Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kinolegende Udo Kier
Der ewige Nebendarsteller glänzt jetzt in der Hauptrolle

König und Performer: Udo Kier als Hauptdarsteller in «Swan Song».
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die grünblauen Augen fallen sofort auf. Sie können kalt wirken, wenn er einen Bösewicht spielt, verschmitzt, wenn es sich um eine Komödie handelt. In der Regel sind die Augen nicht lange zu sehen: Udo Kier ist bekannt für seine markanten Kurzauftritte. Aber jetzt ist es anders.

Zu Beginn seines aktuellen Films «Swan Song» öffnet Kier die Augen, am Ende schliesst er sie wieder, dazwischen ist er auch in jeder Szene zu sehen. Daran muss auch er sich gewöhnen. Auf jeden Fall sagt er am Telefon, in seiner unverwechselbaren Art: «Ich habe am Anfang nicht verstanden, wieso alle Kritiker mich plötzlich loben. Aber dann fällt mir ein: Klar, ich spiele ja die Hauptrolle.»

Eine erstaunliche Karriere

Das Lob ist wirklich sehr gross. Da ist die Rede von der «schlauen europäischen Eleganz» («Variety»), die Kier in den Part eines längst pensionierten Coiffeurs bringe. Der Hauptdarsteller sei «so körperlich überwältigend, dass er fast nichts zu machen braucht», meint «The Wrap». Und die «New York Times» hält fest: «Endlich, nach 50 Jahren im Geschäft, hat Mister Kier die Hauptrolle bekommen, die er verdient.»

Ganz so stimmt das nicht. Zu Beginn seiner Karriere wurde Udo Kier durchaus als Hauptdarsteller eingesetzt. Aber die Filme trugen Titel wie «Hexen bis aufs Blut gequält» (1970) und wären längst vergessen, wenn nicht die Trash-Filmgemeinde sie zum Kult erhoben hätte. Zu diesem Zeitpunkt aber war Kier schon weiter, arbeitete für Rainer Werner Fassbinder, Andy Warhol, Gus Van Sant und viele andere.

Eine erstaunliche Karriere, die Udo Kier am Telefon im Schnelllauf passieren lässt. Fassbinder zum Beispiel lernte er in einer Bar seiner Heimatstadt Köln kennen: «Ich war 16, Fassbinder noch ein Jahr jünger, wir sassen einfach da und beobachteten die Leute.» Ein paar Jahre später habe Kier in London, wo er inzwischen lebte, einen «Stern» gekauft, worin diese alte Barbekanntschaft als neues deutsches Regiegenie gefeiert wurde. Ein Anruf, ein Gespräch, dann folgten Auftritte in «Bolwieser» und «Lili Marleen».

So ging es weiter. «I am a lucky man», sagt Udo Kier auf Englisch, er lebt inzwischen in der Wüstenstadt Palm Springs. «Dort gibt es keine Parkuhren, und die Rentner sagen ‹junger Mann› zu mir», erzählt er. Er schwärmt von der ehemaligen Bibliothek, die er bewohnt, samt grossem Garten. Dort pflegt er die Palmen, füttert die 150 Pfund schwere Schildkröte namens Han Solo. «Und irgendwo liegt noch Liza Minnelli herum.» Das ist sein Hund.

Über 250 Filme umfasst Udo Kiers Karriere inzwischen. Dazu gehören Auftritte in grossen Hollywoodkisten wie «Armageddon» (1998). Aber viel lieber sucht er das Aussergewöhnliche, arbeitete zum Beispiel mit Christoph Schlingensief, als diesen noch kaum einer kannte. Und ist seit 30 Jahren in fast jedem Film des Dänen Lars von Trier zu sehen.

Zu jedem und allem kennt er eine Anekdote. Prägend war für ihn zum Beispiel der Abend, als er in einem Hotel in Schweden mit Nicole Kidman, Lauren Bacall, Ben Gazzara und vielen anderen am Tisch sass. Vorbereitet wurden die Dreharbeiten zu «Dogville», Regisseur Lars von Trier liess auf sich warten, erschien dann doch im Raum und gab den Berühmtheiten eine einzige Anweisung: «Don’t act!»

