Chelsea-Trainer Thomas TuchelDer Asket im prunkvollen Millionengeschäft
Er wirkt spröde und ist trotzdem erneut Trainer bei einem extravaganten Club – Thomas Tuchel will mit Chelsea gegen Real Madrid in den Final der Königsklasse.
Die Trainingsjacke von Thomas Tuchel blendet fast, so weiss ist sie. Sein Bart ist grau, obschon er erst 47 ist. Der Blick der grossen Augen verrät die Neugierde, was bei dieser Pressekonferenz an Fragen auf ihn zukommt.
Es ist der Tag vor dem ersten Halbfinal in der Champions League: Real Madrid gegen Tuchels Chelsea, das Treffen zweier Clubs, die in die Super League abspringen wollten. Und auch damit ist Tuchel konfrontiert; was er denn denkt, wird er zum Beispiel gefragt, dass in England alle ein Ausscheiden von Chelsea wünschen. «Denken Sie das?», fragt er zurück, «war Real nicht auch beteiligt?» Er lacht, aber es ist kein strahlendes Lachen.
«Alle begehen Fehler», macht Tuchel mit seiner Antwort weiter, «jeder Club trifft Entscheide, die nicht jeder mag. Aber übertragen Sie das nicht auf die Mannschaft. Sie freut sich an dem, was sie macht, sie hat Leidenschaft. Sie braucht jetzt jede Unterstützung, um den nächsten riesigen Schritt zu machen.»
Nächste Frage, nächstes sportpolitisches Thema, das so wenig mit dem Spiel vom Dienstag zu tun hat: Was hält er von der Reform der Champions League, die ab 2024 noch mehr Spiele bringt? «Ich bin nicht sicher, ob ich das mag», beginnt er, «die Diskussionen um die Super League haben dieses Thema vergessen lassen. Wurden die Trainer dazu gefragt? Ich denke nicht. Wurden die Spieler gefragt? Ich denke nicht. Es gibt immer mehr, mehr, mehr. Mehr Spiele, mehr Wettbewerbe. Mehr bedeutet nicht immer mehr Qualität. Nein, ich bin nicht glücklich mit der Reform.»
«Vertraue dir selbst»
Drei Monate ist Tuchel nun Trainer von Chelsea, «dem Club mit der Aura, in Finals zu stehen», wie er ihn beschreibt. Einen Final hat er in dieser kurzen Zeit schon einmal erreicht, am 15. Mai trifft er im FA-Cup auf Leicester. Und jetzt arbeitet er gegen Real daran, ins nächste Endspiel zu kommen. «Als Trainer müssen wir unsere Spieler nicht überzeugen, dass sie Vertrauen in sich haben», sagt Tuchel, «sie haben es auch so.»
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Real ist das Mass aller Dinge in der Champions League. Seit 2010 hat es sie viermal gewonnen, und zum fünften Mal steht es gegen Chelsea mindestens im Halbfinal. Chelseas Bilanz nimmt sich da bescheiden aus: ein Sieg, 2012, zwei Halbfinals. «Vertraue dir selbst», hält Tuchel dagegen, «vertraue den Dingen, die dir ein gutes Gefühl geben.»
Tuchel hat schon viel erreicht, seit er am 27. Januar die Mannschaft gegen Wolverhampton erstmals betreute. Er hat sie nach den wirren Tagen unter Frank Lampard sehr schnell stabilisiert, er hat ihr ein anderes System und andere Ideen von Fussball vermittelt. In 21 Spielen mit ihm an der Seitenlinie hat sie nur einmal verloren, dafür ist sie 16-mal ohne Gegentor geblieben.
Ein Lampard ist Tuchel nicht. Er war kein Superstar als Spieler wie Lampard, der für seine Clubs 915 Einsätze hatte, er schaffte es mit Ulm nicht über die Regionalliga hinaus, bevor ein Knorpelschaden seine Zeit als Verteidiger mit knapp 25 beendete. Dafür ist Tuchel ein Trainer, der durch die Lehre ging, anders als der Schnellstarter Lampard.
Trainer zu sein, das ist für ihn eine Berufung, er sagte einmal: «Eine Mannschaft zu führen ist etwas, das man lernen und verstehen muss. Das ist nicht etwas, das man macht, weil man sonst nichts hat oder weil es der logische nächste Schritt nach 400 Profispielen ist.» Er könnte damit Lampard gemeint haben, aber das war nicht so, weil er das lange vor seinem Engagement bei Chelsea erwähnt hatte.
