«Close to You» und «Crossing» Elliot Page in seiner ersten Rolle als Transmann
Das Familiendrama «Close to You» zeigt die Aggressionen gegen Transmenschen. Elliot Page erzählt darin eine sehr persönliche Geschichte. Das ist authentisch, aber holprig.
Geburtstagsfest, man muss an viel denken: den Spargel, die Drinks und an Pronomen. Mutter Miriam organisiert die Feier für ihren Mann, Stargast des Abends ist aber Sohn Sam (Elliot Page). Der Transmann lebt seit längerem in Toronto und war schon ein paar Jahre nicht mehr zu Besuch im Elternhaus im Dorf.
Entsprechend quietschig wird seine Ankunft gefeiert. Geschwister samt Anhang springen vom Sofa auf, alle einen Tick zu laut. In Sams Gegenwart rutscht der Mutter irgendwann ein «her» heraus, sie entschuldigt sich ausführlich. Sam beschwichtigt; er findet es weniger schlimm als sie. Seine rote Mütze zieht er den ganzen Abend nicht aus, wie ein Zeichen, dass er nicht lange bleiben will. Und bald eskaliert die Situation tatsächlich.
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«Close to You», ein stark von Improvisation geprägtes Drama des britischen Regisseurs Dominic Savage, ist eindeutig ein Herzensprojekt von Elliot Page. Es ist seine erste Rolle seit seinem Coming-out als Transmann, er wirkt auch als Co-Autor mit. Die Kamera konzentriert sich oft auf sein nachdenkliches Gesicht (und seinen Oberkörper), begleitet von recht klebriger Musik.
Die Geburtstagsparty wird zum Katalysator für schwelende Konflikte. Sams Flucht in die Stadt wird ihm zum Vorwurf gemacht. Sam wiederum beschuldigt seine Familie, sie interessiere sich erst jetzt dafür, wie es ihm gehe. Ganz im Gegensatz zu früher.
Die Geschwister begegnen Sam mit einer linksliberalen Grosszügigkeit, die wahrscheinlich irgendein Schuldgefühl überkompensiert. Jedes Gespräch wirkt wie eine vorsichtige Navigation. Sam aber hat keinen Bock darauf, als besonders wahrgenommen zu werden oder Erklärungen abzugeben. Er möchte einfach als Mensch am Tisch sitzen.
Was aber schwierig wird, wenn sein Schwager Paul provozierend fragt, wie nun genau die Bezeichnungen lauten und ob er ihn «Sammy» nennen darf. «Du durchlebst eine Sache, und wir müssen uns an die Regeln halten», wirft er Sam vor. Sam fragt sich bloss, woher die Wut auf ihn kommt und wieso alles politisch gedeutet wird.
Mehr Theaterprobe als Film
Ob «Close to You» als Instruktionsfilm für Eltern von Transteenagern taugt? Für Elliot Page ist es eine Versuchsanlage, um Mikroaggressionen und Unverständnis durchzuspielen, die er als Transmann selbst erlebt. In seiner Autobiografie «Pageboy» beschrieb er das Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein, als «penetrante Stimme in deinem Hinterkopf, von der du annimmst, dass alle anderen sie auch hören, was sie aber nicht tun».
Zugleich ist «Close to You» ein holpriger Film, mehr Theaterprobe in fahler Winterkulisse als Filmdrama. Manche von Sams Reaktionen auf die mehr oder weniger offenen Anschuldigungen können übertrieben wirken, zumal sich Sam offenbar in einer privilegierten medizinischen Situation befindet. Aber das wäre ja dann auch okay, dass sich hier ein Transmensch nicht immer sympathisch aufführt.
Die Nebenhandlung mit einer alten Flamme, der Sam zufällig im Regionalzug begegnet, funktioniert weniger gut. Doch ist diese Frau die Einzige, die Sam etwas mitteilt, was ihn berührt, nämlich dass er weit gekommen sei. «Close to You» bedeutet dann: nah am eigenen Ich.
«Crossing» über die Transrechte in der Türkei
Dass mit «Crossing» von Levan Akin zufällig ein weiteres Drama mit Transthema im Kino läuft, ist insofern erhellend, als der Kampf für Transrechte in Istanbul, wo der Film spielt, eine etwas andere Bedeutung hat.
Lia, eine Frau im späteren mittleren Alter, ist von Georgien in die Türkei gereist, um ihre Nichte zu suchen. «Eines dieser Transmädels!», ruft der Jugendliche Achi, der Lia etwas vorschwindelt, damit sie ihn nach Istanbul mitschleppt.
Zuerst begegnen die beiden der Transfrau Evrim, die für eine NGO arbeitet und sich in der Stadt für Transmenschen engagiert – besonders in den weniger privilegierten Quartieren. Die lebenslustige Frau wird immer wieder blockiert von den Behörden, die sie herablassend behandeln oder ihr allerhand Steine in den Weg werfen.
Auch ihr Kampf beginnt, wie der von Sam in «Close to You», in den kleinen Situationen im Alltag, und wie Sam zielt auch Evrim aufs grosse politische Ganze. Aber Evrim setzt sich an einem Ort ein, wo die Bedrohungen existenziell werden können. Und schwerer wiegen als eine verletzende Bemerkung am Familientisch.
«Close to You» und «Crossing», im Kino.
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