Entzauberung einer Journalisten-LegendeDer «Stern»-Chefredaktor, der die Juden hasste
Neue Recherchen zeigen: Henri Nannen, Gründer des «Sterns», verbreitete für die Nazis rasende antisemitische Propaganda.
Man wusste, dass er im Zweiten Weltkrieg nationalsozialistische Propaganda betrieben hatte. Was das Rechercheteam des Senders NDR jetzt herausgefunden hat: Der als Publizist bis heute verehrte Henri Nannen (1913–1996) hatte auch unzählige Flugblätter verantwortet, die alle nur denkbaren antisemitischen und rassistischen Klischees bedienten. Die Juden wurden als geizig, gierig, triebhaft, kriegslüstern und die afroamerikanischen US-Soldaten als Vergewaltiger dargestellt.
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Henri Nannen hatte in späteren Interviews wiederholt und explizit bestritten, antisemitisch agiert zu haben. Eine weitere Lüge von ihm, wie sich heute zeigt. Die von ihm befohlenen Verhetzungen, die Nannen von seinem Karikaturisten Heinz Fehling malen liess, wurden von deutschen Flugzeugen über Italien abgeworfen, um die Bevölkerung und auch die US-Soldaten auf dem nationalsozialistischen Kurs zu halten oder sie dafür zu interessieren.
Nach dem Krieg, im Zuge der sogenannten Entnazifizierung durch die Alliierten, verschwieg Nannen seinen Einsatz bei der Propagandaabteilung «Südstern». Da er kein Mitglied der Waffen-SS gewesen war, wurde er als unbedenklich taxiert und konnte seine journalistische Karriere lostreten.
Er nahm seine Freunde mit
Drei Jahre nach Kriegsende gründete Nannen, der für seinen autoritären Führungsstil berüchtigt wurde, die Zeitschrift «Stern». Diese brachte es mit einer Kombination aus Politik, Skandalen, Sex und Enthüllungsreportagen («Barschel-Affäre») Ende der Neunzigerjahre zu einer Millionenauflage. Nannen amtete von 1949 bis 1980 als Chefredaktor und später als Verleger. Dabei holte er Heinz Fehling als Zeichner zum «Stern» und machte seinen Freund Hans Weidemann, der im Krieg als SS-Obersturmführer aktiv gewesen war, zum Chefredaktor einer Jugendzeitschrift. Bei der Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher durch den «Stern» war Nannen zwar nicht mehr Chefredaktor, übernahm aber eine Mitverantwortung.
Zeitlebens und auch nach seinem Tod wurde der Publizist in Deutschland geehrt – mit Ehrenbürgerschaften, Kulturpreisen, dem Bundesverdienstkreuz und anderem. Nach ihm ist der Nannen-Preis benannt, der bis heute herausragende journalistische Arbeiten auszeichnet. Auch die Henri-Nannen-Schule in Hamburg, eine hochklassige Ausbildungsstätte für Journalistinnen und Journalisten, verweist auf ihn.
Die «Zeit» nennt Nannens Judenhetze im Auftrag der SS «ganz anders unerfreulich» als andere Seilschaften ehemaliger Nationalsozialisten im Nachkriegsdeutschland. «Und noch viel unerfreulicher erscheint heute, dass niemand zuvor den Verdachtsmomenten nachgehen wollte.» Der «Stern», der Nannens Erbe bis heute hochhält, mochte die letzten Enthüllungen über ihn nicht kommentieren.
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