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Actionfilm mit Russell Crowe
Die Rache des Wutbürgers

Tödliche Gefahr: Russell Crowe als ausrastender Autofahrer in «Unhinged».
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Nach der Corona-Zwangspause wurde ja gemeinhin erwartet, dass Christopher Nolans superteurer Actionfilm «Tenet» als erster US-Blockbuster das weltweite Kinorevival einläuten würde. Nun aber kommt alles anders: Es ist der mittelteure und ziemlich unzimperliche Rachethriller «Unhinged» (Produktionsbudget: 33 Millionen Dollar), der als erster US-Film in diesen Tagen das internationale Publikumsinteresse testen soll. In Deutschland lief der Film bereits Mitte Juli an, jetzt ziehen die Schweiz und weitere europäische Länder nach, während der Start in den USA auf August verschoben wurde.

Ob dieses Beispiel Schule macht? Klar ist: Das Kinogeschäft liegt am Boden, Starttermine sind zu einer Art Schiebemasse geworden, und es scheint denkbar, dass amerikanische Filme bald nicht mehr weltweit simultan anlaufen, wie das jahrzehntelang üblich war, sondern eben nur in jenen Ländern, in denen dank tiefer Covid-19-Fallzahlen genügend Kinos geöffnet haben.

«Unhinged» wiederspiegelt ein latentes gesellschaftliches Unbehagen.

Corona hin oder her, «Unhinged» ist ein Film, den man so nicht erwartet hätte. Er widerspiegelt ein latentes gesellschaftliches Unbehagen; so suggerieren es jedenfalls die von unsichtbaren Moderatoren kommentierten Sequenzen im Vorspann: Es geht um zunehmendes Aggressionspotenzial auf den Strassen. Doch was dann folgt, ist keine tiefenpsychologische Analyse, sondern fadengrade Eskalation. Regisseur Derrick Borte zeigt, was passiert, wenn zwei vom Leben Überforderte im falschen Moment aneinandergeraten.

Russell Crowe, der Mann fürs Grobe

Oscarpreisträger Russell Crowe («Gladiator») spielt in «Unhinged» einen Psychopathen, der sich im Auto von einer dauergestressten Durchschnittsamerikanerin (Caren Pistorius) provozieren lässt. Das ist insofern konsequent, als der 1964 im neuseeländischen Wellington geborene Schauspieler in Hollywood seit Jahren als Mann fürs Grobe gilt. Hier, in «Unhinged», steht seine Ampel auf Grün, aber er fährt nicht. Sie hupt und überholt. Er nimmt die Verfolgung auf und fordert eine Entschuldigung. Doch sie denkt nicht daran.

Es ist eine Eskalation, die an Steven Spielbergs «Duel» (1971) erinnert, wo ein reisender Geschäftsmann – scheinbar ohne Grund – von einem gesichtslosen LKW-Fahrer bedrängt wird. Vor allem aber ruft «Unhinged» den Wutbürger-Klassiker «Falling Down» (1993) mit Michael Douglas in Erinnerung. Auch dort wird es einem Mann im Stau zu viel, er steigt aus, kommt durch Zufall in den Besitz von Waffen und hinterlässt eine Blutspur auf dem Weg nach Hause. Der kürzlich verstorbene Regisseur Joel Schumacher beschrieb seinen Film als «Odyssee eines Mannes in den Wahnsinn, als pervertierten Existenzkampf eines Durchschnittsbürgers».

Ein Direktvergleich zwischen «Unhinged» und «Falling Down» in sechs Punkten:

Die Hauptfigur

Tödliches Rencontre: Der namenlose Psychopath (Russell Crowe) terrorisiert in «Unhinged» den Anwalt von Rachel, die ihn angehupt hat.

«Unhinged»: So übergewichtig und Hemden nass schwitzend hat man Russell Crowe noch nie gesehen. Den pillenschluckenden, kurz vor der Pensionierung entlassenen Mann ohne Namen nimmt man ihm ab. Wie er in einem Diner einen Anwalt gewaltsam über den Tisch zieht, ist von ungefilterter Brutalität.

«Falling Down»: Bürstenschnitt, Kurzarmhemd und ebenfalls arbeitslos: So verkniffen hat man Michael Douglas sonst nie gesehen. Der Unterschied zu «Unhinged»: Ob und wie durchgeknallt der von Douglas gespielte William «D-Fens» Foster ist, weiss man lange nicht. Der Mann reagiert, wenn er sich angegriffen fühlt – und manchmal, könnte man meinen, durchaus zu Recht.

