Gummischrot und WasserwerferCorona-Demo eskalierte erneut
Mehrere hundert Gegnerinnen und Gegner der Corona-Massnahmen marschierten am Donnerstag durch Bern. Erneut kam es zu Scharmützeln. Vors Bundeshaus schaffte es jedoch niemand.
Es sind Bilder, wie sie sich die Stadt Bern, und insbesondere deren Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte), nicht gewünscht hatten: Es ist ein lauer Donnerstagabend und in der oberen Rathausgasse fliegt Gummischrot durch die Luft. Polizeigrenadiere feuern ihn ab gegen eine aufgebrachte Vorhut von Demonstrierenden.
Diese wollen in die untere Altstadt marschieren, Richtung Rathaus. Also dort, wo zu jenem Zeitpunkt der Berner Stadtrat tagt. Die Polizei weiss es zu verhindern. Die Stimmung wird jetzt kurzzeitig ziemlich aggressiv. Einzelne Demonstrierende schmeissen Flaschen und andere Gegenstände Richtung Polizisten. Passantinnen und Passanten schauen den Scharmützel ungläubig zu. Dutzende Smartphones werden gezückt, die wilden Szenen festgehalten.
Das ganze spielt sich kurz nach 20 Uhr ab. Rund 20 Minuten waren die Gegnerinnen und Gegner der Corona-Massnahmen zuvor durch die Stadt marschiert. Als sie auf dem Kornhausplatz eintreffen, sind es mehrere hundert Personen. Die Polizei hat sie dort mehr oder weniger eingekesselt. Der primäre Schutz gilt jedoch dem Bundeshaus. Dorthin sind alle Zugänge abgeriegelt. Bereits am Morgen wurde davor der Schutzzaun montiert. Wie schon eine Woche davor. Und die davor. Ein Bild, an das man sich erst noch gewöhnen muss.
«Jetzt-erst-recht»-Haltung
Zum vierten Mal innerhalb von rund zwei Wochen gehen an diesem Abend die Gegnerinnen und Gegner der Corona-Massnahmen auf die Strasse. Einmal mehr ist spürbar, wie aufgeheizt die Stimmung in einem Teil der Bevölkerung ist seit dem bundesrätlichen Entscheid zur Ausweitung der Zertifikatspflicht.
Bei den am Donnerstag Protestierenden handelt sich offenbar um den harten Kern der Massnahmekritiker. Denn sie haben sich allen Unkenrufen zum Trotz auf den Weg in die Bundesstadt gemacht. Nicht der eindringliche Appell der Stadtregierung gegen das Aufmarschieren, nicht das angekündigte Grossaufgebot der Polizei, nicht einmal die ablehnende Haltung der führenden Protestbewegungen konnten diese Leute von ihrer Entschlossenheit abhalten. «Jetzt erst recht!» hiess es in einem Aufruf in einem Telegram-Chat der Massnahmekritiker.
Dass die Demonstrierenden vom Bahnhofplatz, wo sie sich um 19:30 Uhr besammelten, überhaupt Richtung Zytglogge marschieren konnten, stand so nicht im Drehbuch von Sicherheitsdirektor Nause. Denn er hatte im Vorfeld klargemacht, dass eine unbewilligte Demo nicht zugelassen werde. Zu aufgeheizt empfand er die gegenwärtige Stimmung. Eine Eskalation wie eine Woche zuvor auf dem Bundesplatz wollte er von Vornherein verhindern. Es blieb beim Wunschdenken.
Dies, obwohl die Kantonspolizei Bern am Donnerstagabend mit einem Grossaufgebot präsent ist. Um über genügend Einsatzkräfte zu verfügen, blieben am Donnerstag bis auf fünf sämtliche Polizeiwachen im Kanton geschlossen. Es ist eine seltene Massnahme. Letztmals verfügt hatte sie Polizeikommandant Stefan Blättler vor zwei Jahren, als die berüchtigten Hooligans von Feyenoord Rotterdam durch die Stadt zogen.
Demo als «Black Box»
Zu Beginn führten die zahlreichen Polizisten auf dem Bahnhofplatz zwar Personenkontrollen im Akkord durch – auch einzelne Festnahmen von Renitenten gabs (siehe Box am Textende) – doch, als sich die Masse in Bewegung setzte, kam es zu keiner Einkesselung. Es kamen offenbar doch mehr Leute, als erwartet.
Die Kundgebung galt im Vorfeld als eine Art «Black Box». Selbst Reto Nause sprach noch am Vortag von einer «unübersichtlichen Situation». Entstanden ist sie nach den gescheiterten Verhandlungen der Stadt mit den führenden Köpfen der Protestbewegung Mass-Voll, der Freiheitstrychler und der Freunde der Verfassung. Diese hatten ihren Demo-Aufruf schliesslich zurückgezogen.
Wasserwerfer in der Bundesgasse
Nach 21 Uhr am Abend eskaliert die Situation schliesslich abermals, nachdem der Demonstrationszug lautstark Richtung Bahnhof zurückgelaufen war. Eine Protestgruppe macht sich via Bundesgasse auf Richtung Bundeshaus. Hier wartet jedoch die geballte Kraft der Berner Polizei. Wie bereits in der Woche zuvor werden die Demonstrierenden mit dem Wasserwerfer zurückgedrängt.
Immer wieder lösen sich einzelne aus der Menge und legen Blumen und rote Grabkerzen vor den Wasserwerfer. Dieser reagiert mit Wasserregen. Die Menge zieht sich, nass geduscht, zurück. Dann beginnt das Spiel wieder von vorne. Andere schmeissen Bierdosen Richtung Polizei oder zünden Böller. Als Antwort folgen Pfefferspray und Gummischrot. Dadurch lassen sich die die meisten Demonstrierenden vertreiben, es wird wieder ruhiger.
Auf Deeskalation hoffte man bei der Stadt vor ein paar Tagen. Das Gegenteil ist eingetroffen.
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