Störgeräusch in britischer Gemeinde Das mysteriöse Brummen, das einem Dorf den Schlaf raubt
In Holmfield leiden die Menschen seit Monaten unter einem ominösen Lärm. Die Betroffenen sprechen von «Folter». Das Phänomen tritt weltweit auf – auch in der Schweiz.
Dieses rätselhafte Geräusch raubt Yvonne Conner Nacht für Nacht den Schlaf. Letzten Sommer sei sie daher jede Nacht in der Gegend herumgefahren, auf der Suche nach dem Grund für das seltsame Dröhnen. «Mein Partner begleitete mich, aber er hörte nichts. Er dachte, dass ich den Verstand verloren habe. Das dachte ich auch», sagt die 50-Jährige der britischen Zeitung «The Independent».
Doch Conner ist nicht die Einzige, die vom Geräusch in Holmfield in West Yorkshire gestört wird. Das Brummen, das beim Lockdown im April letzten Jahres das erste Mal vernommen wurde, hören viele – ständig, tagsüber und in der Nacht. Der Ton wird als ähnlich dem Schwirren einer Waschmaschine beschrieben. Die Betroffenen sprechen von «Folter», leiden unter schlaflosen Nächten, Kopfschmerzen und befürchten längerfristige Gesundheitsprobleme. Eine Person hat bereits das Weite gesucht und ihr Zuhause in Holmfield wegen des Lärms verkauft. Die britische Presse spricht vom «Holmfield Hum» – auf Deutsch etwa das Brummen von Holmfield.
In dem Dorf mit 850 Einwohnern, zwei Pubs und einer Imbissbude tut sich wegen des ominösen Lärms nun ein Graben auf. Während die einen leiden, bezweifeln andere, dass es überhaupt ein Geräusch gibt. Andere wiederum sorgen sich um den wirtschaftlichen Schaden für die Fabriken, die mit dem Brummen in Verbindung gebracht werden. «Es spaltet das Dorf», erzählt die konservative Politikerin Nikki Kelly. «Aber jene, die das Brummen hören können, wissen nicht mehr weiter. Eine Frau sprach von Suizid. Wir brauchen eine Lösung.»
Ferien im Wohnmobil
«Mein erster Gedanke war, dass die Nachbarn eine neue Waschmaschine haben», erzählt Conner aus der Zeit, als sie das Dröhnen zum ersten Mal vernahm. «Doch die Maschine stand niemals still.» Nach ein paar Tagen fuhr sie zu Hause die gesamte Elektrizität herunter, setzte sich in jedes Zimmer und konzentrierte sich auf den Brummton. «Ich ging in den Keller, auf den Dachboden. Ich presste meine Ohren gegen jede Oberfläche.»
Erst tauschte sie sich mit ihren Nachbarn aus, dann suchte sie auf Facebook nach Leidensgenossen. Mehrere Dutzend Bewohner von Holmfield und dem benachbarten Bradshaw meldeten sich. Die Geplagten tauschten sich über Gegenmittel aus, zum Beispiel wie sie tagsüber das Radio laufen lassen, um das Brummen zu übertönen. Eine Frau erzählte, wie sie dreifach verglaste Fenster installierte – und das keinen Unterschied machte. Conner selbst macht nun alle drei Monate Ferien in einem Wohnmobil: «So kann ich nun in Ruhe eine Tasse Tee trinken.»
Eine Petition der Gruppe fordert Massnahmen und wurde bereits von 500 Personen unterschrieben. Trotzdem ist der Ursprung des Surrens nach 18 Monaten weiterhin unklar.
Verstärktes Brummen seit dem Lockdown
«Soviel ich weiss, gibt es das Brummen hier seit Jahrzehnten», erzählt Simon Speechley, ein 43-jähriger Leiter einer Catering-Firma. Er leidet unter Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen. «Doch ich bin überzeugt davon, dass irgendwas während des Lockdown geschehen ist, was das Geräusch verstärkt hat.»
Die Gruppe begann nachzuforschen. Und stiess dabei auf das rund 2,5 Kilometer von Conners Zuhause entfernte Industriegebiet von Holmfield mit Metallbau, Glastechnik, Möbelfabrikation. Für Speechley ist der Lärm aus den Fabriken klar der Ursprung der Störung. «Er wandert durch die Erde und hallt in den Häusern nach. Darum nützt es nichts, wenn man die Fenster schliesst – weil es schon drinnen ist.»
Für die Betroffenen ist die Lösung simpel: Die Maschine finden, die den Lärm verursacht – und abschalten. Gemäss der lokalen Verwaltung ist das Problem aber komplexer. Einerseits müsse das Dröhnen einen gewissen Dezibel-Pegel übersteigen, um damit eine Fabrik gesetzlich zu einer Handlung zu verpflichten. Andererseits sei die offizielle Untersuchung zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen.
