waren nach ihrem Coup überwältigt und absolut ehrlich: «Niemand, nicht der Verband und auch nicht wir, hätte mit diesem Final gerechnet», sagte Silke Lemmens stellvertretend für alle. Das 4x4-Projekt ist erst drei Jahre alt, Leaderin damals war Hürden-Europameisterin Lea Sprunger, die inzwischen ihre Karriere beendet hat und Mitte Woche in die Athletenkommission des Weltverbandes gewählt wurde. Die Staffel lief bereits an der WM in Doha und an den Olympischen Spielen (in anderer Besetzung), in Eugene verschaffte sie sich nun mit Platz 8 Motivation und Legitimation für die Zukunft. Ebenso glücklich verliess Stabspringerin Angelica Moser (8.) die USA: Sie war praktisch ausgeschieden und sprach schon vom sofortigen Rückflug, als sie mit 4,35 m doch noch in den Final rutschte, diesen nach vielen Verletzungen zu einer Saisonbestleistung (4,60 m) nutzte und signalisierte: Bis zur EM geht noch etwas.
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