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Meinungsmacher in der Türkei
Der Verbrecher, der keine Lügner mag

Er klagt die türkische Politik an, war vor Gericht aber selbst schon mehrfach angeklagt: Youtuber Sedat Peker.
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Geht es um die Klicks bei Youtube, hat die Türkei derzeit einen Star, der nicht am Laptop vor der Kamera sitzen müsste, sondern im Knast: Sedat Peker. Der 49 Jahre alte Unterweltler mischt gerade die türkische Innenpolitik auf, er sägt digital am Stuhl des Innenministers, belastet das Establishment. Pekers Anschuldigungen lassen sich verkürzt so wiedergeben: Politik und Mafia gehen Hand in Hand, zwischen Mobstern und so manchem Minister besteht kein Unterschied.

Auch Türken, die sich für Politik nicht besonders interessieren oder längst den Glauben an sie verloren haben, schalten angesichts der ohnehin politisch extrem polarisierten Lage im Land ein: Peker wird zum Star.

Beschuldigungen in offenem Hemd

Auf Youtube hat er eine Fangemeinde von mehr als 15 Millionen Menschen, auf Twitter folgt ihm eine halbe Million. In den Videos sitzt er eine Stunde vor der Kamera, um sich herum Mobiliar im feinsten Möbelhausstil. Seine Vorwürfe trägt er in schneeweissen Hemden vor, brusttief aufgeknöpft. Dazu teure Ringe, Halsketten, Schreibgeräte, wechselnd in jeder Folge: Der Mann riskiert mit seinem zwielichtigen «J’accuse» zwar Kopf und Kragen, aber pflegt auch sein Image.

Bei Pekers Youtube-Enthüllungen geht es um Drogendeals, Schiffs- und Öltransportlizenzen mit Milliardenmargen, um Vergewaltigung und Mord. Er, der selbst wegen Mordes, Raubes und Ähnlichem angeklagt wurde, sei ein Ehrenmann eigener Art, Geschäftsmann dazu und der türkischen Nation von Herzen treu. Zu dem amtierenden Innenminister Süleyman Soylu habe er 20 Jahre lang ein enges Verhältnis gehabt. Der aber, ein mächtiger Mann und als Nachfolger von Präsident Recep Tayyip Erdogan gehandelt, habe ihn verleugnet, betrogen, im Regen stehen lassen.

Im Gefängnis seine Anwältin geheiratet

Peker, der angeblich in Dubai untergetaucht ist, könnte den Innenminister den Job kosten. Beweise für die Vorwürfe gibt es aber bislang keine, Soylu droht mit dem Staatsanwalt. Und Peker ist alles andere als ein Traum-Kronzeuge: Am Schwarzen Meer geboren und in Deutschland aufgewachsen, beschäftigt er Polizei, Justiz und Politik seit Jahren. Stets ein die Öffentlichkeit suchender Show-Mann, der im Gefängnis seine Anwältin heiratete. Mehrmals wurde er verurteilt, konnte aber entkommen; als Ultranationalist hatte er wohl gute Drähte zu Politik und Polizei.

In der Türkei sind die Verbindungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität eingespielt. In den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren, der Zeit der Putsche, Militärregierungen und der grossen Linken-Phobie, nutzten die Machthaber die Dunkelmänner. Diese halfen beim Kampf gegen aufständische Kurden, ermordeten linke Oppositionelle.

«Kriminelle Banden sind Giftschlangen.»

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

Die Kriminellen bekamen dafür Zugriff auf den Drogenhandel und die Schutzgeld-Industrie. Als 1996 ein Auftragskiller, ein hoher Polizeioffizier, ein Parlamentarier und eine Schönheitskönigin nahe der Stadt Susurluk im Auto verunglückten und sich im Wagen Drogen und Waffen fanden, wurden diese Machenschaften offensichtlich: Das Establishment war entlarvt.

Für die türkische Führung wird die One-Man-Show deshalb zur Belastung. Präsident Erdogan hat sich bereits sibyllinisch geäussert: «Kriminelle Banden sind wie Terrororganisationen: Sie sind Giftschlangen.» Ob er Peker meint oder auch Politiker in seinem Umfeld, wird sich zeigen.