Der Protest der Hongkonger wirkt – vorerst
Demonstranten haben die Verschiebung einer Debatte über ein Auslieferungsgesetz bewirkt. Sie befürchten, unliebsame Oppositionelle könnten nach China ausgeliefert werden.
Am Ende kamen die Parlamentarier einfach nicht durch. Zehntausende Protestierende haben die Hauptstrasse vor dem Hongkonger Parlament versperrt, in dem am Mittwoch über das umstrittene Auslieferungsabkommen diskutiert werden sollte. Demonstranten warfen Barrieren um und versuchten, die Büros der Abgeordneten zu stürmen. Es kam zu Rangeleien mit der Polizei. Mindestens 70 Menschen seien dabei verletzt worden. Das berichtete der Rundfunksender RTHK unter Berufung auf die Gesundheitsbehörden am Mittwoch.
Schliesslich liess die Regierung die am gleichen Tag angesetzte zweite Lesung verschieben. Sie soll zu einem «späteren Zeitpunkt» stattfinden, wie die Regierung in einer Erklärung ankündigte. Ratsmitglieder wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Wer im Gebäude war, solle dort auf weitere Anweisungen warten.
Brutaler Mord als Auslöser
Ausgelöst hat die heftigen Proteste eine Debatte um ein Abkommen, das ermöglichen würde, auf Ersuchen chinesischer Stellen Verdächtige aus Hongkong nach Festlandchina auszuliefern. Bisher hat die chinesische Sonderverwaltungszone nur mit 20 Ländern entsprechende Regelungen. Die Regierung drängt auf eine Regelung, um die rechtliche Lücke zu schliessen. Vorausgegangen war den Plänen der Fall eines Mannes aus Hongkong, der in den Ferien seine schwangere Frau bei einem Aufenthalt in Taiwan ermordet hatte. Dieser konnte nach seiner Flucht nach Hongkong nicht ausgeliefert werden.
Seit Wochen demonstrierten immer wieder Menschen gegen die Pläne. Sie fürchten, dass die chinesische Regierung das Gesetz dafür missbrauchen wird, politisch unliebsame Oppositionelle ausliefern zu lassen. «China ist kein Rechtsstaat», kritisiert der Abgeordnete James To von der Demokratischen Partei im Gespräch. Er hält es deshalb für unverantwortlich, ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen.
Video: Gewalt an Grossdemonstration in Hongkong
Nach der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong an China 1997 hatte Peking dem Territorium nach dem Prinzip «Ein Land, zwei Systeme» für den Zeitraum von 50 Jahren ein weitestgehend unabhängiges, rechtsstaatliches System zugesichert, in dem Grundrechte wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit für die Hongkonger enthalten waren. Diesen Schutz hat die Volksrepublik aus Sicht vieler Kritiker in den vergangenen Jahren ausgehöhlt.
Bereits am Wochenende waren Hunderttausende Demonstranten auf die Strasse gegangen. Es war die grösste Demonstration seit den Protesten am 4. Juni 1989 in der Region. Trotzdem hatte die Regierung noch am Sonntagabend angekündigt, nicht von ihrem Kurs abweichen zu wollen. Am Montag war Regierungschefin Carrie Lam zudem vor die Presse getreten und hatte die Demonstrationen als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Das Gesetz verhindert aus der Sicht Lams, dass Hongkong zum Zufluchtsort für Flüchtige werde. Die Führung habe die Bedenken aus dem Privatsektor aber berücksichtigt und den Entwurf um Massnahmen zum Schutz der Menschenrechte ergänzt.

Der Unwillen, auf die Zweifel der Bevölkerung einzugehen, hatte die erneuten Proteste provoziert. Zehntausende Menschen waren zu Wochenbeginn den Aufrufen gefolgt und hatten das Parlament umstellt. Die meist in Schwarz gekleideten Gegner der Gesetzespläne zogen über eine wichtige Verbindungsstrasse in der Finanzmetropole nahe dem Büro von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam. In den frühen Morgenstunden folgten immer mehr Menschen den über das Internet verbreiteten Protestaufrufen. Die Polizei war im Grosseinsatz. Sie setzte Pfefferspray gegen Demonstranten ein.
Das örtliche US-Konsulat rief seine Bürger auf, die Gegend zu meiden. Einige Geschäfte waren geschlossen. Zudem gab es Aufrufe zu Streiks und einem Unterrichtsboykott an Schulen. Ein Hotel verkündete, seine Duschen für Protestierende bereitstellen zu wollen. Es war aber unklar, ob die Menschen den Appellen folgten. Die Polizei forderte vorab Verstärkung an und riegelte den Zugang zum Legislativrat und zur Regierungszentrale ab.
Der letzte britische Gouverneur, Chris Patten, kritisierte Peking: «Jeder, der denkt, dass wir in der Lage sein sollten, China in der Zukunft zu trauen, sollte berücksichtigen, wie sich China in Hongkong verhält.» In einem CNN-Interview fügte er hinzu: «Es macht Chinas Versprechen, dass es sich immer an die Regeln hält, zum Hohn.»
Nicht nur Junge
Die Ausschreitungen und Strassenblockaden am Mittwoch erinnerten an die «Regenschirm»-Bewegung für mehr Demokratie vor fünf Jahren, die ihren Namen von den Regenschirmen gegen die Sonne und den Pfefferspray der Polizisten erhalten hatte. «2014 haben wir gesagt, es sei die letzte Runde, aber traurigerweise hat die Regierung nicht auf uns gehört. Aber wir wissen, dass es jetzt wirklich die letzte Chance für uns ist», sagte ein Student namens Adrian, der sich nicht traute, seinen Nachnamen zu nennen. «Wenn du siehst, dass sich diesmal eine Million Menschen erheben, dann weisst du, dass Hongkong wirklich in Gefahr ist.»
Nicht nur jüngere Demonstranten gingen auf die Strasse, auch die Musiklehrerin Heidi Law war dabei. «Wenn das Gesetz durchkommt, könnte unser Recht auf Meinungsfreiheit oder unser Schutz, nur die Wahrheit zu sagen, wegfallen», sagte sie.
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