Askese und Emotion
Tuchel begann seinen Weg nach oben als Trainer der U-14 des VfB Stuttgart. Ralf Rangnick hatte ihn dahin geholt, sein alter Trainer in Ulm. Danach wurde Tuchel Trainer der zweiten Mannschaft von Augsburg, Julian Nagelsmann war einer seiner Spieler. Mainz machte ihn 2008 zum Coach der U-19. Und ein Jahr darauf zum Trainer der Bundesliga-Mannschaft, damals war er keine 35.
An all das erinnert er sich an diesem Tag vor dem Spiel gegen Real, an die Leute eben, denen er dankbar ist, weil sie an ihn geglaubt haben. An Rangnick oder an Christian Heidel, den Manager in Mainz, der zuerst die Karriere von Jürgen Klopp lancierte und danach jene von ihm selbst. «Ich hätte mir nie vorstellen können, dass jemand den Mut hat, mich in der Bundesliga coachen zu lassen», sagt Tuchel heute.
In Dortmund fürchtete er sich nicht, Nachfolger des Volksheiligen Jürgen Klopp zu werden.
Er ist ein Trainer mit einem klaren Plan vom Leben. Die Askese gehört dazu wie die Spielidee, der Salat beim Essen wie die Emotion auf dem Rasen, die defensive Sicherheit wie die Lust auf offensives Spiel. Fünf Jahre hielt er Mainz in der Bundesliga. Weil er für sich kein Weiterkommen sah, stieg er aus dem Vertrag aus und pausierte ein Jahr, auch das ist Tuchel.
In Dortmund fürchtete er sich nicht, Nachfolger des Volksheiligen Jürgen Klopp zu werden. Mit seiner oftmals spröde wirkenden Art schien er nicht dahin zu passen, er wurde trotzdem Zweiter und Dritter in der Liga, bis er 2017 entlassen wurde – drei Tage nach dem Sieg im Cupfinal. Er hatte sich mit den Chefs der Borussia überworfen, weil er keiner ist, der gerne nachgibt.
Nach einem Jahr Pause holte ihn Paris St-Germain, und Martin Schmidt diagnostizierte letzten August in der «SonntagsZeitung»: «Jetzt hat Tuchel die Spieler, die zu seiner Genialität passen.» Der Walliser Schmidt war in Mainz vier Jahre lang Tuchels Assistent gewesen, er nennt ihn Freund und Ziehvater, obschon er sechs Jahre älter ist.
Tuchel lieferte in Paris das Erwartete, nationale Titel in Serie. Allein im letzten Jahr waren es vier: Meisterschaft, Cup, Ligacup, Supercup. Und er führte PSG beinahe dahin, wo die katarischen Besitzer unbedingt hinwollen: auf den europäischen Thron. Am Ende blieb nur die hauchdünne Niederlage im Final der Champions League gegen Bayern München.
Gerade der Pariser Presse war das alles nicht gut genug, sie sah PSG und Tuchel kritisch. Der Trainer beschwerte sich darum, dass die Leistungen nicht genug gewürdigt würden. Ein Fakt ist, dass die Mannschaft unter ihm selten Spektakel bot, dafür von der Individualität eines Neymar und Mbappé lebte. Den grössten Gegner hatte Tuchel aber innerhalb des Vereins, das war Sportdirektor Leonardo, einst selbst ein grosser Spieler. Die beiden fanden keinen Draht zueinander.
«Oh, wieso nur 18 Monate?»
Am Abend des 23. Dezember gewann PSG gegen Strassburg 4:0, Tuchel ging an die Pressekonferenz und sagte, er hoffe auf ein besseres 2021, weil Spieler von ihren Verletzungen zurückkommen würden. Danach wurde er von Leonardo zu einem kurzen Gespräch gebeten. Leonardo teilte ihm die umgehende Entlassung mit.
Nur einen Monat später landete Tuchel in London, bei der nächsten extravaganten Adresse, die seiner eigentlichen Art so sehr widerspricht. Anfänglich hatte er noch gezögert, weil ihm nur ein Vertrag über 18 Monate vorgelegt wurde. «Oh, wieso nur so lange?», fragte er sich, «aber nach einer Minute dachte ich: Was ändert es, wenn sie mir einen über viereinhalb Jahre geben und mich trotzdem entlassen?»
Er entschied, sich nicht weiter um die Laufzeit zu kümmern, sondern mutig zu sein, «dieses Abenteuer anzunehmen». Jetzt sagt er: «Wir verdienen es, in diesem Halbfinal zu sein, nicht wegen der Leibchen oder des Logos, sondern wegen der Leistung.»
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