Gruselgeschichten mit LokalbezugDas Böse lauert in Thalwil
Spuk im Thalwilerhof, ein verschwundenes Haus am Weiher, Mord im Landforst – ein Kurzgeschichtenband von Helmi Sigg rückt Thalwil ins Zentrum des Schreckens.
Helmi Sigg, der Komiker und Murmeli-Schauspieler im Musical «Ewigi Liebi», ist überzeugt: Der Mensch ist fasziniert vom Bösen, er braucht es. Und deshalb legt er jetzt, in der besinnlichen Vorweihnachtszeit, ein Buch zum Gruseln vor.
Sigg, der sein Geld mittlerweile als Autor verdient, hat sich damit einen lang gehegten Wunsch erfüllt: Horror in der Heimat. «Schon seit meiner Kindheit fasziniert mich dieses Genre», sagt der Thalwiler, der heute in Oberrieden wohnt. Dabei sei er ein Mainstreamleser, derzeit des Novellenbands «Vollgas» von Joe Hill, dem Sohn der Horrorkoryphäe Stephen King.
Helmi Siggs Kurzgeschichtenband «Hackfleisch und Hecht. Unheimliches am Zürichsee» ist in der Corona-Krise entstanden. Finanziert haben ihn die Gemeinde Thalwil sowie hiesige Unternehmen und Vereine.
Sigg hat drei der zehn Geschichten selber geschrieben, für die anderen hat er weitere einheimische Autorinnen und Autoren sowie eine Illustratorin an seine Seite geholt: Eva Wischnitzky, Irma Aregger, Lorenz Langenegger, Susann Klossek und Marisa Meroni. Bedingungen an deren Geschichten: Sie müssen fiktiv sein und in Thalwil spielen. Eine Auswahl:
Der Mäusemörder vom Katzenbrunnen
Am Stammtisch des Restaurants zum Grundstein erzählt man sich die Geschichte des Alfons Kellenberger, «schon immer ein komischer Kauz», meint einer der Stammgäste. Und die geht so: Kellenberger wohnt in einem schimmligen, umwucherten Haus am Katzenbrunnen, in dessen Umfeld Haustiere seit je spurlos verschwinden.
Niemand traut dem mürrischen Einzelgänger über den Weg, der als Kind fasziniert den Metzger bei der Arbeit beobachtete, der mit einem Schulkameraden auf den See fuhr und allein zurückkehrte, der später in den Beizen Schlägereien anzettelte.
Schlimmer: Kellenberger fängt Mäuse und ertränkt sie genüsslich im dunklen Wasser des Katzenbrunnens im Thalwiler Oberdorf. «Hier liess ich mich von der Realität inspirieren», sagt Autor Helmi Sigg. Als Kind habe er tatsächlich so einen Tierquäler gekannt. Den sadistischen Alfons Kellenberger erwartet in der Kurzgeschichte mysteriöse Rache.
Der Ohrring im Hackfleisch
«Die blaue Stunde» nennt Eva Wischnitzky ihre Kurzgeschichte über eine junge Frau, die aus Italien zu ihrer Schwester nach Thalwil zieht, wo diese einen Einheimischen geheiratet hat.
Strand und Sonne weichen einem Leben in der Kälte, einst biss sie zu Hause in saftigen Prosciutto und helles Brot, jetzt steht Ghackets mit Hörnli und Apfelmus auf dem Tisch. Aber sie ist glücklich. Dort, wo die Bahnhof- auf die Ludretikonerstrasse trifft, betreibt das Trio erfolgreich eine Metzgerei. So weit, so normal.
Bis die Protagonistin von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, als ein Altbekannter die Dorfmetzgerei betritt. «Non mi sfuggi» sagt er, «du entkommst mir nicht.» Wegen ihres Peinigers hat sie einst ihr Heimatland verlassen, sie ist vor ihm geflohen. Auch das neue Leben in Thalwil wird zum Albtraum.
Doch dann fasst die Protagonistin einen Entschluss: Sie wehrt sich. Und zwar tatkräftig: «Die Aktion Ghackets, frisch, noch blutig, nur Fr. 2.50 das Kilo, kommt bei den Thalwilern gut an.»
Der Hecht geht um
Zwischen der Badi Bürger und der Ludi-Badi geschehen seltsame Dinge. Zuerst verschwindet ein Rentner mit Styropornudel in den Tiefen des Sees, dann kehrt ein Polizeitaucher nicht mehr an die Wasseroberfläche zurück.
Der Bademeister verfolgt das Geschehen kurz vor Saisonanfang mit zunehmendem Entsetzen. Doch die Thalwilerinnen und Thalwiler scheinen die Warnung des Gemeindepräsidenten nicht ernst zu nehmen, und so planschen sie am ersten heissen Sommertag zu Dutzenden in Ufernähe …
Anders als Steven Spielberg in «Der Weisse Hai» betrachtet Autorin Irma Aregger ihre Geschichte auch aus Sicht des Raubfisches, was der Gruselgeschichte den Schrecken nimmt und ihr stattdessen Witz verleiht. Obwohl, auch aus dieser Perspektive sind die Schilderungen manchmal nicht minder zum Schaudern, etwa als der Hecht seinen Vater an einen Berufsfischer verliert: «Ein langer Schnitt in seinem Bauch, seine Organe liegen neben ihm.»
Grusel mit Wiedererkennungswert
Helmi Siggs «Hackfleisch und Hecht» ist ein innovatives Buchprojekt, die Kurzgeschichten glänzen durch ihre unterschiedlichen Ansätze, das Unheimliche darzustellen. Und dank dem Lokalbezug bieten sie einen besonderen Wiedererkennungswert.
Helmi Sigg (Hrsg.): Hackfleisch und Hecht. Unheimliches am Zürichsee, Oberrieden 2021. Erhältlich unter agentur.helmisigg.ch sowie in den Buchhandlungen El Liesyum in Thalwil und Bellini in Stäfa.
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