Der Taxi Driver unter den Superhelden
Düster und brillant: In «Joker» macht Joaquin Phoenix den Comicschurken zum schillernden Charakter.
Nach den ersten Festivaltagen ist es ja üblich, das Gesehene nochmals Revue passieren zu lassen. Zu sehen gabs in Venedig bislang ein zwitterartiges Science-fiction-Epos («Ad Astra»), eine fast schon liebevolle Scheidungsgeschichte («Marriage Story») und ein griffiges Biopic über eine vom FBI abgehörte Sechzigerjahre-Ikone («Seberg»).
Der Staraufmarsch am Lido war ebenfalls imposant: Brad Pitt, Scarlett Johansson, Kristen Stewart oder Catherine Deneuve wurden eingeflogen beziehungsweise eingeschifft. Und trotz berechtigter Kritik an Festivaldirektor Alberto Barbera, der nur zwei Regisseurinnen in den Wettbewerb einlud und der mit Roman Polanski auf die offensichtliche Empörungskarte setzte, kann das Festival die hohen Erwartungen bislang erfüllen.
So war jedenfalls der Stand, bevor der am heissesten erwartete Film am Lido gezeigt wurde – «Joker» von Todd Phillips. Und allein der Umstand, dass ein Werk über eine der beliebtesten und gefürchtetsten Figuren aus dem DC-Superhelden-Universum (er ist der Gegenspieler von Batman) hier im Wettbewerb läuft, liess darauf schliessen, dass da etwas Besonderes kommt.
Superkräfte spielen keine Rolle. Null.
Und ja, «Joker» ist ein Film, der um einiges düsterer ausgefallen ist als vergleichbare Genreware, wobei man mit den Worten Vergleich und Genre vorsichtig sein sollte, denn in diesem Werk spielen Superkräfte keine Rolle. Null. Der Film von Todd Phillips, dessen grösste Leistung bislang aus der klamaukigen «Hangover»-Trilogie bestand, versucht stattdessen, diese Figur irdisch zu justieren. Oder wie es der Regisseur ausdrückt: «Ich liess mich von Filmen wie ‹The Man Who Laughs› von 1928 inspirieren. Ausserdem mag ich Charakterstudien, wie sie in den Siebzigerjahren noch gemacht wurden: ‹Taxi Driver›, ‹Raging Bull›, ‹One Flew Over the Cuckoo‘s Nest›.» Eine hohe Ansage.
In Phillips' Film, dessen Soundspur fast durchwegs aus bedrohlichen Basstönen besteht, heisst der Joker nun Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) und wohnt mit seiner Mutter in einem schäbigen Apartment inmitten der verdreckten Stadt Gotham City. Arthur möchte Komödiant werden, aber dabei kommt ihm – ausgerechnet – sein zwanghaftes Lachen in die Quere. So reicht es vorerst bloss zum Clown auf Abruf, wobei Arthur einmal auf der Strasse von Jugendlichen zusammengeschlagen wird, bei der Sozialarbeiterin kein Gehör findet, den Job verliert und irgendwann im Tagebuch notiert: «Ich hoffe einfach, dass mein Tod mehr Geld bringt als mein Leben.»
Ich wollte eine Figur schaffen, über die kein Psychiater ein Gutachten erstellen kann.
Wie nun aber Joaquin Phoenix diesen Aussenseiter spielt, der bloss versehentlich für anarchistische Zustände in Gotham sorgt, ist ein Erlebnis von nachhallender Kraft. Vor allem, weil man im Kino direkt in seinem Gehirn zu sitzen scheint und doch nie weiss, was er als nächstes ausbrütet. Er habe sich die «Joker»-Performances von Jack Nicholson und Heath Ledger extra nicht angesehen, behauptet Phoenix. Das kann man glauben oder nicht. Phoenix sagt aber auch: «Ich wollte eine Figur schaffen, die nicht identifizierbar ist. Also jemanden, über den kein Psychiater ein Gutachten erstellen kann.» Das jedenfalls kann man beim Verlassen des Kinos definitiv unterschreiben.
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Der Trailer zu «Joker». Quelle: Warner
Ab 10. Oktober im Kino
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