«Es gibt hier so viel Industrie. Der Bezirksrat hat zwar einige Orte als mögliche Quellen identifiziert, die Firmen haben daraufhin ihre Systeme angepasst, aber die Leute konnten das Brummen weiterhin hören», erklärt Kabinettsmitglied Scott Patient. «Es sind wahrscheinlich mehrere Quellen und mehrere Geräusche.»
Man sei an einer Sackgasse angekommen. «Ich sass zusammen mit Familien, in denen eine Person behauptet, das Geräusch bringe sie um den Verstand und alle anderen sagen, dass sie nichts hören,» so Scott Patient. «Basierend auf dem können wir keine Fabrik schliessen.»
Globales Phänomen
Holmfield ist nicht der erste Ort mit Berichten über ein mysteriöses Brummen. Aus den letzten 30 Jahren gibt es Dutzende Berichte – weltweit. Der bekannteste Fall in Grossbritannien ist der «Bristol Hum» aus den Siebzigern. Das Brummen soll dort Nasenbluten hervorgerufen haben. Doch auch dort ist nicht geklärt, woher das Dröhnen stammt und was man dagegen tun kann.
Der wissenschaftliche Konsens ist zurzeit, dass das Brummen auf die zunehmende Urbanisierung zurückzuführen ist: Heizungen, Motoren, Gasleitungen und Stromleitungen. Doch einzelne Fälle auf eine einzige Quelle einzugrenzen, stellte sich bisher als äusserst schwierig heraus. Schuld für das Brummen von Bristol soll eine 16 Kilometer entfernte Fabrik in Avonmouth gewesen sein. Die Fabrik wurde abgerissen, das Summen blieb.
Geoff Leventhall aus Surrey untersucht das Phänomen seit fast einem halben Jahrhundert. Der 92-Jährige kommt zum Schluss: In einer Gegend mit Brummen können rund zwei Prozent der Bewohner das Geräusch hören, darunter vor allem Personen, die zwischen 55 und 70 Jahre alt sind. Unsicher ist er hingegen bei der Ursache: «Ich kann mir vorstellen, dass es meist von Lüftungen, Dieselmotoren, Kompressoren und dergleichen ausgeht», erklärt er.
Eine einfache Lösung gebe es nicht. Diese Geräusche existierten in der heutigen Welt, und man komme daher nicht darum herum, mit ihnen leben zu lernen. «Der Rat, den ich Betroffenen seit Jahren gebe, ist, zurückzulehnen, sich zu entspannen und zu versuchen, das Dröhnen an sich vorbeiziehen zu lassen.»
Auch Fälle in der Schweiz
Das Phänomen ist auch bereits in der Schweiz aufgetreten. Diese Zeitung berichtete im Jahr 2017, wie ein Brummton in einer verkehrsberuhigten Strasse im St. Galler Tschudiwies-Quartier mehreren Menschen den Schlaf geraubt hat. «Manchmal tönt es wie ein grosser Sturm, dann wieder wie in einer Transformatorenstation, ein anderes Mal, wie wenn in einer nahen Garage ständig ein Motor laufen oder in der Strasse Beton gemischt würde», wird der Lärm beschrieben. Die Ursache des Brummens blieb trotz Untersuchungen der Bewohner und der Stadt ungeklärt.
Auch in Zürich und Bern wurden schon Leute von einem mysteriösen Dröhnen gestört. «Es gibt hin und wieder Anfragen zu störenden Brummtongeräuschen, die keiner Quelle zugeordnet werden können und bei denen auch Messungen keine Klärung bringen.» Pro Jahr seien es etwa zwei Anfragen dieser Art, hiess es vor vier Jahren beim Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich.
Etwas näher mit dem Brummton hatte sich damals das Amt für Umweltschutz der Stadt Bern befasst. «Wir sprechen bei diesem Brummen von tieffrequenten Geräuschen. Dabei handelt es sich um Frequenzen, die nicht alle Menschen wahrnehmen oder hören können», sagte Sprecherin Alice Späh. Grundsätzlich seien solche Frequenzen messbar.
«Das Problem ist aber, dass die Brummtöne sehr kurzfristig auftreten können und bereits nicht mehr wahrnehmbar sind, wenn die Messgeräte vor Ort sind.» Oder die Geräusche seien von längerer Dauer und gut messbar, könnten aber keiner expliziten Geräuschquelle zugeordnet werden. In Bern seien in den letzten Jahren «ab und zu von verschiedenen Örtlichkeiten» solche Meldungen eingegangen.
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