Grün-rot-rot in Deutschland?Die Linke schielt Richtung Regierung
Die Linkspartei erhält bald eine neue Führung. Und erstmals in ihrer Geschichte sendet sie ernsthafte Signale aus, dass sie ab 2021 gerne mitregieren möchte. In einem möglichen Bündnis mit SPD und Grünen.
Acht Jahre haben Katja Kipping und Bernd Riexinger die Linke geführt, jetzt machen sie Platz für einen Neuanfang. Als sie 2012 übernahmen, hätte sich ihre Partei noch fast gespalten. Seither ist relativer Friede eingekehrt. Kipping und Riexinger haben die notorisch zerstrittene und zwischen Ost und West, Pragmatikern und Radikalen zerklüftete Partei aus der «Schmuddelkind»-Ecke geholt und «normalisiert».
In Thüringen regiert mit Bodo Ramelow seit 2014 ein linker Ministerpräsident, in den Stadtstaaten Berlin und Bremen steht man in einem linken Bündnis mit am Ruder. Nun fehlt noch der grösste Schritt. Es gebe derzeit ein «historisches Möglichkeitsfenster», sagte Kipping gerade: Die Linke müsse jetzt auch im Bund «das Regieren wagen», um die Christdemokraten nach 16 Jahren Angela Merkel in die Opposition zu schicken.
Wer auch immer Ende Oktober an die Spitze der Linkspartei gelangt, wird die Gretchenfrage beantworten müssen: Regierungsfähig werden oder Opposition bleiben? Die beiden Frauen, denen die besten Chancen auf die Nachfolge nachgesagt werden, stehen für den Zwiespalt: Die Hessin Janine Wissler (36) ist eine Trotzkistin, die vom Regieren wenig hält und präventiv davor warnt, «das eigene Programm in die Tonne zu kloppen», nur um der SPD zu gefallen. Die Thüringerin Susanne Hennig-Wellsow (42) gehört zur politischen Leibgarde von Ministerpräsident Ramelow und will wie dieser lieber Politik verwirklichen als in der Schmollecke recht haben.
Die Zeit für einen Strategiewechsel wäre aus vielen Gründen günstig. In der Corona-Krise haben linke Narrative an Überzeugungskraft gewonnen: Der starke, fürsorgliche Staat ist gefragt wie nie, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft fallen heftiger aus denn je, die Globalisierungsskepsis hat sich bis weit in die politische Mitte ausgebreitet. Sahra Wagenknecht, die populärste Linke, Frau des West-Gründers der Partei, Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine, und eine der schärfsten Gegnerinnen eines Bündnisses mit SPD und Grünen, hat sich zudem aus der Spitze zurückgezogen.
Die Sozialdemokraten wiederum bewegen sich unter ihrer neuen Führung auf die Linke zu. Mit Vizekanzler Olaf Scholz haben sie zwar einen Mann der Mitte zu ihrem Kanzlerkandidaten bestimmt, doch dies hat aus Sicht der Linken auch strategische Vorzüge: Er soll in der Mitte die Stimmen gewinnen, die ein linkes Bündnis für eine Mehrheit zwingend braucht. Und lässt der Linken gleichzeitig links genug Platz, um sich im Wahlkampf zu profilieren.
Scholz selbst ist eher skeptisch, ob die aus Gegnerschaft gegen die SPD entstandene West-Linke überhaupt regierungsfähig ist. Ein Bündnis schliesst er aber nicht aus. Zuletzt hat er mit höheren Steuern für Vielverdiener, einer Vermögenssteuer, der Abkehr von Hartz IV und einem viel höheren Mindestlohn sogar Vorschläge gemacht, die man auch als programmatische Avancen an die Linke verstehen kann.
Die SPD will, die Grünen zieren sich
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die neuen SPD-Chefs, werben ganz offen für ein linkes Bündnis. Zum einen ist es der einzige Weg, wie ein Genosse 2021 Kanzler werden könnte. Zum anderen signalisieren sie schon jetzt ihre Bereitschaft, auch unter einem grünen Kanzler (oder einer Kanzlerin) als Juniorpartner mitzuwirken.
Die Grünen hingegen warten noch ab. Seit bald zwei Jahren liegen sie in den Umfragen vor der SPD, vor einem Jahr wetteiferten sie mit der Union sogar um Platz eins. Deswegen halten sie sich im Moment alle Regierungsmöglichkeiten offen. Da sie sich den Wählern als «neue Mitte» empfehlen, liegt ihnen auch nichts ferner, als mit Linkspartei und SPD einen linken Lagerwahlkampf gegen rechts zu führen. Dass sie, wäre es möglich, lieber mit diesen als mit den Christdemokraten regieren würden, versteht sich von selbst.
Mehrheiten gab es schon früher
Bereits 2005 und 2013 gab es im Bundestag linke Mehrheiten, in beiden Fällen bestanden sie aber nur arithmetisch, nicht politisch. Die Linke, vor allem im Westen, wollte die linke Konkurrenz piesacken, nicht unterstützen. Und die SPD lieber unter Merkel mitregieren als mithilfe der Linkspartei – «Fleisch vom selben Fleische» – selbst den Kanzler zu stellen.
Noch ist eine linke Mehrheit bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 weit entfernt: Die Grünen bekommen in den Umfragen derzeit etwa 18, die SPD 16 und die Linkspartei 8 Prozent, macht zusammen 42. CDU und CSU kommen derzeit allein auf 37 Prozent. Bis zur Wahl wird sich aber bestimmt noch viel tun.
Nach wie vor gibt es auch handfeste inhaltliche Hindernisse, die die Regierungsfähigkeit der Linken infrage stellen, vor allem in der Aussenpolitik: Die linke Basis will die Nato abschaffen, alle Auslandeinsätze der Bundeswehr beenden, Rüstungsexporte generell verbieten, das US-Militär aus dem Land werfen und sich Russland annähern. Für SPD und Grüne sind diese Punkte nicht wirklich verhandelbar.
Um die Linke auf mögliche Kompromisse vorzubereiten, haben die abtretenden Chefs nun einen alten Kämpfer zum letzten Gefecht aufgeboten: Gregor Gysi (72), der nach dem Ende der DDR aus der Staatspartei SED die Linke-Vorläuferin PDS formte, würde allzu gerne noch miterleben, dass seine Partei in Berlin mitregiert. «Wenn ich 1990 gesagt hätte, wir werden irgendwann ernsthaft über eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei im Bund reden», sagte er kürzlich dem Berliner «Tagesspiegel», «hätten Sie mir empfohlen, mich in die geschlossene Psychiatrie zu begeben. Und ich wäre da auch hingegangen.»
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