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«Crashgate»-Skandal in der Formel 1
Massa wurde um den Titel betrogen – jetzt droht das grosse Chaos

 L to R: Felipe Massa BRA Ferrari and Lewis Hamilton GBR McLaren at the end of season photograph. Formula One World Championship, WM, Weltmeisterschaft Rd 18, Brazilian Grand Prix, Race Day, Interlagos, Sao Paulo, Brazil, Sunday 2 November 2008. ACHTUNG AUFNAHMEDATUM GESCHÄTZT PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY d08bra1781
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Dieser Fall ist gespickt mit Absurditäten. Die neueste: Felipe Massa und seine Anwälte hoffen auf die Unterstützung von Lewis Hamilton. Ausgerechnet. Dabei haben sie gar nichts Gutes im Sinn mit dem siebenfachen Weltmeister. Einen seiner Titel wollen sie ihm stibitzen, und zwar seinen allerersten. «Er ist ein wichtiger Botschafter für den Sport und hat immer die Integrität des Sports verteidigt», säuselt nun aber Bernardo Viana gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Viana arbeitet für eine Anwaltskanzlei in São Paulo und zurzeit für den einstigen brasilianischen Formel-1-Piloten Massa. In dieser Funktion umgarnt er Hamilton gerade. «Er ist brasilianischer Ehrenbürger und bei den Brasilianern sehr beliebt, deshalb hoffe ich, dass er uns unterstützen wird.» Vielleicht sind es auch Worte der Verzweiflung.

Denn das Vorhaben von Massa und seinem Team ist ziemlich abenteuerlich: Sie fechten das Ergebnis der Saison 2008 an und wollen Massa 15 Jahre später zum König der Formel 1 machen.

Von neuem ins Rollen gebracht hat das Ganze Bernie Ecclestone, Zampano der Königsklasse während Jahrzehnten. Diesen Frühling hat er dem Fachportal F1-Insider.com ein Interview gegeben. Etwas unglücklich für Massa und seine Entourage ist nun, dass sich der bald 93-Jährige nicht mehr daran erinnern kann. Auf der Website jedenfalls wurde er so zitiert: «Wir hatten rechtzeitig genug Informationen, um der Sache nachzugehen. Laut den Statuten hätten wir das Rennen in Singapur wohl annullieren müssen. Das heisst, für die WM-Wertung hätte es nie stattgefunden. Dann wäre Massa Weltmeister geworden und nicht Hamilton.»

Als Nelson Piquet junior absichtlich in die Wand krachte

Der Fall, den Ecclestone anspricht, trägt den Namen «Crashgate» und geht so: 2008 verunfallt Nelson Piquet junior in Singapur mit seinem Renault. Drei Runden zuvor ist sein Teamkollege Fernando Alonso ungewöhnlich früh zum Boxenstopp gekommen. Der Safety-Car, der zum Einsatz kommt, damit Piquets Auto abtransportiert werden kann, veranlasst nun die Gegner wegen des geringeren Zeitverlusts zum Nachtanken. Alonso, der das schon erledigt hat, profitiert: Aus Startplatz 15 wird der Sieg.

Doch dahinter steckt kein sportliches Märchen, sondern ein Skandal. Renault-Teamchef Flavio Briatore und Technikchef Pat Symonds haben den Sohn von Dreifachweltmeister Nelson Piquet absichtlich in die Wand geschickt, um Alonsos Triumph zu ermöglichen.

Leidtragender ist unter anderem Piquets Landsmann Felipe Massa. Er fährt als Leader an die Box. Doch der Stopp misslingt, er rast zu früh wieder los, reisst den Tankschlauch ab und einige Mechaniker um. Ergebnis: Rang 13 statt Sieg, während WM-Rivale Hamilton mit Rang 3 kräftig punktet.

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Beim letzten Grand Prix des Jahres in São Paulo, Massas Heimat, kommt es dann zum sportlichen Drama: Der Brasilianer gewinnt zwar das Rennen, weil aber Hamilton in der allerletzten Runde noch an Timo Glock vorbeikommt auf Rang 5, verliert er das WM-Duell gegen den Briten um einen einzigen Punkt.

