Ende der Raumstation ISSDas Prestigeprojekt wird im Pazifik versenkt
Im Jahr 2031 soll die Raumstation ISS kontrolliert zum Absturz gebracht werden. Weshalb dies am Point Nemo geschieht und was danach folgt.
«Das grösste Abenteuer der Menschheit im All», titelte der «Tages-Anzeiger» am 18. November 1998, als der Zusammenbau der internationalen Raumstation ISS begann. Es folgten einige Jahre, in denen «Pannen, Pleiten und steigende Kosten» (20. Juli 2000) die Berichterstattung über das Prestigeobjekt in der erdnahen Umlaufbahn dominierten. Doch nach vielen Problemen, Kritik und Häme hat sich die ISS mittlerweile etabliert. Heute gilt die Raumstation als Forschungsstandort, die nur mit internationaler Zusammenarbeit entstand, bei der sich auch die USA und Russland langsam annäherten.
Fast schon symbolisch für die neue Kälte zwischen den beiden Staaten wird die ISS aber nicht unbefristet in ihrer Umlaufbahn kreisen, sondern voraussichtlich Anfang 2031 im Pazifik versenkt. Die Nasa veröffentlichte Ende Januar 2022 ihre neuen Pläne für die Raumstation und was danach folgen soll.
Ewige Ruhe im «Raumfahrtfriedhof»
Für den grössten Teil der ISS ist die Mission 2031 beendet, nach rund drei Jahrzehnten. Je nach Sonnenaktivität wird die Raumstation ab 2026 langsam von ihrer aktuellen Höhe von etwas über 400 Kilometern abgesenkt. Ist die Sonnenaktivität höher, dehnt sich die Erdatmosphäre eher aus, was die ISS etwas abbremst. Sie verliert damit schneller an Höhe, wie die Nasa in ihrem Papier erklärt. Spätestens ab 2028 soll die Raumstation bis zur kritischen Grenze von 280 Kilometern abgesenkt werden, dem «Point of no return». Das sollte Ende 2030 erreicht werden, wenn auch die letzte Crew die ISS verlassen hat.
Dann tritt die Station ihr letztes grosses Abenteuer an und wird auf eine Flugbahn manövriert, die sie in den Südpazifik steuert. Dort wartet der Point Nemo, ein Raumschifffriedhof weit weg von bewohntem Gebiet. Die nächsten Inseln sind fast 2700 Kilometer entfernt, bis nach Neuseeland sind es rund 4000 Kilometer. Das Risiko, beim Absturz Schaden anzurichten, ist an diesem Point Nemo sehr klein, selbst wenn das anvisierte Ziel um einige hundert Kilometer verfehlt würde, wäre noch niemand in Gefahr.
Die Stelle, auch pazifischer Pol der Unzugänglichkeit genannt, weil er so weit weg vom nächsten Land ist, wird seit längerer Zeit benutzt, um Objekte aus dem All, die beim Wiedereintritt nicht vollständig verglühen, sicher zu entsorgen. So endeten seit den 1970er-Jahren über 250 Raumfahrzeuge oder -kapseln an dieser Stelle im Pazifik, darunter auch einige grössere Module der ISS sowie die russische Raumstation Mir, im März 2001.
Was folgt: Private Forschungsprojekte
Die ISS löste einst die Mir ab und soll bei ihrem Ende auch einen Nachfolger erhalten. So sehen es zumindest die Pläne der Nasa vor und daran wird bereits mit Hochdruck gearbeitet. An vorderster Front steht die Firma Axiom, die eine Raumstation in der Erdumlaufbahn plant. Die Mission Ax-1 soll noch dieses Jahr die ersten privaten Raumfahrerinnen und Raumfahrer zur ISS bringen. Gebaut werden zudem Module, die an die Raumstation angedockt werden und diese erweitern können. Das Ziel ist, dass Axiom gewisse Teile der ISS übernehmen, sich von ihr abkoppeln und selbstständig weiter um die Erde kreisen kann.
Neben Axiom arbeiten auch Jeff Bezos’ Blue Origin sowie die US-Firmen Nanoracks und Northrop Grumman an privaten Raumstationen. Die Nasa hat mit diesen Verträge abgeschlossen und unterstützt sie mit Know-how und insgesamt rund 600 Millionen Dollar. Die Pläne für die möglichen künftigen Raumstationen stehen schon, Blue Origin hat mit dem Projekt «Orbital Reef» letztes Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Nanoracks plant zusammen mit Lockheed Martin ein «Starlab» und Northrop Grumman hat ebenfalls Pläne vorgelegt, aber noch ohne klingenden Namen.
