Reaktionen zur BurkainitiativeDas Verhüllungsverbot wird ein Fall für die Gerichte
Die Jungen Grünen wollen zusammen mit einem Menschenrechtsanwalt das Burkaverbot an den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. Die Stigmatisierung von Muslimen sei nicht hinzunehmen.
Viele Musliminnen und Muslime hätten die Diskussionen der vergangenen Wochen als antimuslimischen Rassismus empfunden, sagt Önder Günes, Sprecher der Föderation der Islamischen Dachverbände Schweiz. Er ist enttäuscht und ernüchtert nach dem Ja des Schweizer Volks zur Burkainitiative und fragt fast verzweifelt: «Wars das jetzt?» Seine Hoffnung dürfte enttäuscht werden. Nicht nur auf politischer Ebene wird das Verhüllungsverbot die Schweiz weiter beschäftigen, sondern auch auf der juristischen.
Wie die Jungen Grünen gestern angekündigt haben, wollen sie gemeinsam mit dem Menschenrechtsanwalt Philip Stolkin vor Gericht gegen Anwendungsfälle des Verhüllungsverbots kämpfen. «Diese Stigmatisierung darf man nicht so stehen lassen», sagt Stolkin und will diese Ungerechtigkeit an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) tragen. Mit diesem Verbot würden gleich drei entscheidende Rechte verletzt: die Religionsfreiheit, das Persönlichkeitsrecht und der Grundsatz der Gleichbehandlung. Es gehe nicht an, sich eine Religion – in diesem Fall den Islam – herauszupicken und sie via Kleidervorschriften anders zu behandeln als die übrigen hier praktizierten Religionen.
Der EGMR hat allerdings 2014 eine Beschwerde gegen Frankreich abgelehnt, nachdem das Land 2011 als erster Staat ein Verhüllungsverbot eingeführt hatte. Im Urteil wurde festgehalten, dass weder die Meinungs- und Religionsfreiheit noch das Recht auf ein Privat- und Familienleben verletzt werde.
«Ein Nein zu einer totalitären Ideologie»
Ähnlich wie bei vielen Muslimen oder den Jungen Grünen tönt es bei Amnesty International. «Nach dem Minarettverbot hat sich eine Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten ein weiteres Mal für eine Initiative ausgesprochen, die eine einzelne Religionsgemeinschaft diskriminiert und unnötig Ängste und Spaltung schürt», sagt Cyrielle Huguenot, Verantwortliche für Frauenrechte.
«Man muss offen über Jihadismus, Radikalisierung und die Aggressivität von Islamisten sprechen.»
Andere Muslime in der Schweiz sind erfreut über den Ausgang der Abstimmung. Es sei wichtig gewesen, ein starkes Signal gegen den Islamismus zu setzen, betont Mohamed Hamdaoui, Mitte-Grossrat im Kanton Bern gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Das Resultat sei nicht gegen die Muslime gerichtet, die offensichtlich ihren rechtmässigen Platz in diesem Land hätten. Das Ja zum Verhüllungsverbot sei ein Nein zu einer totalitären Ideologie, sagt auch die Gründerin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, Saïda Keller-Messahli. Man müsse offen über Jihadismus, Radikalisierung und die Aggressivität von Islamisten sprechen.
Für Al Jazeera ein «rechtsextremer Vorschlag»
Für Al Jazeera, den bekanntesten arabischen Nachrichtensender, ist der «rechtsextreme Vorschlag» auch als Test für die Einstellung gegenüber Muslimen anzusehen. Der Sender beruft sich auf Schweizer Muslime, die davon berichten würden, dass rechte Parteien die Abstimmung nutzten, um sie zu «dämonisieren». Bereits im Vorfeld der Abstimmung hatte Al Jazeera mehrfach über die Burkainitiative berichtet, letztmals am 2. März. Dabei kam eine 32-jährige Schweizer Nikab-Trägerin ausführlich zu Wort. Sie trage diesen für sich selbst, nicht als Symbol für die Aussenwelt», sagt die Frau.
Damit untermauert sie die Studie des Luzerner Religionsforschers Andreas Tunger-Zanetti, der ebenfalls ausführlich zitiert wird. Er kam zum Schluss, dass die Nikab-Trägerinnen in der Schweiz ihr Gesicht in aller Regel freiwillig verhüllen würden. Die Nikab-Trägerin sagte gegenüber Al Jazeera: «Es macht mich sehr traurig, weil die Propaganda der Initiative auf der Idee basiert, dass wir Nikab-Trägerinnen Terroristinnen sind.» Sie betrachte sich selbst nicht als extrem, sondern als normale Muslimin. Wenn sie sich treu bleiben will, müsste die Frau jetzt die Schweiz verlassen. Denn im Gespräch mit Al Jazeera gab sie zu Protokoll, dass sie bei einem Ja zur Initiative nach Ägypten ziehen werde, wo die Familie ihres Mannes herkomme.
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