Corona-Forscher und Merkel-BeraterDie schlaue Eminenz
Virologen regieren derzeit, nicht Politiker, heisst es. In Deutschland ist der Forscher Christian Drosten zu einem Star geworden, dem eine ganze Nation an den Lippen hängt.
In deutschen Küchen und Wohnzimmern kommt dieser Tage das Gespräch früher oder später immer an den Punkt, wo einer sagt: «Dieser Virologe hat aber gesagt . . .» Dieser Virologe, dem alle zuhören und der deswegen nun in Millionen von Haushalten quasi mit am Tisch sitzt, heisst Christian Drosten.
In den Medien ist für den 48-Jährigen längst kein Superlativ mehr gross genug: «Aufklärer der Nation», «mächtigster Arzt Deutschlands», «Virologen-Papst», «schlaue Eminenz». Im Internet hat sich bereits ein Fanclub gebildet, der sich «Drosten Ultras» nennt. Die «Zeit» betitelte ein Porträt von ihm kürzlich mit: «Ist das unser neuer Kanzler?»
Einer wie Habeck
Kanzler ist und wird Drosten nicht. Über solche Übertreibungen schüttelt er sowieso nur den Kopf. Will man unbedingt vergleichen, dann wäre er eher eine Art Robert Habeck der Corona-Krise. Wie der Grünen-Chef und mögliche Kanzlerkandidat ist Drosten ein Intellektueller, in den Bürger in unsicherer Zeit grosse Hoffnungen setzen. Einer, den alle mögen, dem alle gern zuhören und der mit seinen verstrubbelten dunklen Haaren zu allem Überfluss ausgesprochen apart aussieht. Einen «Glücksfall für das Land» nennt ihn die «Frankfurter Allgemeine» (FAZ).
In Krisen suchen Menschen Orientierung. Ärzte sind in einer Epidemie natürliche Experten – und der Leiter der weltberühmten Virologie der Berliner Charité sowieso. Drostens Wort hat seit Beginn des viralen Ausnahmezustands enormes Gewicht. In Fernsehen und Radio ist er allgegenwärtig. Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und Berlins Bürgermeister Michael Müller liessen sich persönlich von ihm beraten.
Seit Ende Februar nimmt er für den Norddeutschen Rundfunk (NDR) an jedem Werktag einen halbstündigen Podcast auf, in dem er die neusten Erkenntnisse der Wissenschaft ausführlich darstellt und diskutiert. Seine bisher 22 Folgen erreichten Millionen von Bürgern. Viele meinen, es sei «gerade die wichtigste deutschsprachige Sendung» überhaupt.
Diese Stimme!
Dass unter den vielen deutschen Virologen gerade dieser Sohn eines Bauern aus dem niedersächsischen Emsland ein Star geworden ist, erklärt sich einerseits durch Drostens Kompetenz, andererseits durch die Art, wie er sie ausspielt. Er hat die Gabe, auch komplexe Dinge verständlich und prägnant zu erklären, mit warmer, ruhiger Arztstimme. Er wägt ab und differenziert und findet doch immer den Punkt. Besserwisserei ist ihm völlig fremd, vielmehr gibt er unumwunden zu, wenn er etwas falsch eingeschätzt hat. Häufig betont er, dieses oder jenes wisse man noch nicht oder Wissenschaftler seien sich darüber nicht einig.
«Ich verhänge keine Ausgangssperren. Wer bin ich denn?»
Drosten selbst hat oft glasklare Meinungen. Er wagt auch Prognosen, tut aber nicht so, als besässe er eine Kristallkugel. Nach Ostern werde man sehen, was die bisherigen Massnahmen gebracht hätten und wie es weitergehen könne, sagt er etwa. Mit einem Jahr Ausnahmezustand solle man als Gesellschaft aber schon rechnen. An solchen Sätzen orientieren sich derzeit viele.
Als Wissenschaftler geniesst er Weltruf. Bereits als Nachwuchsforscher gehörte er zu jenem Team, das 2003 als erstes den Erreger der Sars-Epidemie genetisch entschlüsselte. Dafür erhielt er bereits mit 32 Jahren das Bundesverdienstkreuz. Später war er an der Entdeckung des Mers- und des Zika-Virus beteiligt. Mitte Januar entwickelte sein Team den weltweit ersten Nachweistest für das neue Corona-Virus, Sars-CoV-2, den er sofort weltweit zugänglich machte.
Transparenz ist alles
Transparenz ist überhaupt Drostens Erkennungszeichen. Schon die Entdeckung des ersten Sars-Virus veröffentlichte er sogleich im Internet, um allen Forschern Zugriff zu ermöglichen. Dabei war diese Praxis damals noch alles andere als üblich. Heute sieht er seine Aufgabe unter anderem darin, der Öffentlichkeit stundenlang zu erklären, was es mit diesem Virenangriff auf sich hat. An politischen Medienkonferenzen ärgert er sich schnell über «kontraproduktive Fragen» zur Durchführung von Fussballspielen oder Parteitagen. Ausführliche Gespräche mit Wissenschaftsjournalisten sind ihm lieber. Den halbstündigen Podcast im NDR hat er sich sozusagen auf den Leib geschneidert, um komplexe Fragen differenziert und ohne Zeitdruck zu erörtern.
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Im Unterschied zu vielen seiner Fans überschätzt Drosten jedoch nicht die Rolle, die er als Erklärer und Ratgeber derzeit spielt. Er sagt stets sehr deutlich, wo seine Expertise aufhört und die anderer Disziplinen beginnt. Zur Frage etwa, ob und wie lange man wegen der Seuche Schulen schliessen könne, haben aus seiner Sicht Bildungsexperten, Ökonomen und Soziologen mindestens so viel beizutragen wie Ärzte. Er setzt das Ziel seiner Disziplin – die Virenbekämpfung – auch nie absolut, sondern weist ständig auf die Konflikte mit anderen gesellschaftlichen Zielen hin.
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Und schon gar nicht masst sich Drosten an, anstelle der Politiker zu regieren, die er berät. Über Schutzmassnahmen müsse am Ende die Politik entscheiden, beharrt er, nicht die Wissenschaft: «Ich verhänge keine Ausgangssperren. Wer bin ich denn?» Anders als manche andere Seuchenspezialisten hat er für das bisherige Handeln der deutschen Politik viel Lob übrig.
Nur die Aufregung um seine Person werde ihm langsam zu viel, sagte der Vater eines kleinen Jungen jetzt der FAZ. Medien würden aus ihm zunehmend eine Art «Comicfigur» kreieren. Das ängstige ihn. Im Kern sei und bleibe er Forscher, er habe keinerlei Lust, als Fernsehprofessor zu enden. Doch erklären, geduldig und klug, das will Christian Drosten weiterhin. Solange es ihn halt braucht.
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