Die Manipulation von Singapur kommt erst 2009 ans Licht, zu spät für die Betroffenen. Der Internationale Sportkodex des Weltverbands FIA erlaubt Proteste nur bis 14 Tage nach einem Rennen. Auch ist das WM-Klassement fix, sobald die Preisverleihung Ende Jahr stattgefunden hat.

Nun kommt aber Ecclestone ins Spiel, der in diesem Frühjahr sagte, noch während der Saison 2008 vom Skandal erfahren zu haben. Auch der damalige FIA-Präsident Max Mosley sei eingeweiht gewesen. «Doch wir haben beschlossen, vorerst nichts zu unternehmen», sagte Ecclestone. «Wir wollten den Sport schützen und ihn vor einem Riesenskandal bewahren.»

Massas Fragen an die FIA sind noch immer unbeantwortet

Nach den Aussagen reichten Massa und sein Anwaltsteam bei der FIA einige Fragen ein. Auf die Antworten warten sie bis heute. Eigentlich hatten sie dem Weltverband bis zum 8. September Zeit dafür gegeben, die Frist haben sie mittlerweile auf Mitte Oktober angesetzt.

Fallen die Antworten für sie nicht befriedigend aus, geht es mit dem Fall wohl vor ein Zivilgericht. Denn innerhalb des Sports haben die Kläger kaum Aussicht auf Erfolg. Auch weil der Sportgerichtshof CAS in Lausanne für die FIA nur zuständig ist, wenn es um Doping geht – und Klagen, die die FIA betreffen, können einzig beim Internationalen Berufungsgericht (ICA) eingereicht werden, in dem Vertreter des Weltverbandes sitzen.

Also müsste Massa wohl den rechtlichen Weg ausserhalb der Formel 1 beschreiten, um «Gerechtigkeit für den Sport» zu erreichen, wie er sagt. Es gehe ihm nicht um Geld, sondern um seinen «Kindheitstraum, einen Titel für ganz Brasilien zu gewinnen», sagt er. «Und auch für die Tifosi.» Um die Tifosi aber, die Anhänger von Ferrari, Massas damaligem Rennstall, und das italienische Team selbst ist es in dieser Affäre auffallend ruhig.

Mercedes-Teamchef Wolff redet von einem «Präzedenzfall»

Dafür äussert sich Toto Wolff, Teamchef von Mercedes. Er verfolge das Ganze «mit Interesse». Mit Eigeninteresse wohl. Denn wird das Ergebnis von 2008 tatsächlich umgestürzt, egal auf welchem Weg, würde das die Tür öffnen für andere Klagen. In Wolffs Fall: das WM-Finalrennen von 2021 in Abu Dhabi.

Damals traf der mittlerweile entlassene Formel-1-Renndirektor Michael Masi eine kontroverse Entscheidung: Er winkte einzig die überrundeten Autos, die zwischen Mercedes-Pilot Lewis Hamilton und Max Verstappens Red Bull lagen, am Safety-Car vorbei. So konnte Verstappen in der allerletzten Runde mit frischen Reifen Hamilton noch überholen und seinen ersten WM-Titel feiern.

Nun könnte Massa für einen «Präzedenzfall» sorgen, sagt Wolff. Und: «Die FIA hat sich zum Rennen 2021 klar geäussert.» Was der Österreicher meint? Dass die FIA bezüglich des GP von Abu Dhabi Fehler zugegeben hat.

Hamilton könnte also theoretisch gleichzeitig einen Titel verlieren und einen anderen gewinnen. Die FIA wird alles daransetzen, dass es nicht so weit kommt. Wolff sagt: «Wenn jeder Situationen nochmals aufrollen könnte, würde der Sport im Chaos versinken. Es gibt so viele Dinge, die einen Einfluss darauf haben, ob man eine Meisterschaft gewinnt oder verliert.» Er sehe deshalb kaum Chancen für Massa.

Vielleicht könne dieser aber «Schadenersatzansprüche geltend machen» – Massa und seine Anwälte reden von entgangenen Einnahmen im zweistelligen Millionenbereich, weil er letztlich nie Weltmeister wurde. Für Wolff ist der sonderbare Fall aber in erster Linie eine Art «Telenovela oder Seifenoper». Für Unterhaltung dürfte er jedenfalls noch einige Zeit sorgen.