Das Märchen der guten Anschlüsse
Conradin Knabenhans zum Abbau des Halbstundentaktes auf der Strecke Thalwil-Luzern.
Der Ärger von Politikern und Pendlern ist berechtigt. Die SBB wollen in Thalwil zukünftig nur noch stündlich direkte Verbindungen nach Luzern anbieten. Davon betroffen ist aber nicht nur Thalwil selbst, sondern das ganze linke Zürichseeufer. Gute Anschlüsse an das Bahn- und Busnetz sind für eine Region zentral. Der öffentliche Verkehr ist eine wichtige Lebensader. Viele Menschen beziehen etwa die Fahrpläne in ihrer Suche nach einer neuen Wohnung mit ein. Wie schnell bin ich in Luzern, Bern oder am Flughafen, und wie lange fährt abends ein Zug heim? Werden die Verbindungen schlechter, sinkt die Attraktivität eines Ortes.
Das Werbeversprechen von Bahnbetreibern geht immer nur in eine Richtung: Auf den grossen Linien werben sie in fetten Lettern mit immer schnelleren Verbindungen, besseren Anschlüssen und mehr Angeboten. Die Hauptknotenpunkte wie der Hauptbahnhof Zürich und die damit verbundenen Hauptachsen profitieren von diesen Verbesserungen. Von Zürich nach Lugano sparen Reisende mit dem neuen Gotthardtunnel 30 Minuten. Ab 2020 werden es sogar rund 50 Minuten sein. Das alles nützt aber nichts, wenn auf den Zubringerlinien die Anschlüsse wegfallen. Dann wird die Reise aus den Agglomerationen nicht kürzer, sondern länger.
Ein Anrecht auf den Anschluss an den nationalen Fernverkehr hat Thalwil nicht: Auch wenn der Schnellzug nach Luzern seit Jahren am Bahnhof hält. Es ist klar, dass die Anschlüsse auf die Hauptverkehrsachsen ausgerichtet werden müssen. Genau deshalb aber ist der Fall Thalwil exemplarisch. Das Angebot wird im Fernverkehr ausgedünnt. Thalwil ist so gesehen verkehrstechnisch nicht mehr Agglomeration, sondern an der Schwelle zur Provinz. Die Abbaupläne sind nur eine Fortsetzung einer längst andauernden Verschlankung des Angebots. Im Jahr 2005 verlor Thalwil die direkten, umsteigefreien Interregio-Verbindungen ins Tessin. Die Halte wurden ersatzlos gestrichen. Die Folge: Wer in die Sonnenstube der Schweiz reist, muss in Zürich oder Zug umsteigen. Der Aufschrei damals war gross – und die Schwarzmaler sollten recht behalten. Irgendwann steht auch der Schnellzughalt nach Luzern auf der Kippe.
Für den ganzen Bezirk ist der Abbau schmerzhaft. Schliesslich hat auch die zweite Verbindung in die Zentralschweiz – der Voralpen-Express von St. Gallen nach Luzern – eine bewegte Geschichte hinter sich. Über die Jahre wurden immer wieder Haltestellen abgebaut. Die Halte ob dem Zürichsee in Samstagern und Wollerau wurden etwa abgeschafft. Mit den S-Bahnen konnten Anschlüsse an Knotenpunkten wie Pfäffikon oder Biberbrugg gewährleistet werden. Die sogenannte vierte Teilergänzung der S-Bahn Zürich führte am linken Zürichseeufer aber dazu, dass der Anschluss auf den Voralpen-Express in Biberbrugg nicht mehr angeboten wird. Via Thalwil bestünden ja weiterhin gute Verbindungen nach Luzern und Tessin, beschied man den Pendlern lapidar. Nun wiederholt sich die Geschichte. In Thalwil könne man mit – langsamen – S-Bahnen ja weiterhin an die Zieldestination reisen.
«Der grösste Angebotsausbau in der Geschichte des Zürcher Verkehrsverbundes» wurde diese vierte Teilergänzung genannt. Wenn ein Teil der Züge schneller wird, müssen andere wieder warten, damit sie sich nicht in die Quere kommen. Das führt zu absurden Situationen – die von den zuständigen Stellen jeweils kleingeredet werden. Ein Beispiel aus der March: Da fährt ein Zug von Ziegelbrücke nach Lachen. Eingeführt wurde er nur, um den Halbstundentakt aufrechterhalten zu können – notabene ebenfalls im Rahmen der vierten Teilergänzung. In Lachen bleiben die Türen aber geschlossen, weil der Zug auf einem Gleis ohne Perron hält. Reisende, die nach Lachen wollen, müssen also in Siebnen aussteigen und auf den nächsten Anschluss warten.
Wie gerät ein Anschluss auf die Abschussliste? Immer wird abgewogen: Wo sind mehr Pendler betroffen, in welcher Richtung sind mehr Leute unterwegs? Keine Frage: Die Planer stehen vor äusserst komplexen Aufgaben, Anschlüsse sind individuell, und nicht jeder Wunsch ist realisierbar. Das Ziel, Menschen von der Strasse auf die Schiene zu locken, wird aber kaum realisierbar sein, wenn im Kleinen die Anschlüsse nicht mehr funktionieren oder Umwege in Kauf genommen werden müssen. Nicht zuletzt müssen die Planer aber auch ehrlich kommunizieren: «In einem solchen System gibt es halt immer einen Verlierer» hilft den Betroffenen wenig. Im Lokalverkehr entscheidet sich, ob die Steuerzahler bereit sind, auch Grossprojekte wie den Gotthardtunnel zu finanzieren. Der Geldhahn wird rasch zugedreht, wenn gefühlt nur die grossen Linien von Ausbauschritten profitieren.
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