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Das neue Leben des ZSC-Helden
Jeden Morgen stürzt er sich kopfvoran in den eiskalten Rhein

Eisbaden als Routine für Körper und Geist: Adrien Plavsic am Ufer des Rheins.
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Zwischen fünf und sieben Uhr morgens schwingt sich Adrien Plavsic in Birsfelden aufs Velo und fährt für ein kaltes Bad zum Rhein. Früher nahm er kalte Duschen, nun hat er das Eisbaden für sich entdeckt. Fünf bis zehn Minuten schwimmt er im eiskalten Wasser, der Rhein ist im Winter zwischen vier und acht Grad kalt. «Eine wunderbare Übung, um die Willenskraft zu stärken», sagt der frühere Hockeyprofi. «Sich täglich zu überwinden, gibt einem ein gutes Gefühl. Und die gesundheitlichen Vorteile sind wunderbar.»

Im Rheinbad Breite springt er kopfvoran ins Wasser. «Wer probieren möchte, wie sich das anfühlt, kann ja einmal seinen Kopf in einen Eimer mit kaltem Wasser stecken», sagt er und schmunzelt. Ihm tue es gut. «Es ist ein Kick, ins Wasser zu springen. Und es hat einen positiven Effekt auf mein Immunsystem. Ich werde kaum mehr krank und ertrage die Kälte viel besser. Ich kann morgens aufstehen und auch im Winter mit T-Shirt und Shorts aufs Rad steigen. Ein geniales Gefühl.»

Der breiteren Öffentlichkeit ist Plavsic bekannt als ZSC-Meisterschütze. Am 1. April 2000 bescherte er den Zürchern im sechsten Finalspiel gegen Lugano mit dem 4:3 bei 59:50 den ersten Meistertitel seit 39 Jahren. «Ich erinnere mich noch sehr gut an jenes Spiel», sagt er. «Ich kämpfte mit mir selber und sagte immer wieder zu mir: Du musst etwas bewirken! Du musst etwas bewirken! Ich wiederholte dieses Mantra ständig in meinem Kopf. Und dann treffe ich zehn Sekunden vor Schluss und entscheide die Meisterschaft.»

Heutzutage wäre das Tor aberkannt worden, weil Christian Weber Lugano-Goalie Cristobal Huet den Stock aus der Hand schlug. Doch die Schiedsrichter übersahen das in der Hitze des Gefechts. «Es sollte wohl einfach so sein», sagt Plavsic. Er denke kaum mehr an jene Szene – ausser er werde darauf angesprochen. «Ich lebe im Moment, nicht in der Vergangenheit. Aber natürlich ist dieses Tor Teil meiner Geschichte.»

Und wenn er am Samstag zum Playoff-Start in die Swiss-Life-Arena kommt, wird er sicher für das eine oder andere Selfie posieren müssen.

01.04.2000; Zuerich; Eishockey Play-off Finale ZSC Lions - HC Lugano; 
Adrien Plavsic (ZSC) jubelt mit Patric Della Rossa und Kari Martikainen nach seinem Tor zum 4:3. (Andy Mueller/freshfocus)

Plavsic kam 1998 via eine Saison in Deutschland nach Zürich und ist in der Schweiz geblieben. Inzwischen ist er über 25 Jahre hier, mit einem kurzen Unterbruch. Er heiratete eine Schweizerin und hat längst den roten Pass. Seine Kinder Julie, Gisele und Elijah, die alle in der Region Basel aufwuchsen, sind 15, 18 und 20 Jahre alt.

Plavsic spielte noch mit 42 beim EHC Basel in der Nationalliga B und versuchte sich danach über zehn Jahre als Hockeytrainer auf verschiedenen Stufen. In Basel, Martigny, Villars und einen Winter bei Shawinigan in der kanadischen Provinz Québec.

Feingeist unter Raubeinen

Ein typischer Hockeyaner war er nie, eher ein Feingeist unter Raubeinen. Einer, der sich mehr Gedanken macht als andere. Ein Suchender ist er auch heute noch. Offen für Neues wie das tägliche Bad im kalten Rhein. Aber auch im Beruflichen. 2023 verabschiedete er sich vom Job des Eishockeytrainers und fand eine neue Bestimmung: Transformations- und Leistungscoach.

Plavsic ist Personal Trainer geworden, aber nicht für den Körper, sondern für den Kopf. Er sagt: «Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen unserer Gesundheit, unserer Lebensqualität, unserem Gehirn und der Art und Weise, wie wir denken und das Leben wahrnehmen.»

Er bildete sich weiter und gründete seine Firma «Beyond Performance». Was so viel heisst wie: der Leistung einen höheren Sinn geben. Er sagt: «Ich bin ein 54-Jähriger, der sich fühlt wie ein 20-Jähriger und nochmals zur Schule geht, um eine neue Sprache und eine neue Herangehensweise an die Dinge zu lernen. Warum denkt man so, wie man denkt? Warum nicht anders? Und wie können einem die Gedanken helfen? Das ist die Grundlage meiner Arbeit.»