Ziel der Nasa ist es, dass die internationale Forschung künftig auf diesen Raumstationen erfolgt. Dort könnten sowohl Regierungen als auch Private Raum und Zeit mieten, die Nasa hat sich dafür natürlich schon gewisse Vorrechte für ihre Astronautinnen und Astronauten sowie für US-Projekte gesichert. Dass dieser Ansatz funktionieren kann, zeigt sich bei den Raketen, welche die Nasa nun für ihre Ausflüge ins All nutzt. Auch dort ging eine Art Ausschreiben für Private voraus und mittlerweile liefern Elon Musks Spacex sowie Flugzeugbauer Boeing die Systeme, um ins All zu fliegen.
Andere Stationen: China und Russland
Neben den US-Firmen, die mit der Nasa einen Vertrag abgeschlossen haben, arbeiten auch andere Staaten an eigenen Raumstationen. China hat bereits im April 2021 das Kernmodul Tianhe in die Umlaufbahn gebracht, weitere Elemente sollen bis 2024 folgen, beispielsweise dieses Jahr zwei Wissenschaftsmodule. Die komplette Raumstation Tiangong soll etwa die Grösse der Mir haben – oder rund ein Fünftel der ISS.
Während die ISS einst die USA und Russland näher zusammenbrachte, stehen die Zeichen heute ganz anders. Russland hat denn auch angekündigt, das internationale Projekt per 2024 verlassen zu wollen. Stattdessen will man ab 2025 eine eigene Raumstation bauen, die Russian Orbital Service Station (ROSS).
Auch Indien hat sich gegen die internationale Zusammenarbeit entschieden und wird sich nicht an der ISS beteiligen. Stattdessen plant die Indian Space Research Organisation eine eigene Station. Zuerst erfolgt aber voraussichtlich noch dieses Jahr der erste Start des Raumfahrzeugs Gaganyaan, bei den Tests noch ohne Besatzung.
Und was macht die Nasa?
Die Nasa überlässt die Erdumlaufbahn den Privaten und den anderen Nationen. Ihr Fokus liegt auf dem Mond – und dem Mars. Zuerst sollen mit dem Projekt Artemis erstmals seit Apollo 17 wieder Menschen auf den Erdtrabanten gebracht werden. Die letzte Crew verliess den Mond am 14. Dezember 1972, vor fast 50 Jahren. Dieses Mal geht es aber um viel mehr, der Mond dient nun quasi als Durchgangsstation für das nächste grosse Ziel, den Mars.
Dazu wird in einer Umlaufbahn um den Mond die Raumstation Lunar Gateway aufgebaut, zusammen mit der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Kanada, Japan und weiteren Nationen. Russland sollte zuerst auch dabei sein, letztes Jahr sprangen sie aber ab, weil das Projekt zu US-zentriert sei. Der Start mit den ersten Modulen, Triebwerke, Stromversorgung via Solarzellen sowie die Wohn- und Logistikabteile, wird frühestens Ende 2024 erfolgen.
Lunar Gateway wird dann zur Zwischenstation auf dem Weg zum Mond. Während die Artemis-Missionen I und II mit Orion-Raumschiffen um den Mond fliegen, soll Artemis III dann zwei Menschen einen Mondspaziergang ermöglichen. Sie fliegen dazu zuerst zu viert zum Gateway, von wo aus zwei von ihnen dann mit einem Starship HLS (Human Landing System) von Spacex zur Oberfläche fliegen. Die nächsten Artemis-Missionen sollen weitere Module zur Mond-Raumstation mitbringen und diese erweitern.
Langfristig ist dann eine Basis auf dem Mond geplant, sollten Wasservorkommen gesichert werden können. Auch ein Weiterflug zum Mars ist von der Nasa als Ziel festgelegt, das dürfte aber noch einige Jahre dauern. Vorerst gilt es die neue internationale Raumstation in der Mondumlaufbahn in Betrieb und Menschen auf den Erdtrabanten zu bringen. Wie schon bei der ISS gibt es auch jetzt Verzögerungen und viel Kritik. Der ehemalige Nasa-Chef und Apollo-11-Mitglied Buzz Aldrin halten die Raumstation Lunar Gateway für völlig unnötig. Der Nasa und den Partnern dürfte es egal sein, selbst wenn Pannen, Pleiten und steigende Kosten ihr Artemis-Projekt begleiten, für sie geht es jetzt um das neue grösste Abenteuer der Menschheit im All.
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