«Jüngeren Kollegen sage ich: ‹Don’t act›, es ist doch nur ein Film.»

Udo Kier

Nicht spielen, das ist auch für Kier die Essenz der Schauspielkunst. «Ich arbeite manchmal mit jüngeren Kollegen, bei denen die Gier, sich darzustellen, riesig ist. Sie sind nicht zu bremsen. Denen sage ich dann: ‹Don’t act›, es ist doch nur ein Film.»

Niemals in seiner Karriere hat Udo Kier dieses Motto so verinnerlicht wie in «Swan Song». Er spielt einen Starfriseur in der US-Kleinstadt Sandusky, Ohio, der inzwischen zurückgezogen im Altersheim lebt. Dort faltet er Papierservietten, damit die Zeit vergeht. Aber dann kommt ein Anwalt und holt ihn mit einem Auftrag aus der Lethargie heraus: Eine ehemalige Kundin, mit der er sich eigentlich verkracht hatte, ist gestorben und hat als letzten Wunsch hinterlassen, sie wolle von ihm im Sarg zurechtgemacht werden.

Erst die Aufmachung macht ihn perfekt: Udo Kier in der Hauptrolle als Friseur in «Swan Song».

Linda Evans, die «Nette» aus «Denver-Clan» – «die Serie war ja damals in Deutschland ein richtiger Strassenfeger», weiss Kier – verkörpert diese Tote. Es gibt zahlreiche Anspielungen und Reminiszenzen, Regisseur Todd Stephens würdigt damit eine zum Untergehen drohende Schwulenkultur in seiner Geburtsstadt. Und lässt seinen Hauptdarsteller, der auch einen Auftritt als Drag Performer hat, in allen Farben funkeln.

«Ich bin ein glücklicher Mensch», betont Kier noch mehrmals. Eigentlich will er jetzt ausspannen, in seinem Garten, sich der Kunst widmen, die er sammelt. Aber dann bekommt er wieder Rollenangebote, die ihn locken. «Ich lese das Drehbuch, schaue, welch kleinere oder grössere Rolle für mich vorgesehen ist und lehne ab, wenn ich denke, der Film wird auch ohne mich gut. Ich lehne viel ab.»

Zum Glück nicht alles. Gerade ist er mit der dritten Staffel von Lars von Triers Spitalserie «The Kingdom» fertig geworden. An der Berlinale hatte soeben der Film «AEIOU» von Nicolette Krebitz Premiere. Und mit Al Pacino hat er eine neue Staffel der Nazijägerserie «Hunter» abgedreht, die im Sommer auf Amazon Prime ausgestrahlt wird.

Ein letztes Mal Winken

Da bleibt wenig Zeit zum Gärtnern. Und noch weniger, um wieder einmal nach Zürich zu kommen, eine Stadt, die Udo Kier liebt. «Sobald ich dort bin, essen wir zusammen ein Züri-Gschnätzlets in der Kronenhalle», verspricht er. Schon wartet der nächste Interviewanrufer. Aber Udo Kier sagt: «Du hast noch eine Frage. Überlege sie dir gut.»

Hm. In «Swan Song» wünscht sich Linda Evens, gut frisiert im Sarg zu liegen – wie stellt sich Udo Kier sein Ende vor? Natürlich kennt er diese Frage. Er sagte auch schon, er wolle bei einer rauschenden Party sterben, mit gutem Wodka. Jetzt aber ist er melancholischer aufgelegt. «Das will ich nicht planen», sagt er. Er stelle sich vor, einfach «Auf Wiedersehen» zu sagen. In die Wüste hinauszuwandern. Mit einer Hand zu winken. Und zu verschwinden.

Ab 17. Februar im Kino. 

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.