Ohne Erbarmen: Michael Douglas in «Falling Down» von Joel Schumacher.

Das Gegengewicht

Unter Druck: Caren Pistorius als überforderte Mutter in «Unhinged».

«Unhinged»: Rachel lebt in Scheidung, verliert ihre Hauptkundin, muss den Bruder samt Freundin beherbergen und den Sohn zur Schule fahren. Klar, dass diese Figur immer und überall zu spät kommt und dann entnervt auf die Hupe drückt. Caren Pistorius gibt einen würdigen Gegenpart als vom Alltag gebeutelte Mutter, die sich gegen ihren Aggressor zur Wehr setzt.

«Falling Down»: Der Gegenspieler des ausrastenden William Foster ist keine Frau, sondern der Schreibtischpolizist Martin Prendergast (Robert Duvall). Der hat an seinem letzten Arbeitstag als Einziger den richtigen Riecher, wer da als wandelndes Verderbnis durch halb Los Angeles zieht. Aber dann ist da noch Prendergasts kranke Frau, die ständig ins Büro anruft.

Schreibtischpolizist Prendergast (Robert Duvall) findet in «Falling Down» seine grösste Herausforderung am Tag seiner Pensionierung.

Die erste Szene

«Unhinged»: Es ist vier Uhr morgens, starker Regen. Der Bösewicht parkiert vor dem Haus seiner Ex-Frau, wirft Pillen ein, schmeisst den Ehering weg, der Scheibenwischer wischt und wischt. Dann geht er mit der Axt ins Haus. Schade, da wäre eine differenziertere Figurenzeichnung möglich gewesen.

«Falling Down»: William Foster sitzt im Stau wegen einer Baustelle. Die Eröffnungssequenz beginnt lautlos, steigert sich dann aber mit Details (rumsurrende Fliege, hupende Automobilisten, lärmende Kinder im Bus vis-à-vis) zur nervtötenden Kakofonie. Wer würde da nicht ausrasten wollen?

Motivation des Bösewichts

Wo der namenlose Held (Russell Crowe) gewütet hat, bleibt eine Spur der Verwüstung zurück.

«Unhinged»: Der namenlose Held will eine Entschuldigung von Rachel, weil sie ihn angehupt hat – und vergeht sich dann aus Rache an ihren Nächsten. Das kann man konsequent nennen, im Grunde ist es eine Rechtfertigung für das, was im Vorspann als «Road Rage»-Phänomen deklariert wird. Eingelöst wird dieses Versprechen, einen gesellschaftlichen Missstand zu beleuchten, aber nur in Bruchstücken.

«Falling Down»: Foster will trotz richterlichen Verbots zurück zu seiner Ex-Frau, um seiner Tochter ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen. Je heftiger er auf seinem Trip durch die verschiedenen Viertel von L.A. provoziert wird (von Asiaten, Latinos und weissen Golfspielern), desto unbarmherziger schlägt er zurück.

William Foster (Michael Douglas) wird von einer Latino-Gang provoziert.

Humor

«Unhinged»: Für Genrefans ist allenfalls die anfangs ins Bild gerückte Schere (sie wird am Ende überlebenswichtig) einen Lacher wert. Ansonsten: nicht vorhanden.

«Falling Down»: Vor einer der vielen Strassenbaustellen wird der meckernde William Foster von einem schwarzen Jungen belagert, der sich auf einem Filmset wähnt. Der Gipfel des rabenschwarzen Humors: William erfährt von diesem Buben, wie man eine Panzerabwehrrakete bedient, und feuert diese in die Baustelle.

Bewertung

«Unhinged»: Subtil ist anders, klar, aber der Film reisst einen als Zuschauer vor lauter Verfolgungswahnsinn komplett aus der Corona-Realität. Russell Crowe und Caren Pistorius halten die Spannung aufrecht.

«Falling Down»: Er will keinen Krieg, aber er kriegt ihn: Michael Douglas nimmt als gefrusteter Durchschnittsbürger ein gesellschaftliches Gefühl vorweg, das heute omnipräsent scheint – die vor allem in sozialen Medien grassierende Rechthaberei.

«Unhinged»: Der Film läuft ab 29. Juli im Kino.«Falling Down» läuft unter anderem auf Swisscom TV Air, Apple TV oder Google Play.