Ein siebenwöchiges Programm

Wer sich bei ihm einschreibt, den führt er online durch ein siebenwöchiges Programm. Dabei orientiert er sich an der Methode der positiven Intelligenz des Stanford-Dozenten Shirzad Chamine, der 2012 den gleichnamigen Bestseller verfasste. Das Ziel der positiven Intelligenz ist, Kontrolle über seine Gedanken zu erlangen, sich von schädlichen Mustern zu befreien und mehr Sinn in seinem Tun und in Beziehungen zu entdecken.

«Unser Verstand ist wie ein wildes Pferd. Er geht uns immer wieder durch», sagt Plavsic. «Wir müssen ihn zähmen. Das können wir nur, indem wir einen Muskel im Kopf trainieren, der sagt: Ich habe hier das Sagen.» So wie andere Muskeln könne auch dieser gemessen werden. Dazu greift Plavsic auf eine App zurück, die von den Coaches genutzt wird, welche die Methode der positiven Intelligenz anwenden.

Plavsic träumte als kleiner Junge in Montreal von der NHL und ging jeweils schon um 5.30 Uhr morgens zur Eisbahn, weil er wusste, dass der Eismeister das Eis schon eine Stunde vor dem Training gemacht hatte. Alleine kurvte er herum und dachte, er sei Bobby Orr, der legendäre Verteidiger. Er schaffte es bereits mit 19 in die NHL, holte 1992 in Albertville Olympiasilber mit Kanada und hatte später eine schöne Karriere in der Schweiz. Doch die Erfüllung, die ihm vorgeschwebt hatte, fand er nicht.

Schon früh in der NHL: Eine Spielerkarte von Adrien Plavsic im Dress der Vancouver Canucks.

Er habe immer Angst gehabt, nicht zu genügen, sagt er rückblickend. «Ich erinnere mich an wenig von den Olympischen Spielen, konnte die kleinen Details nicht erfassen. Mein Lampenfieber schwang immer im Hintergrund mit, so als ob man versucht, einen Radiosender einzustellen, aber immer ein Rauschen zu hören ist.»

Im Verlaufe seiner Karriere habe er gelernt, damit umzugehen. Aber viele besondere Gelegenheiten habe er nicht auskosten können, weil er sich zu sehr aufs Ergebnis fokussierte. «Echtes Vertrauen in sich selbst besteht darin, sich vorzubereiten, aber danach die Gedanken ans Resultat loszulassen und ins Spiel einzutauchen. Deshalb hatte ich ja mit dem Eishockey begonnen.»

Plavsic hat sich nochmals auf den Weg gemacht. Er sagt: «Ich habe das Gefühl, dass ich mein Leben von einem Punkt aus neu erfinde, an dem ich mich viel besser kenne. Ich musste harte Zeiten durchmachen mit meiner Trennung (2015) und meiner Suche nach meinem neuen Karriereweg. Aber ich bin dadurch als Mensch definitiv gewachsen. Irgendwann möchte ich auf mein Leben zurückblicken und sagen können: Ich habe etwas von dem verstanden, was da vor sich ging. Und ich war ein Vorbild für meine Kinder, auch wenn ich Fehler gemacht habe.»

Plavsic ist ein stolzer Vater. Julie liebe das Wasser, habe aber mit 15 ihre grosse Passion noch nicht gefunden. Gisele habe schon in mehreren Musicals mitgesungen, Elijah spiele nach nur drei Jahren Basketball bereits in der dritthöchsten Schweizer Liga. «Es ist wichtig, der nächsten Generation etwas Besseres zu hinterlassen als der unsrigen», sagt er. «Meine Eltern haben Kroatien verlassen und sind ein grosses Risiko eingegangen, ich habe meinen jüngeren Bruder durch Selbstmord verloren. Es war nicht immer einfach, aber heute bin ich dem Leben dankbarer denn je.»

Ein stolzer Vater: Adrien Plavsic mit seinen Kindern Julie, Gisele und Elijah.

Man merkt im Gespräch, wie intensiv Plavsic sich und seinen Werdegang reflektiert. Auf dem Berufs-Netzwerk Linkedin teilt er seine Gedanken praktisch täglich. Nebst seinen Coachings würde er künftig auch gerne als Redner auftreten und seine Erfahrungen teilen. Wenn er positive Intelligenz vermittle, dann sei er nur glaubwürdig, wenn er das selbst auch zu 100 Prozent lebe, betont er. So hat er etwa aufgehört, Alkohol zu trinken. «Viele sagen, der Alkohol entspanne sie. Ich sehe ihn als Flucht.»

Er wolle sich dem Leben und sich selbst stellen, sagt Plavsic. Das braucht Mut und Selbstdisziplin. Etwa wenn um fünf Uhr morgens der Wecker klingelt und der nächste Sprung ins kalte Wasser des Rheins ansteht.