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Schweizer Forscherin erstaunt
Das Tuch aus der Steinzeit hütet ein Geheimnis

Modell der Siedlung Catalhöyük im Museum für Ur- und Frühgeschichte in Thüringen
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Die Schweizer Archäologin Antoinette Rast-Eicher hat sich auf Textilien aus längst vergangenen Zeiten spezialisiert. Mit einem Rasterelektronenmikroskop untersucht sie Textilfasern auf strukturelle Auffälligkeiten – ähnlich wie ein Arzt die inneren Organe bei einer Ultraschalldiagnose. Kürzlich fand sie dabei Erstaunliches: Eine gut 8500 Jahre alte Gewebeprobe aus der Steinzeitsiedlung Çatalhöyük in der Türkei entpuppte sich als Produkt aus Eichenbast. Theorien aus vorhergehenden Begutachtungen, wonach Wolle oder, so die jüngste Annahme, importierter Lein, also Flachs, als Textilrohstoffe dienten, sind damit widerlegt.

Die Textilien seien somit klar kein Import von domestiziertem Flachs aus dem südwestlich gelegenen Mesopotamien, sondern durch eine Tradition aus viel früherer Zeit entstanden. «Man hat einfach die Bäume aus der Umgebung genutzt», sagt Rast-Eicher. Um die feinen Fasern des sogenannten Holzbasts, der unter der Baumrinde liegt, auseinander zu bekommen, hätten die Menschen das Material vermutlich in Wasser eingelegt. Anschliessend seien die Fasern zu Endlosfäden verzwirnt und diese zu einem Stoff gewebt worden. Die Ergebnisse ihrer Analysen veröffentlichte die Archäologin gemeinsam mit Fachkolleginnen aus Norwegen und Deutschland im Fachblatt Antiquity.

Çatalhöyük in Südanatolien in der heutigen Türkei, gilt als die erste Stadt überhaupt. Sie wurde vor gut 9000 Jahren gegründet und beherbergte in ihren besten Zeiten tausende Menschen, die zum Teil noch als Jäger und Sammler unterwegs waren, aber auch schon Ackerbau und Viehzucht betrieben. Die kistenähnlichen Lehmhäuser der Siedlung standen dicht an dicht, Platz für Strassen gab es nicht. Das gesellschaftliche Leben spielte sich auf den Dächern ab, wo auch die Hauseingänge zu finden waren.

«Die Frage lautete vielmehr: Lein oder nicht Lein.»

Antoinette Rast-Eicher, Schweizer Archäologin

Schon in den 1960er-Jahren wurden bei ersten Ausgrabungen in Çatalhöyük Textilien gefunden und begutachtet. Sie zählen zu den ältesten erhaltenen Geweben aus dem Nahen Osten. «Die Stoffe stammten vor allem von Babys, die nach ihrem Tod damit umwickelt und in Körben unter den Lehmböden der Häuser bestattet wurden», sagt Rast-Eicher. Durch Hausbrände habe der Stoff eine ganz besondere Textur bekommen. Die dunklen Fasern seien zwar nicht verkohlt, aber regelrecht zusammengebacken.

Zu Beginn der Ausgrabungen nahmen Fachleute zunächst an, es handle sich um Wolle. Diese Theorie konnte die Schweizer Textilexpertin schnell ausschliessen, denn die Fasern waren trotz grosser Hitzeeinwirkung nicht geschmolzen. «Die Frage lautete vielmehr: Lein oder nicht Lein», sagt sie. Lein galt lange als Favorit unter den möglichen Geweberohstoffen, gleichwohl nur 13 Leinsamen in der Siedlung gefunden wurden. Die Verfechter der Theorie vermuteten deshalb, das Pflanzenmaterial sei importiert worden.

«Irgendwas hat mich gefuchst an diesen Fasern»: Die Schweizer Archäologin Antoinette Rast-Eicher.

«Diese Theorie ist nun vom Tisch», betont Rast-Eicher. Zwar seien sich Flachs- und Eichenbastfasern sehr ähnlich, hätten zum Beispiel vergleichbare Durchmesser. «Ich hatte aber gleich den Eindruck: Das ist nicht Leinen. Irgendwas hat mich gefuchst an diesen Fasern.» Die Archäologin bedampfte drei bis vier Millimeter lange Fäden aus den Geweben mit einer dünnen Goldschicht und untersuchte sie im Rasterelektronenmikroskop. «Das ergibt sehr hoch aufgelöste Bilder», sagt die Wissenschaftlerin. Sie vergrösserte die Faserstrukturen auf das bis zu 5000-fache und wurde schliesslich fündig. «Ich konnte eine sehr breite Zelle bei den Bastfasern sehen, mit kleinen, unregelmässig verteilten Löchern. Und das ist typisch für Eiche.»

Die in Fachkreisen viel diskutierte Frage, wann und wo Menschen im Nahen Osten das erste Mal Flachs für die Textilherstellung anbauten, bleibt damit allerdings weiterhin offen. Nicht auszuschliessen, dass dies in einer anderen Siedlung zeitgleich oder noch früher der Fall war. Rast-Eicher sagt: «Diese Diskussion ist noch lange nicht vorbei.»

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