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Mutmasslicher Staatsterrorismus in Deutschland
Der russische Staat soll hinter einem Mord in Berlin stehen 

Polizeikräfte untersuchen den Tatort im Berliner Tiergarten. Am 23. August 2019 wurde hier ein Putin-Gegner erschossen. 
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Es geschah am helllichten Tag: Am 23. August 2019 wurde Selimchan Changoschwili, ein Tschetschene mit georgischem Pass, um die Mittagszeit ermordet. Per Kopfschuss, in der Nähe des Deutschen Bundestages und des Kanzleramtes. Eine Szene wie aus einem Agententhriller.

Die politische Dimension des Falls wurde rasch klar. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den früheren Kaukasus-Kämpfer einen «blutrünstigen und brutalen Menschen» genannt, doch zu Moskaus Verärgerung schützten die Deutschen ihn als Asylbewerber. Der deutsche Bundesanwalt hat jetzt Anklage gegen den mutmasslichen Mörder erhoben – aber auf der Anklagebank wird auch der russische Staat sitzen. 

Nach monatelangen Ermittlungen ist sich der oberste deutsche Strafermittler sicher: Der Auftrag für die Hinrichtung soll von russischen Regierungsstellen erteilt worden sein. Der mutmassliche Auftragskiller, der inzwischen als Wadim Krasikow identifiziert wurde, sei von ihnen angeheuert worden, so die Anklage. 

Ein Visumsantrag ist Beweis Nummer eins

Obwohl der Täter schweigt, reichen den Ermittlern die Indizien. Alles weise nach Moskau, meinen sie. Der Visumsantrag des Todesschützen mithilfe einer Firma, die offenbar allein aus einem Faxgerät bestand und an das russische Verteidigungsministerium angebunden war, gilt ihnen als Beweismittel Nummer eins. Und auch die wundersame Verwandlung des Todesschützen – von einem mit russischem Haftbefehl gesuchten Kriminellen im Jahr 2013 in einen Mann mit neuer Identität und neuem russischen Pass im Jahr 2015 – spreche für eine steuernde Hand im russischen Staat. 

Jetzt richtet sich der Blick allein auf das Gericht, die unabhängige Justiz übernimmt die Regie. Und in der deutschen Regierung sieht man es einerseits mit Stolz, dass Deutschland diesen Vorgang so hartnäckig rechtsstaatlich aufklärt, andererseits aber auch mit Sorge. Die Sorge rührt daher, dass sich ein solches Verfahren sehr lange hinziehen kann – und damit auch in der Zukunft eine Dynamik auslösen kann, die sich heute noch gar nicht übersehen lässt.

Viele fühlen sich an den sogenannten Mykonos-Fall erinnert. Vor mehr als 23 Jahren urteilten Richter, dass das iranische Regime für den fünf Jahre zuvor begangenen brutalen Mord an vier Oppositionellen im Restaurant Mykonos im Berliner Ortsteil Wilmersdorf verantwortlich gewesen sei. Ein Akt des Staatsterrorismus. Die deutsch-iranischen Beziehungen standen am Rande des Zusammenbruchs.

Die deutsche Regierung will Moskau Grenzen aufzeigen

Niemand kann sagen, ob sich die Geschichte wiederholt – aber was, wenn der mutmassliche Auftragsmörder Krasikow im Prozess doch noch über seine Hintermänner aussagt? Wenn neue Erkenntnisse bekannt werden? Die Ermittler sind sicher, dass Krasikow in Berlin Helfer hatte, welche die Ausspähung des Opfers übernahmen. Oder ihm die Pistole beschafften. Wohin werden die Spuren führen? In der deutschen Regierung hofft man, dass Moskau Grenzen aufgezeigt werden. Aber man will das Verhältnis auch nicht über die Massen oder gar irreparabel beschädigen.

Erste Konsequenzen gab es bereits. Im Dezember 2019 wies die deutsche Regierung zwei Diplomaten aus, Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU. Vor wenigen Wochen folgte ein weiterer «Warnschuss»: Der deutsche Bundesanwalt erwirkte einen Haftbefehl gegen einen GRU-Spion, der als Teil einer Hackereinheit für den Cyberangriff auf das Netz des Bundestages 2015 verantwortlich sein soll. Die Hacker drangen auch in die Computer im Abgeordnetenbüro der Kanzlerin ein.

Nannte den ermordeten Tschetschenen einen «blutrünstigen und brutalen Menschen: Der russische Präsident Wladimir Putin.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem «ungeheuerlichen» Vorgang und von «harten Evidenzen» für eine Beteiligung des russischen Staates. Und nun klagt der deutsche Bundesanwalt sogar russischen Staatsterrorismus an. Der deutsche Aussenminister Heiko Maas sagt, die Regierung behalte sich «weitere Massnahmen in diesem Fall ausdrücklich vor». 

Russland wiederum droht mit Gegenmassnahmen, sollte die deutsche Regierung Sanktionen verhängen. Vorwürfe, dass Russland die Tötung des früheren tschetschenischen Rebellen angeordnet hätte, entbehrten jeder Grundlage, sagte der russische Botschafter in Berlin, Sergei Nechayew, am Donnerstag gemäss der Agentur Interfax.