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Pilotversuch in Deutschland
Dem Ruf des Muezzins schallt Empörung entgegen

Moscheen und Kirchen, Glocken und Rufe: Die grosse Zentralmoschee in Köln, im Hintergrund der Kölner Dom.
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Geht es um den Islam, sind die Plätze im Kulturkampf immer schnell bezogen. Henriette Reker, die parteilose Oberbürgermeisterin von Köln, kündigte kürzlich an, den 35 Moscheegemeinden der Stadt versuchsweise zu gestatten, per Lautsprecher zum Gebet zu rufen.

Köln sei die Stadt von Freiheit und Vielfalt, sagte Reker. Die 64-Jährige, die 2015 bei einem Attentat eines Rechtsextremisten gegen ihre Flüchtlingspolitik fast ums Leben gekommen wäre, bezeichnete den Pilotversuch als ein «Zeichen von Respekt» und als Geste der «Toleranz». In Köln leben 1,1 Millionen Menschen, unter ihnen 120’000 Musliminnen und Muslime.

Bisher sind noch keine Gesuche eingegangen

Der auf zwei Jahre befristete Testversuch unterliegt vielen Auflagen: So darf der Muezzin nur freitags zwischen 12 und 15 Uhr für maximal fünf Minuten zum Gebet rufen, für die Lautstärke gelten je nach Lage der Moschee unterschiedliche Höchstwerte. Die Gemeinde muss die Nachbarschaft informieren und für Fragen und Beschwerden erreichbar sein. Bevor über die weitere Praxis entschieden wird, sollen nach Ende der zweijährigen Testphase die Erfahrungen ausgewertet werden.

Zum muslimischen Gebet gerufen wird in Köln derzeit noch nicht, bisher sind bei den Behörden keine entsprechenden Gesuche eingegangen. In 3 der 35 Gemeinden gebe es aber Interesse, berichteten lokale Medien, unter anderem auch in der grossen Zentralmoschee des türkischen Religionsvereins Ditib.

Ist der Gebetsruf eigentlich ein Schlachtruf?

Allein die Ankündigung aus Köln hat aber bereits eine Aufregung und Empörung ausgelöst, die daran zweifeln lässt, dass der Versuch je in Gang kommen wird. Konservative Medien verurteilen das Projekt seit Tagen heftig und lassen zu diesem Zweck mit Vorliebe bekannte muslimische Islamkritikerinnen und -kritiker wie Hamed Abdel-Samad, Necla Kelek oder Ahmed Mansour zu Wort kommen. Die Alternative für Deutschland hat sich des Themas ebenso angenommen wie deren Medien und Nachrichtenkanäle im Internet.

Der Gebetsruf des Muezzins sei im Kern ein «Schlachtruf» des politischen Islam, lautet die Kritik. Ihm gehe es nicht um die Gläubigen, sondern darum, ein weiteres Stück öffentlichen Raum zu erobern und islamistisch zu besetzen. Die Kölner Zentralmoschee sei zudem ein Machtzentrum des aggressiven National-Islamismus, wie ihn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan propagiere.

Wer aufgrund falsch verstandener Toleranz hierzulande den öffentlichen Muezzinruf erlaube, verleugne sich selbst, argumentierte am Freitag auch die NZZ auf einer ganzen Seite. Im Nachhinein, so insinuiert Feuilletonchef Benedict Neff, habe sich das Schweizer Verbot von Minaretten gewissermassen als weitsichtig erwiesen.

Muezzinrufe gibt es in Deutschland seit 1985

In kaum einem Artikel zum Kölner Muezzinruf steht, dass dieser in Deutschland an einigen Orten seit Jahrzehnten praktiziert wird, ohne dass dabei grössere Probleme aufgetreten wären. Eine Moscheegemeinde in Düren, zwischen Köln und Aachen gelegen, erstritt sich dieses Recht 1985 vor Gericht. In Deutschland wird heute in etwa einem Prozent der 3000 Moscheen per Lautsprecher zum Gebet gerufen, in etwa drei Dutzend Gotteshäusern also.

Die Religionsfreiheit im deutschen Grundgesetz schützt nicht nur das traditionelle Glockengeläut der Christen, sondern auch den öffentlichen Gebetsruf der Muslime. Auflagen zum Schutz vor zu viel Lärm sind bei beiden seit längerem gebräuchlich. Im Unterschied zum rein akustischen Geläut besteht der Ruf des Muezzins allerdings aus einem Glaubensbekenntnis, das auf Arabisch mit den Worten «Allahu Akhbar» beginnt: Gott ist gross, oder: der Grösste. Das Bekenntnis wird von radikalen Islamisten gerne als Kampfruf missbraucht.

Lieber keine neuen Konflikte!

Wer aus dem Gebetsruf aus diesem Grund gleich eine Kriegserklärung mache, zeige nur, wie wenig er den Islam kenne, kommentierte die evangelische Wochenzeitung «Sonntagsblatt»: «Der Grossteil der deutschen Bevölkerung weiss so gut wie nichts über den Islam. Eine (oft negative) Meinung haben trotzdem die meisten.» Das gilt auch für den öffentlichen Ruf des Muezzins: Laut einer neuen Umfrage des Bonner «General-Anzeigers» lehnen ihn drei von vier Deutschen ab.

Viele gemässigte oder liberale deutsche Musliminnen und Muslime wollen neue Konflikte mit der islamkritischen Mehrheit lieber vermeiden und sehen deswegen den Vorstoss aus Köln mit Sorge. Die Kölner CDU-Politikerin Serap Güler, ihres Amtes Integrationsministerin in Nordrhein-Westfalen, sagte diese Woche, sie persönlich brauche den Ruf des Muezzins nicht, um ihre Religion auszuüben. Die aktuelle Debatte sei «nicht hilfreich für das gesellschaftliche Miteinander».