Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Dä Isebahn-Maa» von Richterswil

Das Ehepaar Zängerle steht in seinem Garten, hinter ihnen die Rhododendren und daneben zwei Züge: Der rote Bernina-Express und die grüne Brünig-Bahn.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Vom Haus der Zängerles hätte man einen herrlichen Ausblick auf den Zürichsee – doch an diesem warmen Sommertag richten alle Besucher ihren Blick auf den Boden. Denn durch den Garten schlängelt sich das riesige, verworrene Schienennetz einer Modell­eisenbahn. Man muss vorsichtig sein, wo man seine ­Füsse absetzt, denn die Gartenbahn domi­niert den ganzen Garten. In einer Schlaufe gehen die Gleise um den Teich mit den Kaul­quappen, kreuzen immer wieder den gepflasterten Fussweg, umkreisen die Rhododendren. Die Schienen unterqueren das Gartenhäuschen und umrunden den Stuhl, auf dem Kater Michu in der Sonne liegt und döst.

Zielstrebig geht Eduard Zängerle durch den Garten, immer in der Hand das schwarze Kästchen der Funkfernsteuerung. Er zeigt auf ein eingemauertes ­Beet. «Das ist der Kräutergarten meiner Frau, da mussten wir schauen, dass wir ohne Interessen­konflikte aneinander vorbeikommen.» Am Haus vorbei führt eine Treppe hin­ab in den unteren Teil des Gartens. Dort, unterhalb der Garage, befindet sich die Werkstatt und darin das Depot der 2-m-Spur-Modelleisenbahnen. Um die Anfahrt der Züge zu kontrollieren, muss der Pensionär jedes Mal eine Leiter erklimmen, denn die Konstruktion hängt an Stahlträgern von der Decke herab.

Insgesamt sind es acht Zugkompositionen: Güterzüge, verschiedene Dampfloks, sogar ein Bernina-Express mitsamt Panoramawagen stehen auf den Abstell­gleisen. Schattenbahnhof, nennt sich das im Fachjargon der Modell­bauer. Jeder Zug hat seinen ­Code, 1067 steht für den Nostalgie-Zug der Brünigbahn. Sorgfältig tippt Zängerle die Zahlenkombination auf das schwarze Kästchen ein. Die Lok antwortet mit einem kurzen Pfiff und setzt sich leise ratternd in Bewegung.

Züge gegen die Langeweile

Eduard und Verena Zän­gerle – oder Eddie und Vreni, wie ­Freunde sie nennen – sind seit 42 Jah­ren verheiratet und wohnen seit 28 Jahren in Richterswil. Züge­ ­findet man bei den Zängerles nicht nur im Garten, auch im ­Keller steht eine Modell­eisen­bahn­­an­lage, und selbst in den ­Ferien werden sie von den ratternden Rädern beglei­tet. Indien, England und Namibia hat das Ehepaar bereits mit dem Zug bereist. Aus der Modell­eisen­bahn­an­ge­legen­heit hält Verena Zän­gerle sich ­jedoch grösstenteils her­aus: «Das ist das Hobby meines Mannes, ich sage nur, wo im Garten ich auf keinen Fall Schienen haben will.»

Eduard Zängerle lernte ursprünglich den Beruf des Werkzeugmachers; später führte er mit zwei Partnern eine eigene Firma, die auch heute noch weltweit mit Werkzeugen handelt und Spanmittel für Werkzeug­maschinen entwickelt und vertreibt. Nach der Pensionierung wurde es ihm langweilig, also suchte er sich eine Tätigkeit. «Lesen macht mich schnell müde, ich brauchte etwas, das die Hände beschäftigt», sagt der Pensionär.

Seine Faszination für Technik brachte ihn zu den Modelleisenbahnen. Den Anfang machte der Bausatz einer Dampflokomotive. Die brauchte dann Gleise. Und so führte eines zum anderen. Weichen kamen hinzu, Ampelanlagen und Miniatur-Bahnhöfe machten das Eisenbahnnetz komplett.

Die ganze Anlage ist selbst gebaut. Teils mit der Ehefrau oder mit Freunden als Helfer hat Zängerle Pfeiler betoniert, Metall­brü­cken gebaut und Mauern durch­bohrt. Auf die Frage hin, wie viele Arbeitsstunden in der An­lage stecken, lacht er bloss. «Mit dem Zählen habe ich schon ­lange aufgehört», sagt der 80-Jährige.

Zur Freude der Nachbarn

Die Gartenbahnanlage blieb nicht lange unentdeckt. Denn eine Modelleisenbahn begeistert auch heutzutage noch Gross und Klein – besonders jedoch die Nachbarskinder, die immer wieder über den Zaun hinweg die Züge bestaunt haben.

So kam das Ehepaar auf die Idee, Freunde, Verwandte und Nachbarn zu einem Tag der offenen Tür einzuladen. Die Idee stiess auf grossen Anklang. Dies ist bereits das vierte Mal, dass die zwei zur Besichtigung der An­lage einladen – um die 20 Personen haben sich im Garten eingefunden.

Die meisten der Erwachsenen sitzen bei Häppchen und kühlen Getränken im Schatten, während die Kinder staunend durch den Garten stiefeln. «Isebahn-Maa, chasch dä rot Zug fahre lah?», «Isebahn-Maa, dä Zug söll über d Brugg!» Die Kinder bestaunen die Züge; die Gastgeber erfreuen sich an der Begeisterung ihrer jungen Gäste. «Es ist so schön, zu sehen, wie sehr sich die Kinder freuen», sagt Verena Zängerle. Kater Michu ist der Trubel mittlerweile zu viel geworden, er hat sich verzogen.

Im vergangenen Sommer ­wurde das letzte Stück der An­lage fertig, eine Zahnradstrecke im unteren Teil des Gartens. Ruhig sitzen und seiner Bahn beim Kreiseziehen zuschauen, ist jedoch nichts für Eduard Zängerle: «Mein Wunsch ist es, selber eine Loko­motive zu bauen, eine Gmf-4/4-Lok der Rhätischen Bahn.»

«Dä Isebahn-Maa» von Richterswil ist noch lange nicht müde, die Leiter zu seinen Zügen hochzusteigen.