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Vor der Arbeit in den Club
Sie tanzen im Morgengrauen

Wake and Shake Party mit Ashley Rose Loft am 10.10.2024 in Bern. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG
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In Kürze:
  • Partys in den Morgenstunden sind in den USA populär.
  • In der Schweiz bewegt das noch nicht die Massen.
  • Tagsüber feiern ist aber durchaus im Trend.

Kurz vor halb sechs Uhr in der Früh. Hie und da radelt jemand in der Dunkelheit ins Büro oder in die Werkstatt. Ansonsten herrscht noch Ruhe in Berns Strassen. Wer einmal zu lange im Ausgang war und sich im Morgengrauen auf den Heimweg machte, der kennt dieses Gesicht der Bundesstadt. An diesem kaum angebrochenen Tag aber steht die Party erst noch bevor.

Eine zu Beginn etwas verschlafene Truppe trifft sich im Berner Gaskessel zur Wake and Shake Party. Nach ein paar aufwärmenden Yogaübungen dröhnen bald einmal elektronische Beats aus den Boxen, bunte Scheinwerferlichter schwirren durch den Raum. Das wirkt. Mehr oder weniger jedenfalls. Manche wippen erst noch etwas zögerlich. Andere schliessen die Augen, heben die Arme in die Luft, tanzen hemmungslos. Spätestens bei der Gruppenaktivität – Arme um die Schultern legen und im Kreis hüpfen – sind dann alle locker. Trotz Nüchternheit.

Shakes und Energieriegel

Statt Alkohol und Drogen gibt es Bananenshakes, mit Minze aromatisiertes Wasser und Energieriegel. Organisatorin Ashley Rose Loft ist eine Verfechterin des «healthy Lifestyle», des gesunden Lebensstils also. Loft, hauptberuflich Tennistrainerin, eine, die nicht mit Euphorie geizt, sagt: «Die Leute sollen mit Energie in den Tag starten.» Auf die Idee für die frühmorgendlichen Partys kam die 30-Jährige in ihrer zweiten Heimat, den USA.

Wake and Shake Party mit Ashley Rose Loft am 10.10.2024 in Bern. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

In New York liegen sogenannte Daybreaker Partys längst im Trend. Vor der Arbeit strömen die Leute zu Hunderten in die Clubs, machen den Tag zur Nacht. Auch im holländischen Utrecht lockt das Konzept die Massen an.

Ob das in der Schweiz dereinst auch der Fall sein wird? Noch ist die Gruppe der Partygängerinnen und Partygänger in Bern überschaubar. Rund ein Dutzend Frauen und Männer, manche Anfang 20, andere im mittleren Alter, vergnügen sich im Gaskessel. Der Stimmung tut das keinen Abbruch.

Andrin Fankhauser sieht es als Abenteuer: «So in den Tag zu starten, ist mal etwas anderes.» Sonst würde er eine halbe Stunde vor der Vorlesung aufstehen, so der Psychologiestudent. Nachts streife er nicht mehr so häufig durch die Clubs wie früher, sagt er, der gerade mal 21 Jahre alt ist. Vielleicht noch einmal im Monat. «Es gibt mir mehr, mich mit Freunden zu Hause oder in einer Bar zu treffen.» Dort könnten sie sich in Ruhe unterhalten.

Er ist damit nicht alleine. Berns Nachtleben ist unter Druck geraten. Unlängst riefen das Kapitel, die Reitschule oder die Brasserie Lorraine um finanzielle Hilfe, lancierten Spendenaufrufe.

Corina Liebi, Geschäftsführerin der Berner Bar- und Clubkommission, sagt: «Insgesamt hat es nicht weniger Leute im Nachtleben.» Doch gebe es eine Verschiebung weg von den Clubs hin zu den Bars und Pop-ups. Die Leute hätten seit der Pandemie ein geändertes Nutzungsverhalten, achteten mehr auf die Gesundheit. Clubs könnten sich mit einem breiteren Angebot an alkoholfreien Drinks von der Konkurrenz abheben.

Weniger Alkohol, weniger Pöbeleien

Einst galten dunkle Augenringe nach der durchzechten Nacht als ein Zeichen von Coolness, der Zeitgeist ist längst ein anderer. Angesagt sind Partys am Nachmittag namens Daydance. Die Mosaik Events GmbH, die in Bern auch bekannt ist für Pop-ups wie Peter Flamingo, Kater Karlo oder Oscar Elch, führt seit 2012 regelmässig solche Veranstaltungen durch. Beispielsweise im Gurtenpavillon. Die Stimmung sei nachmittags angenehmer, sagt Party- und Gastrounternehmer Dominic Kummer. «Wir hatten nie Pöbeleien.» Zwar werde an einem Daydance schon auch Alkohol konsumiert. «Die Leute kommen am Nachmittag aber nicht bereits angetrunken zur Party.»

Auch andere Veranstalter sind auf den Trend aufgesprungen. Im vergangenen Jahr bewilligte die Stadt Bern rund zehn solche Anlässe. Doppelt so viele wie im Vorjahr. So wurde in den vergangenen Monaten beispielsweise im Wankdorf, unter der Monbijoubrücke oder unter dem Autobahnviadukt über dem Weyermannshaus gefeiert. Die Organisatoren verzeichneten teilweise mehrere Tausend Besucher.

Revellers listen to music in their headphones during a Silent Disco at the Glastonbury Festival of Music and Performing Arts on Worthy Farm near the village of Pilton in Somerset, South West England, early on June 25, 2015.   AFP PHOTO / OLI SCARFF / AFP / OLI SCARFF

Diese sanften Verschiebungen im Berner Feierverhalten kommen nicht überall gut an. «Die länger dauernde Musikbeschallung hat zu einzelnen Lärmreklamationen geführt», so Norbert Esseiva, Leiter der Orts- und Gewerbepolizei. Lärmempfindlichen Nachbarn dürfte die nachmittägliche Silent Disco, wie sie im vergangenen Sommer im Bierhübeli stattfand, entgegenkommen. Da tanzten die Leute mit Kopfhörern zu den Beats des DJ.

Auch an der frühmorgendlichen Party im Gaskessel geht es mittlerweile ruhiger zu und her. Im Hintergrund laufen sanfte Klänge, das Partyvölklein stärkt sich mit einem letzten Smoothie, bevor es zur Arbeit oder an die Uni aufbricht. «Jetzt bin ich fit für die Vorlesung», sagt Psychologiestudent Andrin Fankhauser.